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Politik: „Das Kolosseum wird nicht verkauft“

Roms Bürgermeister über die Finanznöte von Hauptstädten – und die Probleme der italienischen Linken

Signor Veltroni, sie waren gerade auf Besuch in Berlin. Gibt es, was die Probleme der Stadt anbelangt, Parallelen zu Rom?

Die offensichtlichste Parallele besteht darin, dass es zwei Hauptstädte sind. Unsere Städte haben nicht nur die Probleme aller großen Metropolen – wir haben 2,6 Millionen Einwohner, Berlin hat 3,5. Zusätzlich müssen wir all die Aufgaben bewältigen, die daraus erwachsen, dass wir Hauptstädte sind. Ein Beispiel: Wir hatten in diesem Jahr hunderte von Demonstrationen in Rom, für die wir – was Polizei, Stadtreinigung, Verkehr anbelangt – etwa 80 Millionen Euro ausgegeben haben.

Sperren Sie das Zentrum auch wegen jeder Demo?

Nicht für jede, aber es kommt häufig vor. Und die Konsequenzen für den Verkehr sind doch recht schwerwiegend. Es gibt also keinen Zweifel, dass die Hauptstädte über einen besonderen finanziellen und institutionellen Status verfügen müssen.

Das ist ja das Gegenteil von dem, was mit dem neuen Haushalt in Italien geschieht.

Alle Städte mussten einen hohen Preis zahlen. Einen Haushalt aufzustellen, ist dieses Jahr für alle sehr schwierig. Man muss aber verstehen, dass es in einer modernen Gesellschaft vor allem zwei Entscheidungsebenen gibt. Ein Bürger empfindet sich als Teil der Globalisierung, aber er braucht auch den, der bei ihm vor der Tür den Müll abholt. Letzteres wird sich auch nie ändern.

Müssen die Hauptstädte nicht wegkommen vom Image der subventionierten Stadt?

Mir scheint es gerecht zu sein, dass eine Hauptstadt Extramittel vom Staat bekommt. Oder man muss den Anteil am Steueraufkommen erhöhen, dann wäre die Stadtregierung natürlich dafür verantwortlich, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Letzteres wäre mir lieber.

Berlin hat 49 Milliarden Euro Schulden. Wie steht Rom da?

Mit 6,5 Milliarden Euro Schulden. Aber wir haben auch das Angebot an Dienstleistungen erhöht. So haben wir gerade eine Bürgernummer eingerichtet, an die man sich 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag wenden kann. Innerhalb von 20 Sekunden nimmt dort jemand den Hörer ab und beantwortet jedes Problem, das ein Bürger mit der Verwaltung hat. Man kann auch nachts anrufen und wird dann am nächsten Tag von einem Verwaltungsangestellten zurückgerufen. Eine andere Neuerung: Wir haben Rentner überredet, kleine Aufgaben an den Schulen zu übernehmen, etwa den Verkehr zu regeln oder sich um die Kinder zu kümmern.

Berlin hat nicht nur finanzielle, sondern auch wirtschaftliche Probleme. Und Rom?

Rom ist besonders bei Dienstleistungen stark. In den Entwicklungsprognosen stehen wir in Italien auf den ersten Plätzen. Dann gibt es den Bereich Film, Kommunikation, Showbusiness, der sehr wichtig ist. Rom ist nicht mehr nur eine Verwaltungsstadt. Und: Unsere Wirtschaft wächst um ein Prozent mehr als der Landesdurchschnitt.

Kostet die Verwaltung in Rom mehr als in anderen Städten, etwa Mailand oder Florenz?

Nein. Obwohl wir mit 36 000 Angestellten einen großen Verwaltungsapparat haben.

Es heißt, die Verwaltung Roms habe sich sehr verbessert. Nur die Sauberkeit im öffentlichen Raum nicht.

Paris hat auch ein Problem mit der Sauberkeit, genauso wie New York. Rom ist sehr groß, mit 1280 Quadratkilometern achtmal so groß wie Mailand. Da ist es schwierig, die ganze Stadt sauber zu halten. Wir versuchen aber auch, den Bürgersinn zu entwickeln. Wir sagen: Wir machen die Stadt sauber, aber ihr müsst uns dabei helfen. Wir haben 8 Millionen Euro investiert, um die Zahl der Straßenfeger zu erhöhen. Dann werden wir eine Einheit auf die Beine stellen, die sich um Sprayer und Plakatkleber kümmert.

Vor einigen Monaten gab es Meldungen, das Kolosseum soll verkauft werden. Stimmt das?

Wenn Kulturgüter verkauft werden, muss man sich eine neue Nutzung ausdenken. Dafür braucht man einen neuen Nutzungsplan von der Kommune. Die genehmigt das aber nicht. Das Kolosseum wird nicht verkauft.

In Deutschland heißt es oft, Berlusconi sei kein demokratisches, sondern ein postdemokratisches Phänomen.

In Italien sind die wichtigsten Elemente der Demokratie – Recht zur freien Meinungsäußerung, Gewerkschaftsfreiheit, Wahlrecht – vollkommen garantiert. Es ist eher eine liberale Kultur, die in Frage gestellt ist, bei der Konzentration von Medienmacht, dem Interessenkonflikt. Es sind einige Gesetze verabschiedet worden, die nicht vereinbar sind mit einem liberalen Staatsverständnis. Aber in Italien hat vor fünf Jahren die Linke gewonnen, obwohl es damals schon die Medienmacht Berlusconis gab. Italien ist auch ein Land, in dem ich 14 Tage nach den Parlamentswahlen die Wahl um das Bürgermeisteramt in Rom gewonnen habe. Italien steht nicht auf der Kippe.

Berlusconi hat Probleme mit der Justiz, Massen von Bürgern demonstrieren gegen seine Regierung. Das müssten goldene Zeiten für die Opposition sein. Sind es aber nicht.

Es gibt fast immer eine Phase des Niedergangs, wenn man die Wahlen verloren hat. Schauen sie nur nach Amerika, wo die Demokraten wegen einer Handvoll Stimmen die Präsidentschaftswahlen verloren haben. Oder auch die Sozialisten in Frankreich, die Konservativen in England: Nach Niederlagen muss man sich erst einmal wiederfinden. Was die Zustimmung der Bevölkerung angeht, hat die Regierungsmehrheit gerade ein Problem, weil die Wahl mit Versprechen gewonnen wurde wie: weniger Steuern für alle, höhere Pensionen.

Die Opposition scheint nicht zu existieren. Deswegen hat sich ja auch eine starke außerparlamentarische Opposition gebildet.

Ich halte diese Bewegungen für richtig. Die Bürgerbewegungen haben die Linke wachgerüttelt und ihr geholfen, aus einer sehr ernsten Situation herauszukommen. Wir müssen diesen Bürgerbewegungen sehr dankbar sein, die anfangs mit Misstrauen beäugt wurden, jetzt aber mit mehr Verständnis betrachtet werden. Denn sie haben dem MitteLinks-Lager geholfen, eine größere Einigkeit zu erreichen. Und: Alles ist willkommen, was der Zivilgesellschaft hilft, die Politik wieder in die eigene Hand zu nehmen. Ich bin nicht damit zufrieden, wenn die Bürger die Politik nur im Fernsehen sehen. Wenn sie die Politik in die eigene Hand nehmen, ist das immer ein guter Tag für die Demokratie.

Man könnte es aber auch als ein Symptom für die Schwäche des politischen Systems begreifen, die Bürger fühlen sich nicht vertreten.

Ich glaube, in einer modernen Gesellschaft können die Parteien nicht mehr den ganzen Ausdrucksreichtum einer Zivilgesellschaft in sich fassen. Der Wert der Parteien besteht nicht darin, alle zu vertreten, sondern in ihrer Fähigkeit, sich zu öffnen, in einen Dialog einzutreten mit einer Zivilgesellschaft, die sich selbst organisiert hat.

Hier fällt es vielen schwer, sich Berlusconis Wahlerfolg zu erklären. Eine Erklärung ist die große Enttäuschung über die vorherige Mitte-Links-Regierung.

Als wir zu regieren anfingen, war Italien in großen Schwierigkeiten. Wir haben etwa 60 Milliarden Euro gespart – und das ohne eine Stunde Streik. Das Land hat zusammengehalten, war kompakt und gelassen.

Und dann hat die Linke begonnen, sich durch interne Streitigkeiten zu schwächen.

Der Fehler der Regierung war ihre innere Instabilität. Wenn die Regierung Prodi nicht vor der Zeit gestürzt wäre, hätten wir die letzten Wahlen gewonnen.

Also die alte italienische Krankheit?

Vielleicht. Aber es gibt auch Zyklen in der Politik. So wie Clintons Sieg den Aufstieg progressiver Ideen auch bei uns bedeutete, so läutete der Sieg Bushs auch in Europa eine Wende ein. Wir haben in Portugal verloren, in Österreich, in Frankreich, in Italien und auch in Nordeuropa. Arthur Schlesinger hat von 30-Jahres-Zyklen gesprochen. Heute sind sie viel kürzer, weil alles schneller ist. So schnell, dass ich denke, der Zyklus der Rechten neigt sich schon seinem Ende zu.

Das Gespräch führten Clemens Wergin und Giovanni di Lorenzo .

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