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Politik: Das Militär-Debakel und seine Gründe - Missstände und Korruption schwächen die russische Armee

Mit Logik sei dem Debakel der Russen in Dagestan nicht beizukommen. Immer wieder "stiehlt irgendwer oder irgendwas den Generälen den verdienten Sieg", spottet Alexander Schilin, Militärexperte der Wochenzeitung "Moskwoskije nowosti".

Mit Logik sei dem Debakel der Russen in Dagestan nicht beizukommen. Immer wieder "stiehlt irgendwer oder irgendwas den Generälen den verdienten Sieg", spottet Alexander Schilin, Militärexperte der Wochenzeitung "Moskwoskije nowosti". Was genau, kann Schilin in seinem Blatt nur noch andeutungsweise veröffentlichen. Die Fakten sind zu ungeheuerlich. Immerhin stehen allein in den regulären Armeeeinheiten des nordkaukasischen Militärbezirks 70 000 Mann unter Waffen. Dazu kommen 80 000 Soldaten aus den Truppen des Innenministeriums, die angeblich speziell auf ethnische Konflikte und Bürgerkrieg getrimmt und teilweise moderner bewaffnet sind als die Kollegen in der Armee. Sie verfügen beispielsweise über die hochmodernen Panzer des Typs T-90, die die Armee bislang noch nicht hat. Mehr als genug, um mit den angeblich 2000 Islamisten fertig zu werden. Dennoch forderte der kommandierende General Viktor Kasanzew Verstärkung an und bekam sie auch: Luftlandetruppen, Marineinfanterie und Soldaten aus Moskauer Elitedivisionen, die im Ernstfall als eiserne Reserve des Präsidenten gedacht sind.

Seit Beginn der Kämpfe sind nach Angaben Schilins in Dagestan 600 Waggons mit Kriegstechnik angerollt und 780 weitere mit Munition. Die Luftwaffe flog demnach über 900 Einsätze gegen die Stellungen der Islamisten, auf die insgesamt 6000 Fliegerbomben unterschiedlichsten Kalibers abgeworfen worden seien. Trotzdem mussten die "Gotteskrieger faktisch im Nahkampf wie Füchse in ihren Höhlen ausgeräuchert werden". Doch die Informationen werden noch brisanter: Ehemalige Kollegen vertrauten dem jetzigen Oberst der Reserve, Schilin, an, sie hätten massive Bedenken, die Ergebnisse der Aufklärung weiter zu melden, weil sie Verrat fürchteten. Die hohen Chargen würden den Islamisten nicht nur Angaben über bevorstehende Angriffe und Umgruppierungen verkaufen, für grüne Dollars würden auch jene Minenwerfer nicht eingesetzt, die Ziele jenseits der Berge treffen könnten.

Damit ist das Sündenkonto der Armeeführung allerdings offenbar noch lange nicht erschöpft. Iwan Rybkin, bis 1995 Duma-Präsident und danach kurzzeitig Sekretär des nationalen Sicherheitsrates (und als Parteigründer angesichts nahender Wahlen auf Publicity dringend angewiesen) plauderte jüngst aus dem Nähkästchen. Als die nationale Sicherheitsdoktrin entwickelt worden sei, so Rybkin, habe seine Arbeitsgruppe ein Projekt vorgelegt, mit dem die Armee angesichts drohender regionaler Konflikte auf den Guerillakrieg orientiert werden sollte. Das Konzept sei jedoch abgelehnt worden, weil die Generalität Jelzin dazu drängte, Russland auf einen großen Krieg mit der NATO vorzubereiten. Erst im Dezember 1997 sei es gelungen, den Kreml davon zu überzeugen, dass die regionale Konzeption zumindest in Teilen in die neue Doktrin einfloss. Ein weiteres Konzept, mit dem ein besseres Zusammenspiel zwischen Armee und Polizeitruppen bei internen Konflikten erreicht werden sollte, sei indessen, so Rybkin weiter, an Rivalitäten zwischen Innen- und Verteidigungsministerium gescheitert.

Bezahlen muss dafür wieder einmal der einfache Soldat an der Front. Die Armeeführung indessen hat nach Schilins Angaben an Präsident Jelzin bereits Vorschläge zu Auszeichnungen "für persönliche Tapferkeit" in eigenen Reihen eingereicht. Militärexperte Schilin habe diese Unterlagen mit eigenen Augen gesehen. Geehrt werden sollten der Kommandeur der rückwärtigen Dienste (Logistik) und der Verantwortliche für Politik und Propaganda.

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