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Politik: Das Misstrauen der Verfolgten Warum Aleviten

in Berlin demonstrieren.

Istanbul - Die Aleviten haben es von jeher schwer in ihrer anatolischen Heimat, wo sie schon zu Zeiten des Osmanischen Reiches verfolgt und verachtet wurden. Aus dieser langen Erfahrung der Diskriminierung speist sich auch das Misstrauen gegenüber der islamisch verwurzelten Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Alevitische Verbände beteiligten sich deshalb am Mittwoch an der Protestdemonstration gegen Erdogans Deutschland-Besuch in Berlin.

Als eigenständige Glaubensgemeinschaft, deren Religion sich aus Elementen des Schiitentums und des Sufismus sowie aus vorislamischen und christlichen Einflüssen zusammensetzt, sind sie Anhängern orthodoxerer Religionen stets suspekt gewesen. Ihr Los besserte sich auch mit der Gründung der Türkischen Republik nicht, deren Staatsideologie ein einheitliches Volk postulierte und Minderheiten wie die Aleviten daher verleugnete und vereinnahmte. Einen Aufstand im alevitischen Debris schlug die Republik in den 1930er Jahren blutig nieder.

Bis heute werden die Aleviten vom türkischen Staat als Muslime registriert und behandelt. Der staatliche Religionsrat, der strikt sunnitisch-moslemisch ausgerichtet ist und per Verfassungsauftrag für die „Einheit des Volkes“ zuständig ist, baut sogar Moscheen in alevitischen Dörfern. Gegen deren Willen, wie der Alevitenführer Izzettin Dogen erst letzte Woche wieder klagte.

Zwar hat sich die Lage der Aleviten in den letzten Jahren in mancher Hinsicht deutlich verbessert. So war es ihnen noch vor zehn Jahren verboten, sich zu organisieren – allein die Gründung eines alevitischen Vereins verletze die „Einheit des Volkes“, urteilten die Gerichte. Im Zuge der Demokratisierung des letzten Jahrzehnts wurden solche Verbote abgeschafft. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgericht konnten die Aleviten durchsetzen, dass ihre Kinder nicht mehr am sunnitischen Religionsunterricht teilnehmen müssen. Und als erster türkischer Staatsvertreter entschuldigte sich Erdogan für das Massaker von Debris.

Doch diesen Worten müssten auch Taten folgen, fordern die Aleviten, die vor allem als eigene Glaubensrichtung anerkannt werden wollen. Ihre Forderungen nach Religionsfreiheit und Gleichbehandlung haben die Alevitenverbände schriftlich an Erdogan und an den Verfassungsausschuss des türkischen Parlamentes gerichtet, der an einer neuen Verfassung arbeitet. Eine Antwort haben sie bisher nicht. Susanne Güsten

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