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Politik: Das Recht in Zeiten des Krieges

Das oberste Gericht der USA verhandelt über Guantanamo

Es ist dasselbe Gericht, dem George W. Bush seine Präsidentschaft verdankt. Nun beraten die neun Oberrichter darüber, ob sie den US-Präsidenten, mitten im Wahljahr, derb in die Schranken weisen sollen. Am Dienstag begann vor dem Supreme Court in Washington die Verhandlung über das Schicksal der rund 600 Gefangenen von Guantanamo. Seit rund zwei Jahren sind sie als enemy combatants, feindliche Kämpfer, auf dem US-Marinestützpunkt inhaftiert – ohne Anklage und ohne Rechtsbeistand. Eine Stunde lang dauerte die mündliche Verhandlung. Der Schlagabtausch war mitunter schneidend, ja bissig. Eines scheint festzustehen: Einstimmig dürfte das Urteil, das noch vor der Sommerpause erwartet wird, kaum ausfallen.

Formal geht es um zwei Klagen. Sie umfassen insgesamt 16 Inhaftierte, die aus Großbritannien, Australien und Kuwait stammen. Sie alle wurden Ende 2001 in Afghanistan und Pakistan von US-Soldaten festgenommen und nach Guantanamo transferiert. Der Status von Kriegsgefangenen wird ihnen verwehrt, die US-Regierung hat lediglich zugesichert, sie gemäß der Genfer Konvention zu behandeln. Außerdem haben sie keinen Zugang zu regulären amerikanischen Gerichten. Laut einem Vertrag von 1903 haben die USA zwar die „Kontrolle“ über Guantanamo und üben dort die „vollständige Gerichtsbarkeit“ aus, nominell indes bleibt der Streifen unter kubanischer Souveränität.

Die zentrale, gleichwohl komplizierte Frage heißt: Haben die Inhaftierten das Recht, ein amerikanisches Bundesgericht darum zu bitten, den US-Präsidenten zu beauftragen, ihnen eine Anhörung zu gewähren? Um dies zu bejahen, müssen zwei Behauptungen der US-Regierung widerlegt werden. Erstens bestreitet sie, dass Personen auf Guantanamo überhaupt unter die Zuständigkeit der amerikanischen Jurisprudenz fallen. Zweitens vetritt sie den Standpunkt, für die Inhaftierten gälten keine internationalen Rechtsnormen, weil diese „Mitglieder einer irregulären Streitmacht“ gewesen seien.

Den Standpunkt der Regierung vertrat Oberstaatsanwalt Theodore Olson. „Die Vereinigten Staaten sind im Krieg“, sagte er, das Land sei einer „außerordentlichen Bedrohung“ ausgesetzt. Doch solch Pathos währte nicht lange. „Wenn Amerika nicht im Krieg wäre“, fragte ein Oberrichter, „könnten die Inhaftierten dann immer noch auf Guantanamo sein?“ Auch in diesem Fall, antwortete Olson, hätten sie keinen Anspruch auf ein reguläres Gerichtsverfahren. „Also ist die Tatsache des Krieges für ihren Status irrelevant?“ fragte der Richter schnippisch zurück. Eine gute Replik fiel Olson dazu nicht ein.

Für die Kläger sprach John Gibbons, ein 79-jähriger ehemaliger Richter beim Bundesberufungsgericht. Kubanisches Recht habe auf Guantanamo nie gegolten, sagte er.

Für die Bush-Regierung könnte es haarig werden. Die Gefängnisse auf Guantanamo sind ein Kernstück ihres „globalen Kampfes gegen den Terrorismus". Doch schon bald könnten die neun Oberrichter die Kompetenzen des Präsidenten drastisch beschneiden. Eine Tendenz in diese Richtung zeichnet sich ab. Der Supreme Court, schrieb am Mittwoch die „New York Times“, habe sich „deutlich unempfänglich“ für die Argumente der Regierung gezeigt.

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