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Politik: Das Recht zur Sorge

Die polnische Öffentlichkeit spekuliert über geheime CIA-Gefängnisse – und fürchtet Racheakte

Einstimmig schallt der Chor beschwichtigender Dementis seit einem Monat durch Polen. „Es gab und gibt keine CIA-Gefängnisse in Polen“, versichert Präsident Aleksander Kwasniewski. Als „Presse-Ente“ weist Außenminister Stefan Meller Berichte von US-Medien zurück, wonach die CIA noch bis vor einem Monat Al- Qaida-Aktivisten in Geheimgefängnissen in Polen festgehalten habe. Ihm sei die Existenz solcher Lager unbekannt, beteuert Geheimdienst-Chef Zbigniew Wassermann: Sie seien „nur ein Medien-Fakt“.

Trotz der Beteuerungen zeigt sich Polens Öffentlichkeit zunehmend besorgt. Ungläubig hatten die Medien vor Monatsfrist noch auf die ersten von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhobenen Vorwürfe reagiert, dass die CIA auf dem früheren Militärflughafen Szymany im nordpolnischen Masuren einen Geheimknast unterhalten habe. Zwar bestätigten frühere Mitarbeiter des Flughafens zumindest eine Landung einer Boeing im Jahr 2003. Aber konkrete Bestätigungen konnten Reporter dort nicht finden.

Polen sei bis vor kurzem das wichtigste Verhörzentrum der CIA in Europa gewesen, präzisierte HRW-Vertreter Marc Garlasco gegenüber der „Gazeta Wyborcza“ die Vorwürfe. Die CIA verhöre derzeit „mindestens 100“ Häftlinge in Geheimgefängnissen. Ein Viertel davon sei in Polen inhaftiert gewesen, sprach Garlasco von „mindestens zwei“ Geheimknästen: Außer einem Gefängnis unweit von Szymany sei der Großteil der Gefangenen in einem Lager im Süden Polens festgehalten worden, darunter auch der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, Chalid Scheich Mohammed. Sofort nach den ersten Presseberichten habe die CIA die Lager aufgelöst. Garlasco, der sich auf CIA-Informanten berief, sprach von „mehreren Beweisen“, für deren Veröffentlichung es aber noch zu früh sei: „Operationen von diesem Umfang konnten nicht ohne Wissen der polnischen Machthaber durchgeführt werden.“ Ob die Vorwürfe nun falsch oder wahr seien – Polen müsse „alles tun“, um sie zu erhellen, fordert die „Gazeta Wyborcza“. Ein Land, das unmoralischen Praktiken zustimme, überschreite „die Grenze zwischen Verbündetem und Lakai“. Auch auf die Gefahr hin, das Vertrauen der USA zu verlieren, müssten die Geheimdienste alle Informationen offen legen, appelliert das Blatt „Nowy Dzien“ in einem offenen Brief an den Premier.

Nicht nur die Presse zeigt sich besorgt, dass die Spekulationen über polnische CIA-Gefängnisse Racheaktionen in Form von Terroranschlägen nach sich ziehen könnten. „Die Spekulationen sind für uns sehr schädlich“, räumt Verteidigungsminister Radek Sikorski ein. Die Zeitung „Rzeczpospolita“ hat inzwischen ihr Augenmerk auf einen streng abgeschirmten Militärstützpunkt in Stare Kiejkuty gerichtet, der als Ausbildungsstätte für Geheimdienstmitarbeiter gilt. „Wir haben das Recht zur Sorge“, fordert das Blatt eine entschlossenere Aufklärung: „Es gibt zu viele Spuren, die nach Polen führen, um sie auf die leichte Schulter zu nehmen.“

Thomas Roser[Warschau]

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