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Politik: Das schwarze Dreieck

Was der Bundesnachrichtendienst schon 2001 über die Zustände in Kiew berichtete

Berlin - Der Bundesnachrichtendienst nannte es einfach das „schwarze Dreieck“. In der Region zwischen Moskau, Kiew und Minsk sollen sich nach Erkenntnissen des BND im Jahr 2000 – dem Zeitraum also, als mancher Angestellte der deutschen Botschaft in Kiew den Eindruck bekommen konnte, Visa fast schon wie Flugblätter zu verteilen – an die zwei Millionen Illegale aufgehalten haben, die einen Weg in den reicheren Westen suchten.

Menschen aus Afghanistan, Pakistan und den früheren Sowjetrepubliken, die mit Hilfe von Schleuserbanden die Staaten des Schengen-Raums erreichen wollten. Nicht zu vergessen die „erhebliche Zahl ausreisewilliger Einheimischer“, wie es in einem vertraulichen Bericht des BND heißt. Die wollten alle auch ohne Rückfahrkarte in den goldenen Westen – auf welchem Weg auch immer.

Die Analyse des BND stammt aus dem Januar 2001. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Bundesregierung wissen können, auf welche Rahmenumstände die liberale Visaregelung auch in Kiew traf. „Mit Kiew als Knotenpunkt ist die Ukraine eine zentrale Drehscheibe der illegalen Migration“, schreibt der BND in seinem geheimen Dossier damals. Nicht alle zwei Millionen standen Schlange vor der deutschen Botschaft in Kiew, gewiss. Diese war aber eines der Einfallstore für Schleuserbanden der organisierten Kriminalität, die nach BND-Erkenntnissen „die illegale Migration in der Ukraine zunehmend unter Kontrolle“ hatten.

Am Donnerstag will der Visa-Untersuchungsausschuss von Hans-Josef Beth, dem Leiter der Abteilung Internationaler Terrorismus und Organisierte Kriminalität beim BND hören, was die Bundesregierung davon gewusst hat. Und Hans-Peter Uhl (CSU), der Ausschussvorsitzende, ist sich sicher, dass die Bundesregierung Bescheid wusste – oder wissen hätte müssen. „Der BND ist dazu da, seine Erkenntnisse an das Kanzleramt und an das Innenministerium weiterzugeben“, sagt jetzt Uhl. „Wenn das Auswärtige Amt die Grenzen öffnet“, dann müssten dafür die Erkenntnisse des BND herangezogen werden meint Uhl. Mit Beths Aussage könnten so möglicherweise auch das Kanzleramt und das Innenministerium in der Visa-Affäre stärker unter Druck geraten.

Spezielles Interesse hat Uhl auch an den Erkenntnissen von Beth zu den tschetschenischen Brüdern Daudov. Diese waren nach einer BKA-Auswertung unter dem Titel „Wostok“ durch einen Partner der Reiseschutz-AG mit einem Visum aus der deutschen Botschaft in Moskau ausgestattet worden. Und sie gehören nach russischen Angaben offenbar zu den Tatverdächtigen bei der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater Nord-Ost. Inwieweit tschetschenischen Terroristen die Einreise nach Deutschland so erleichert oder erst ermöglicht wurde, will Uhl am Donnerstag jedoch wahrscheinlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem abhörsicheren Raum erfahren.

Unterdessen hat die EU-Kommission klargestellt, dass sie keine aktuellen Ermittlungen in Sachen Visa anstelle. Vielmehr prüfe man seit 2004 auf Anfrage des deutschen CDU-Europaabgeordneten Joachim Würmeling . „Wir haben keine förmlichen Ermittlungen eingeleitet“, sagte ein Sprecher. Es sei aber die Pflicht, Anfragen zu prüfen. Mit einer Stellungnahme der Kommission rechne er in sechs bis acht Wochen. Zur Untersuchung gehöre auch die heute von der Bundesregierung verfolgte Praxis. Stehe diese im Einklang mit EU-Recht, werde Brüssel wohl nicht weiter tätig. Deutschland sei jedoch in seiner Visapolitik ohne Absprache mit den europäischen Partnern vorgegangen.

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