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Politik: Das Soziale zählt

Die Länder machen die Steuerreform mit, fordern aber Bundeshilfe bei Leistungen für Bürger – oder deren Kürzung

DER STREIT UM DIE VORGEZOGENE STEUERREFORM

Von Albert Funk

und Robert von Rimscha

Wo sie auch hinschauen, die Finanzminister von Bund und Ländern sehen nur noch Löcher in den Etats, die zu stopfen sind. Und zwar jene, welche die aktuellen, konjunkturbedingten Einnahmeverluste gerissen haben. Und dann kommen noch die dazu, die aus dem geplanten Vorziehen der Steuerreform resultieren. Denn alle Länder, auch Hessen, haben dem Plan des Kanzlers im Finanzplanungsrat grundsätzlich zugestimmt. Über acht der 15,6 Milliarden Euro, um die die Bürger 2004 dadurch entlastet werden, müssen von Ländern und Kommunen getragen werden. Neue Schulden sollen möglichst nicht gemacht werden, die meisten Länder haben ohnehin keinen Spielraum mehr. Privatisierungserlöse in den Größenordnungen wie beim Bund (Telekom, Post) wird es bei den Ländern kaum geben können. Also geht es an die Ausgaben: Kürzungen beim Personal – Einschnitte beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld, längere Arbeitszeiten – und nicht zuletzt Kürzungen bei den Leistungsgesetzen, also den sozialen Wohltaten, die sich in Hunderten von kleinen Töpfen finden. Die Forderungen an den Bund werden lauter.

Beispiel Niedersachsen. Die neue CDU/FDP-Regierung muss schon ohne die vorgezogene Steuerreform ein Haushaltsloch von 1,45 Milliarden Euro stopfen. Durch das Vorziehen kämen mindestens 500 Millionen für das Land hinzu. Dabei sind die 300 Millionen Euro zusätzlicher Belastung für Niedersachsens Kommunen nicht eingerechnet. Also will das Land ein Kompensationsgeschäft: Entweder der Bund beteiligt das Land an den geplanten Privatisierungserlösen, oder er hilft bei den Leistungsgesetzen. In Hannover wird über drei Bereiche gesprochen: Sozialhilfe, Jugendhilfe, Behinderten-Eingliederung.

Gäbe es eine solche Kompensation, könnte Hannover der Steuersenkung zustimmen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat am Donnerstag daraus die Formel „nein, es sei denn“ gezimmert. Philipp Rösler, Fraktionschef des Koalitionspartners FDP, sagte dem Tagesspiegel, wie nahe dran an einem „ja, aber“ die Wulffsche Formulierung in der Realität ist: „Natürlich bleibt es unser Ziel, eine Steuerreform zu bekommen, aber aus Verantwortung für das Land eben nur mit seriöser Gegenfinanzierung.“

Die Finanzminister der Union machen sich derzeit Gedanken, wo der Bund den Ländern helfen oder wo – wenn er das nicht tut – gekürzt werden soll. Neben den Leistungen, die in Hannover genannt werden, sind geringere Hilfen bei der Unterhaltssicherung für Frauen oder beim Wohngeld im Gespräch. Und das sind nur Beispiele. Auch bei den Vorschlägen, die die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) zum Subventionsabbau machen wollen, dürften soziale Leistungen eine Rolle spielen.

Ein weiteres Kompensationsgeschäft dürfte es bei den anstehenden Sozial- und Arbeitsmarktsreformen geben. Hier will die Union die rot-grüne Koalition zu weitergehenden und rascheren Schritten drängen, als sie in der Agenda 2010 vorgesehen sind. In CDU und CSU ist die Ansicht verbreitet, dass die vorgezogene Steuersenkung verpufft, wenn der Arbeitsmarkt nicht nachhhaltig reformiert wird. Der Stuttgarter Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU) meint: „Das Kraftfutter kann erst wirken, wenn man dem Pferd vorher die Fesseln löst.“ Zudem, so heißt es in der Union, würden die Bürger ihr Geld nicht ausgeben, wenn weiter Unsicherheiten bestünden bei der Höhe der Sozialabgaben. Dass die Länder künftig in der Sozialpolitik mehr selber entscheiden wollen, dürfte ebenfalls als Forderung auf den Verhandlungstisch kommen. Baden-Württemberg etwa hat sich schon dafür ausgesprochen, das neue Arbeitslosengeld II, das aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe entsteht, nicht von der Bundesanstalt für Arbeit, sondern durch Länder und Kommunen verwalten zu lassen.

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