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Politik: Das Verfassungsgericht produziert im Auftrag der reichen Südländer vor allem eines: Unmengen bedrucktes Papier

In Karsruhe setzen sich die Richter zum dritten Mal seit 1986 mit der Umverteilung auseinanderUrsula Knapp Selten stand im Fall eines Karlsruher Verfassungsgerichtsverfahrens die Menge des bedruckten Papiers in so ungünstigem Verhältnis zu dessen Informationsgehalt wie bei der Beschwerde gegen den Länderfinanzausgleich, die an diesem Mittwoch verhandelt wird. Es keineswegs das erste, sondern bereits das dritte Mal, dass der Länder-Finanzausgleich - also die Ausgleichzahlungen der reicheren Bundesländer an die ärmeren - in Karlsruhe zur Überprüfung steht.

In Karsruhe setzen sich die Richter zum dritten Mal seit 1986 mit der Umverteilung auseinanderUrsula Knapp

Selten stand im Fall eines Karlsruher Verfassungsgerichtsverfahrens die Menge des bedruckten Papiers in so ungünstigem Verhältnis zu dessen Informationsgehalt wie bei der Beschwerde gegen den Länderfinanzausgleich, die an diesem Mittwoch verhandelt wird. Es keineswegs das erste, sondern bereits das dritte Mal, dass der Länder-Finanzausgleich - also die Ausgleichzahlungen der reicheren Bundesländer an die ärmeren - in Karlsruhe zur Überprüfung steht. Das erste Urteil stammt von 1986, das zweite ist sieben Jahre alt. 1992 verfasste der Zweite Senat ein Urteil, das mit 130 Seiten knapp den Umfang der örtlichen Gelben Seiten erreichte. Das begründet eigentlich die Annahme, dass der bestehende Länderfinanzausgleich auf diesen Urteilen basieren müsste. Wieso er das eben nicht tut, sondern trotz der Karlsruher Vorlagen wiederum Verfassungswidriges beschlossen worden sein soll, genau dazu findet man in den vielen hundert Seiten, die die Kläger Baden-Württemberg, Bayern und Hessen der Öffentlichkeit zukommen ließen, aber überraschend wenig.

So mokiert sich Hessen über die so genannte Einwohnerveredelung. Dahinter verbirgt sich, dass die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen rechnerisch mehr Einwohner zugerechnet bekommen als sie tatsächlich haben. Begründet wird das damit, dass die Stadtstaaten hohe Verwaltungs- und Regierungskosten haben, viele Begünstigte und Nutzer der stadtstaatlichen Einrichtungen aber im Umland wohnen. Da die Einkommensteuer am Wohnort - nicht am Arbeitsort - erhoben wird, haben die Stadtstaaten geringere Einnahmen als die Flächenländer. Dafür gibt es die Einwohnerveredelung, die vom Verfassungsgericht in seinem ersten Urteil von 1986 ausdrücklich gebilligt worden war. Dort heisst es auch, dass Hamburgs und Bremens Kosten für die Seehäfen als Sonderbelastung berücksichtigt werden müssen. Genau das wird von den Klägern jetzt angegriffen, ohne sich aber mit der früheren Rechtsprechung auseinander zu setzen.

Auch die Beschwerde, die Nehmer-Länder stünden nach dem Finanzausgleich besser da als die Zahlerländer, müsste sich eigentlich gegen die Karlsruher Richter wenden. Denn sie schrieben 1992 zwar fest, dass die Reihenfolge in der Finanzkraft der Bundesländer nicht durch den Länderfinanzausgleich und die Zahlungen des Bundes verkehrt werden dürfe. Für den Fall einer Haushalts-Notlage machte der Zweite Senat aber eine große Ausnahme. Bremen und dem Saarland wurden damals ausdrücklich Haushalts-Notlagen bescheinigt, die erheblichen ergänzenden Zuweisungen des Bundes deshalb gebilligt. Aber erst durch diese Zuweisungen des Bundes verändert sich die Reihenfolge in der Finanzkraft der Länder. Dies gilt verstärkt seit 1995, seit die neuen Bundesländer am Länderfinanzausgleich teilnehmen und darüber hinaus in erheblichem Umfang Bundesergänzungszuweisungen erhalten. Die Verfassung verlangt vom Länderfinanzausgleich die Sicherstellung, "dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird". Von einer Pflicht, die Geberländer über eine bestimmte Anteilsumme hinaus nicht zu belasten (darauf läuft die Klage hinaus), ist dagegen nicht die Rede.

Trotzdem gehen die fünf neuen Länder sowie die Nehmerländer Bremen, das Saarland und Rheinland-Pfalz weniger gelassen in die Verhandlung als es die bisherige, die schwachen Länder stützende Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nahelegen könnte. Denn die große Frage ist: Wird der Zweite Senat seine bisherigen Urteile revidieren? Die Angst der Nehmerländer hat einen Namen, nämlich Paul Kirchhof. Kirchhof, vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter Professor in Heidelberg, vertrat 1986 als solcher das Land Baden-Württemberg. Damals stritt er gegen die Einwohnerveredelung der Stadtstaaten und die Anerkennung der Seehäfen als Sonderlasten. Fünf Bundesländer versuchten deshalb, Kirchhof wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, blieben aber erfolglos. Tatsächlich kann ein Richter nicht von einem Verfahren ausgeschlossen werden, weil er dreizehn Jahre zuvor einen bestimmten Standpunkt vertrat. Dennoch erscheint es möglich, dass der Verfassungsrichter seine Überzeugungen nicht geändert hat und nun für eine Änderung der gesamten Rechtsprechung fechten wird. Genau diese Angst der Nehmerländer begründet die Hoffnung der klagenden Süd-Länder.

In der Anhörung werden mehrere Ministerpräsidenten die Positionen ihrer Länder persönlich vertreten. Erwin Teufel (CDU), Edmund Stoiber (CSU) und Roland Koch (CDU) wollen ihre Klage selbst vertreten. Auch die SPD-Landes-Chefs von Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt, Heide Simonis und Reinhard Höppner, sowie die SPD-Bürgermeister Henning Scherf (Bremen), Ortwin Runde (Hamburg) und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) werden in Karlsruhe erwartet. Koch bezeichnete den Länderfinanzausgleich vor kurzem als einen Akt "absurder Übernivellierung". Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet. Fotos: Schicke, ZB, Unkel © 1999

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