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Politik: Das Vertrauen kontrollieren

Von Christoph von Marschall

Tue Gutes und rede darüber. Wie schön, dass Kanzler Schröder die Weisheit im Verhältnis zu Russland beherzigt. Sonst wäre einem glatt entgangen, wie fantastisch das heute ist: Über Tschetschenien kann man nun offen reden und womöglich bei einer Lösung kooperieren. Der Jugendaustausch kommt in Gang, die Wirtschaft hofft auf neue Geschäfte. Und in der Ukraine, das betonen Schröders Parteigänger, sei nur dank seiner Kontakte Schlimmeres verhütet worden; Moskau wolle jetzt ein demokratisches Wahlergebnis akzeptieren.

Ohne diese Interpretation hätte man den ganz falschen Eindruck gewinnen können: Dass es nämlich um diese Beziehungen immer noch viel schlechter steht als um die deutschamerikanischen in schlechten Zeiten. Oder würde man es wagen, die Nachricht, Schröder könne mit Bush offen über den Irak reden, als besondere Erfolgsmeldung zu verkaufen? Dort kooperiert die Bundesregierung längst, bis hin zur Ausbildung und Ausrüstung von Polizei und Armee. In der Ukraine war das wahrhaft Gespenstische nach der gefälschten Wahl, dass tagelang niemand aus dem Westen bei Putin anrief, auch Schröder nicht. Der musste von den internationalen Vermittlern dazu gedrängt werden. Am Runden Tisch in Kiew war nicht zu spüren, dass Schröders zwei Telefonate mit Putin Wirkung erzielt hätten. Erst als der Machtkampf entschieden war – durch Massenproteste, das Oberste Gericht und das Parlament der Ukraine – änderte Russland seine harte Haltung. Nun fand Putin sogar Gefallen an einer EU-Perspektive für die Ukraine.

Wie groß ist Schröders Einfluss also wirklich, und was hat Deutschland davon? Der Kanzler glaubt fest an seinen besonderen Draht. Putin hat sich wie er aus einfachen Verhältnissen nach ganz oben gearbeitet – das verbindet Schröder auch mit dem türkischen Premier Erdogan. Putin ist der einzige Staatsmann, mit dem Schröder ganz ohne Dolmetscher reden kann, weil der so gut deutsch spricht. Keine Frage, Schröder nimmt Rücksicht, kritisiert weder Putin noch dessen Tschetschenienpolitik öffentlich, nennt die Zerschlagung des Ölriesen Jukos eine rein innerrussische Angelegenheit. Der Kanzler hält sich zugute, das eröffne ihm Einfluss. Vermutlich denkt Putin das Gleiche, nur umgekehrt: Er lenke Schröder – auch durch das Weihnachtsgeschenk vorgezogener Schuldentilgung, die dem Bundesetat 2005 Milliarden beschert.

An der Pflege dieses Sonderverhältnisses wäre nichts auszusetzen, wenn Schröder es nicht als Selbstzweck, sondern als Instrument der deutschen Interessen begreifen würde, Russland zu verändern, zu zivilisieren. Das kann nur langfristig gelingen. Da ist es ärgerlich, dass der Kanzler sich unter den Druck setzt – oder setzen lässt –, sofort Erfolge vorzuweisen. Die kurzfristigen sind so überzeugend nicht, jedenfalls noch nicht. Und wenn es stimmte, dass Russland noch viel, viel problematischer wäre, wenn der Kanzler nicht so wahnsinnig viel Einfluss nähme, dann müsste man ja fragen: Darf so ein Russland überhaupt ein enger Partner sein?

Man kann nur hoffen, dass der Kanzler mehr Einfluss hat, als sichtbar wird, und dass er ihn nutzt. Zum Beispiel, um nach der neuen Stichwahl in der Ukraine einen Fünfergipfel zur Stabilisierung des Landes zu ermöglichen: der Wahlsieger, für die EU Javier Solana, Polens Präsident Kwasniewski, Putin und Schröder. Und um in Russland die Zivilgesellschaft zu fördern. Das freundliche Gesicht für die Tschetschenien-Demonstranten in Schloss Gottorf zeigt Putin daheim nicht.

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