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Politik: „Das vielleicht schlimmste Kriegsverbrechen im Irak“

US-Militär untersucht Tod von 24 Zivilisten bei Einsatz gegen Aufständische in Haditha / Schwere Vorwürfe von Menschenrechtlern

Das US-Parlament ist alarmiert durch Berichte, wonach Marines bei einem Einsatz in Haditha, einem Widerstandszentrum im Irak, im vergangenen November 24 Zivilisten erschossen haben sollen, ohne selbst in Gefahr zu sein. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht vom „vielleicht schlimmsten Kriegsverbrechen im Irak“, sofern sich die Vorwürfe bewahrheiteten. Der republikanische Abgeordnete John Kline sagte der „New York Times“ nach Einblick in die entsprechenden Unterlagen: „Dies war kein unglücklicher Zufall. Dies war keine Reaktion auf einen Angriff. Dies waren gezielte Schüsse auf Zivilisten.“ Sein demokratischer Kollege John Murtha spricht von kaltblütigem Mord.

Das US-Militär betreibt seit Wochen zwei Untersuchungen: eine, um die Abläufe aufzuklären, und eine, um festzustellen, ob die betreffende Einheit versucht hat, den Vorfall zu vertuschen. Der erste Einsatzbericht der Marines hatte behauptet, in Haditha habe eine Bombe am Straßenrand einen US-Soldaten und 15 Zivilisten getötet; danach habe es Schüsse aus dem Hinterhalt auf den US- Konvoi gegeben. Später hieß es, die Zivilisten seien Opfer eines Kreuzfeuers bei Kämpfen mit Aufständischen geworden.

Die Anschuldigungen hatte das „Time Magazin“ zum ersten Mal im März veröffentlicht, es berief sich auf irakische Augenzeugen und Menschenrechtsorganisationen. Die Rekonstruktion der Ereignisse wurde möglich, weil die US-Armee nach Einsätzen, bei denen Menschen sterben, forensische Einheiten an den Tatort schickt und zudem Marines aus der betroffenen Einheit bei der Untersuchung kooperierten.

Die Rekonstruktion ergab, dass im November nur der US-Soldat durch die Bombenexplosion getötet worden war, die 24 Zivilisten starben in den darauf folgenden drei bis fünf Stunden, und zwar durch Schüsse einer kleinen Gruppe von Marines, die die Umgebung durchkämmte. Die Soldaten töteten fünf Männer, die an einem Checkpoint neben einem Taxi warteten. Bei der Durchsuchung von mindestens zwei Häusern erschossen sie auch Frauen und Kinder. Nach Aussage eines hohen Pentagonbeamten war die Einheit während der Aktion „nicht unter feindlichem Feuer und auch nicht in Lebensgefahr“. Die forensischen Erkenntnisse widerlegen außerdem die Version der Soldaten, sie seien aus den Häusern beschossen worden, in die sie eindrangen. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf den Unteroffizier, der die Gruppe führte, und bis zu zwölf Soldaten. Als Tatwaffen wurden laut Bericht „einige wenige Gewehre“ festgestellt. Ihr Bataillon ist mittlerweile zurück in Kalifornien. Der Bataillonschef und zwei Kompanieführer sind vom Dienst suspendiert, laut Pentagon ohne Verbindung zu den Vorfällen.

Die Berichte haben Entsetzen im Kongress und in der Armee ausgelöst sowie Besorgnis über die Reaktionen der US-Öffentlichkeit und der Welt. Seit Tagen informieren hohe Militärs Abgeordnete, um eine „Explosion der Empörung“ zu verhindern, wie sie auf die Nachricht von der Misshandlung Gefangener im irakischen Gefängnis Abu Ghraib durch US-Soldaten folgte. Als Zeichen der Alarmstimmung gilt, dass General Michael Hagee, Kommandeur des Marine Corps, am Donnerstag in den Irak flog, um die Soldaten zur Einhaltung der Genfer Konvention und der US-Vorschriften für Kriegseinsätze zu ermahnen. Die mutmaßlichen Täter müssen mit Anklagen wegen Mordes rechnen. Ihre Anwälte wollen auf die „chaotische“ und lebensgefährliche Lage in Haditha verweisen, einem Zentrum des sunnitischen Widerstands. An dem Tag hatte es eine Welle von Angriffen auf Soldaten gegeben. Es sei bekannt gewesen, dass die Aufständischen aus der Deckung zwischen Zivilisten agierten.

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