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Politik: Das Vorbild der Skrupellosen

WER WAREN DIE TÄTER?

Von Frank Jansen

Es sind diese Bilder, vor allem die kleinen Details, die unter die Haut gehen. Da sitzt ein junger, blutüberströmter Spanier auf dem Boden und drückt auf seinem Handy eine Nummer ein. Der Verletzte macht etwas, was jeder von uns täglich tut, was uns vertraut ist, und doch ist diese Szene unfassbar. Oder das Bild der Frauenleiche, vor die ein Feuerwehrmann eine Decke hält, so dass nur noch die spitzen Pumps zu sehen sind – modische Schuhe, wie sie auch Frauen hier in Berlin tragen, vielleicht sogar die Kollegin eine Tür weiter. Der Horror von Madrid hakt sich in unseren Gemütern fest, weil Spanien so nah und vertraut ist. Es sind Bilder aus einem Land, das die Deutschen aus ihrem Urlaub gut kennen und mögen wie kaum ein anderes – da erschreckt die Ahnung noch mehr, es könnten morgen Bilder aus Berlin, Hamburg, München sein.

Wer auch immer in Madrid gebombt hat, er hat jede europäische City getroffen. Der Terror ist uns so nahe gerückt wie selten zuvor. Europa hat in Madrid seinen 11. September erlebt. Und es erscheint unausweichlich, dass weitere Anschläge folgen. In diesem Zustand der ahnenden Angst ist nur schwer zu ertragen, dass die Täter noch nicht bekannt sind. Die spanischen Behörden vermuten weiterhin eher die Eta als Al Qaida oder andere Islamisten, doch eine Gewissheit gibt es nicht. Schon jetzt steht allerdings fest, dass der Terrorismus eine neue Stufe der Eskalation erreicht hat.

Wenn es die Eta war, würde dies bedeuten, dass eine nichtislamistische Terrortruppe von der „Effizienz“ der muslimischen Gotteskrieger gelernt hat – und auch ihre entgrenzte, massenmörderische Skrupellosigkeit kopiert. Das wäre kein rein spanisches Problem, nur weil die Eta bislang außerhalb des Landes nicht gebombt hat. Die Eta hätte vielmehr modellhaft anderen Extremisten von Links und Rechts demonstriert, wozu europäischer Terrorismus fähig ist. Die stimulierende Wirkung ist nicht zu unterschätzen. In Deutschland hat sich schon im vergangenen Jahr gezeigt, dass Neonazis Anschläge in einer kaum vorstellbaren Dimension planen können. In München wollte eine braune Terrorgruppe am 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, eine Bombe auf der Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums zünden – während der Grundsteinlegung mit Bundespräsident Rau und anderen Prominenten.

Noch unheimlicher erscheint allerdings die Vorstellung, die Anschläge in Madrid habe Al Qaida oder ein anderer Trupp Gotteskämpfer verübt. Damit hätte sich der islamistische Terror weiter radikalisiert. Bislang mussten die Attentatsziele immer Symbolcharakter haben – sei es das World Trade Center der verabscheuten USA, ein Generalkonsulat der mit den Amerikanern besonders eng verbündeten Briten oder eine Synagoge der verhassten Juden. In Madrid wurden jedoch schlichte Pendlerzüge getroffen. Wenn es Al Qaida oder eine Gruppe „non-aligned Mujahedin“ war (vielleicht sogar mit Kontakt zur Eta?), würde dies den Übergang zum wahllosen Massenmord ankündigen. Dann erschiene auch ein Selbstmordattentat im Zentrum einer deutschen Stadt logisch. Womöglich reicht aber schon das Fanal „Madrid“ aus, um Fanatiker gleich welcher Couleur zu Angriffen auf weiche Ziele anzustacheln. Wie soll man sich davor schützen?

Der Terrorismus des 21. Jahrhunderts hat sein technisches Potenzial noch nicht ausgeschöpft. So überlegt Al Qaida schon länger, Atomkraftwerke anzugreifen. Nach dem 11. September, und das hat „Madrid“ bestätigt, sind keine noch so furchtbaren und bizarren Anschlagsvarianten auszuschließen – und noch grauenvollere Bilder.

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