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Politik: „Das war ein fantastisches Jahr“

Deutschland und Frankreich sind sich seit den Feiern zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages näher gekommen – eine Bilanz des französischen Botschafters Claude Martin

Am 22. Januar ist es ein Jahr her, dass Deutschland und Frankreich den 40. Jahrestag des ElyséeVertrages gefeiert haben, der nach dem Krieg die Aussöhnung besiegelte. Wie blicken Sie auf das vergangene Jahr zurück?

Wir haben ein fantastisches Jahr erlebt, ein „annus mirabilis“ sozusagen. Die gemeinsame Sitzung der beiden Parlamente vor einem Jahr in Versailles, die Einweihung der französischen Botschaft in Berlin – das waren symbolisch wichtige Momente. Viele haben zwar damals eingewandt, dass es sich dabei nur um ein Ritual gehandelt habe. In Wirklichkeit war der 22. Januar 2003 nur der Anfang. Die jeweiligen Fachminister der beiden Regierungen haben sehr eng zusammengearbeitet.

Wie sah diese Zusammenarbeit aus?

Die Justizminister Deutschlands und Frankreichs, Brigitte Zypries und Dominique Perben, bemühen sich beispielsweise darum, einen gemeinsamen Rechts-Raum für die Bürger der beiden Länder zu gründen. Das hat mit der Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft für Deutsche und Franzosen zu tun. Noch ein Beispiel: Im Bereich der Sicherheit haben wir ein gemeinsames Polizeizentrum in Kehl, das für die Zusammenarbeit der Polizeisysteme in beiden Ländern zuständig ist. Ich finde, dass wir im zurückliegenden Jahr mehr getan haben als in den letzten fünf Jahren.

Aber das „annus mirabilis“ endete mit einem deutsch-französischen Sündenfall, nämlich dem Bruch des Stabilitätspaktes.

Das ist keine Sünde. Es geht auch nicht um eine Verletzung des Stabilitätspaktes. Deutschland und Frankreich haben die Verantwortung, die Konjunktur in Europa zu stärken. Es stellt sich nur die Frage: Wie können wir die Konjunktur beleben, wenn wir nicht die Freiheit haben, unsere eigenen Volkswirtschaften zu beleben? In der Substanz gibt es da keinen großen Unterschied zur Auffassung der EU-Kommission. Die einzige Frage, die übrig bleibt, ist die der Kompetenz: Entscheiden am Ende die EU-Finanzminister oder entscheidet die EU-Kommission? Das muss nun der Europäische Gerichtshof klären.

Bei aller Eintracht haben es Deutschland und Frankreich noch nicht zu einem gemeinsamen Maut-System gebracht. Frankreich hat ein Maut-System, das zwar Jahrzehnte alt ist, aber immerhin funktioniert. Wie reagiert man in Frankreich auf die deutsche Pannenserie?

Wir beobachten das deutsche Experiment mit Interesse. Das deutsche Mautsystem hat natürlich Vorteile. Es ermöglicht eine Kontrolle nicht nur auf den Autobahnen wie bei uns, sondern es umfasst auch den Rest des Straßennetzes. Über diese Frage hinaus muss ich aber eine Bemerkung machen: Frankreich und Deutschland nehmen einen großen Teil der Fläche der Europäischen Union ein. Was wir also in die EU-Verkehrspolitik einbringen und was die anderen einbringen, ist nicht genau dasselbe. Deutschland und Frankreich befinden sich im Zentrum Europas und nehmen zwangsläufig einen großen Teil des Transitverkehrs auf – tun also auch mehr für den Verkehr als die anderen EU-Partner. Das muss auch in den Diskussionen über eine gemeinsame EU-Verkehrspolitik berücksichtigt werden.

Deutschland und Frankreich sollen sich also nicht verstecken?

Wir haben immer das Gefühl, dass wir uns in Europa entschuldigen müssen, wenn zwei große EU-Mitglieder eine gemeinsame Initiative ergreifen. Das hat auch mit einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ nichts zu tun. Es geht hier nur um ein Europa, in dem einige vorangehen, wenn die anderen sich nicht bewegen wollen oder können. Natürlich mit einer Voraussetzung: Die Tür ist offen, jedes Land kann dabei sein.

Was ist übrig geblieben vom Appell zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages, den Unterricht in der Sprache des jeweils anderen Landes zu intensivieren?

Wir können keine großen Ambitionen für Europa entwickeln und uns gleichzeitig in der Sprache immer weiter vom anderen Partner entfernen …

... die Zahlen sind rückläufig. Immer weniger Franzosen lernen Deutsch, immer weniger Deutsche Französisch.

Ja, weil alle das Gefühl haben, dass die englische Sprache einfacher ist.

Generell hat der Pisa-Schock in Deutschland das Bedürfnis nach einem möglichst früh beginnenden Fremdsprachenunterricht verstärkt. Ist beispielsweise in Berlin geplant, den Französischunterricht an den Grundschulen über das bestehende Angebot hinaus auszuweiten?

Wir wollen mit dem Senat darüber sprechen. Man muss nur eines sehen: Berlin ist schon sehr offen für den Fremdsprachen-Unterricht. Aber wir wollen mehr tun in Berliner Bezirken und Gegenden, wo die französische Sprache bis jetzt keine so große Rolle gespielt hat – etwa in Marzahn oder in Friedrichshain. Es gibt im Osten Berlins und in den neuen Bundesländern eine große Neugier und eine regelrechte Lust, Französisch zu lernen. Es wäre traurig, wenn wir darauf nicht reagieren würden.

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller, Albrecht Meier und Hermann Rudolph.

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