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Politik: Datenflut im Inselreich

In Großbritannien nimmt die Überwachung der Bürger immer mehr zu – Blair reicht das noch nicht

In Großbritannien gibt es mehr Überwachungskameras als in jedem anderen Land der Welt – 4,2 Millionen davon, eine für jeweils 14 Einwohner. Jedes Auto, das ins Zentrum von London fährt, wird von den Kameras der Straßenmaut erfasst und registriert. Die „Oyster Card“ der Londoner Verkehrsbetriebe registriert per Radiochip jede Passagierbewegung und bucht das Geld automatisch vom Konto ab. Auch in der Speicherung von DNA-Informationen sind die Briten Weltspitze: Die ursprünglich nur für Verbrecher gedachte Datenbank der Polizei enthält inzwischen 3,6 Millionen Proben.

Doch Premierminister Tony Blair reicht das nicht: Er forderte jüngst alle Briten auf, nach seinem Beispiel freiwillig eine DNA-Probe bei der Polizei abzugeben. „Wenn man die Technologie hat, muss man sie auch nutzen“, argumentiert er. Und viele Briten denken auch so. „Dass Kameras Kriminalität verhindern und bei der Festnahme von Verbrechern helfen, ist mir wichtiger als ein möglicher Verfolgungswahn“, schrieb etwa eine Clare Rogers auf der Webseite der BBC.

So sind die Briten die am besten ausspionierten Menschen der Welt geworden. Auf einer bei einer Londoner Datenschutzkonferenz von der Menschenrechtsorganisation „Privacy International“ vorgelegten Weltkarte hat Großbritannien die gleiche Farbe wie China, Russland und Malaysia. Gelobt wird dagegen Deutschland. Es liegt mit Kanada an der Spitze der „Länder mit wichtigen Sicherungen vor Datenmissbrauch“.

Ein auf der Konferenz debattierter Bericht stammt vom britischen Datenschutzbeauftragten Richard Thomas selbst und enthält düstere Warnungen. Die Kombination von sogenannten CCTV-Kameras, biometrischen Daten, Datenbanken und Satelliten-Tracking werde von neuen „Smart Systems“ benutzt, das Verhalten von Millionen von Menschen zu überwachen. Und potenziell zu beeinflussen. Die meisten dieser Systeme sind automatisiert und unsichtbar und werden vom öffentlichen Dienstleistungssektor unterhalten – und oft mit dem Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt. „Der Einzelne hat deshalb keine Wahl, ob er teilnehmen will oder nicht.“

Die Labourregierung bastelt selbst an den größten Datenbanken: Schon gibt es 8000 Geräte im Land, die automatisch Autonummern lesen können. Wenn die allgemeine Straßenmaut kommt, an der Labour eifrig bastelt, wird jede Autofahrt im Land gespeichert. Eine neue Gesundheitsdatenbank soll – ähnlich wie in Deutschland – die medizinischen Daten aller Briten verlinken und gleichzeitig die Zugangsrechte zum staatlichen Gesundheitssystem überwachen. Auf Grundlage eines neuen „Kindergesetzes“ will Labour alle Kinder in einer Datenbank registrieren. Das alles ist nur ein Vorläufer für die Megadatenbank, auf der nach Regierungsplänen einmal alle Personendaten zusammengeführt werden sollen: vom Blutdruck bis zur Wählerliste, vom Führerschein bis zu den Rentenansprüchen.

Datenschutzwächter Richard Thomas fordert eine Debatte darüber. „Wir müssen wissen, wo die Grenzen sind, was akzeptabel ist und was nicht.“ Laut „Privacy International“ muss Großbritannien die Kontrollen gegen Datenmissbrauch verschärfen. Labour, argumentieren Menschenrechtsgruppen, nehme die individuellen Freiheitsrechte auf die leichte Schulter. Doch Blair argumentiert, zu oft gehe der Schutz individueller Freiheit und Privatheit auf Kosten der Sicherheit, also der „Freiheit der Mehrheit“.

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