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Datenschutz: Karlsruhe: Präventive Telefonüberwachung ist nichtig

Die niedersächsische Polizei darf nicht mehr vorbeugend Telefone überwachen. Das Bundesverfassungsgericht kassierte eine Regelung im Landespolizeigesetz, weil Unbescholtene zu leicht abgehört werden können.

Karlsruhe (27.07.2005, 14:20 Uhr - Das vorbeugende Abhören von Telefonen ohne konkreten Tatverdacht ist in Deutschland künftig nur noch unter strengen Voraussetzungen zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch eine entsprechende Abhörbefugnis im niedersächsischen Polizeirecht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Gesetz vom Dezember 2003, das solche Maßnahmen schon im Vorfeld möglicher Straftaten zulässt, schütze unbescholtene Personen nicht ausreichend davor, abgehört zu werden. Es enthalte zudem keine hinreichenden Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre, entschied das Karlsruher Gericht. Außerdem habe Niedersachsen seine Zuständigkeit überschritten. (Aktenzeichen: 1 BvR 668/04 vom 27. Juli 2005)

Nach dem Urteil verstößt die Regelung gegen das im Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis. Damit gab der Erste Senat unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier der Verfassungsbeschwerde eines Oldenburger Richters statt. Die Entscheidung hat bundesweite Bedeutung, weil auch Thüringen eine ähnliche Regelung hat und beispielsweise Bayern und Hamburg solche Gesetze planen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte in einem dpa-Gespräch, er erwarte auch Auswirkungen auf Forderungen von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), das Bundeskriminalamt mit präventiven Abhörbefugnissen auszustatten.

Mit Blick auf sein Urteil zum großen Lauschangriff entschied der Erste Senat, dass der "Kernbereich privater Lebensgestaltung" auch beim Abhören von Telefonen besonders geschützt sein müsse. Zwar sei dieser Schutz nicht so weit reichend wie bei der akustischen Überwachung von Wohnungen. Allerdings müsse auch das Mithören eines Telefongesprächs abgebrochen werden, wenn dort private Angelegenheiten besprochen würden. Die Ergebnisse solcher Maßnahmen dürften nicht verwertet werden.

Die Karlsruher Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre führten am Mittwoch zu Forderungen, die Grundrechte auch bei der "normalen" - gegen Tatverdächtige gerichteten - Telefonüberwachung zu stärken. Nach Ansicht der Grünen sind hier Einschränkungen nötig. "Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland nicht Abhörweltmeister bleibt", erklärten die Abgeordneten Silke Stokar und Jerzy Montag. Der FDP- Innenpolitiker Max Stadler plädierte dafür, "Wildwuchs zu beschneiden". Auch Schaar sieht hier Reformbedarf. Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium kündigten eine eingehende Prüfung an.

Dem Urteil zufolge ist der einschlägige Paragraf im niedersächsischen Polizeirecht zu unbestimmt. Danach durfte die Polizei Telefongespräche abhören sowie Verbindungsdaten, Standortkennungen von Handys, E-Mail- und SMS-Verkehr auswerten, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass die Person "Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen werde. Laut Gericht fehlen dort Kriterien, nach denen die Polizei harmloses Verhalten von der Vorbereitung künftiger Delikte unterscheiden soll. Vor allem kritisierte der Senat, dass nach dem Gesetz auch "Kontakt- und Begleitpersonen" potenzieller Straftäter abgehört werden können. Zudem sei der Straftatenkatalog, der eine Überwachung erlauben soll, zu weit gefasst.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kritisierte, das Urteil schwäche die Polizei im Kampf gegen den Terrorismus. Das Gesetz müsse nun "in wesentlichen Punkten nachgebessert und eingeschränkt werden". Thüringen will seine - ähnliche - Regelung zunächst überprüfen. Bayern hält an seinen Plänen für eine vorbeugende Telefonüberwachung fest. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz hält die präventive Überwachung weiter für möglich, aber unter klar begrenzten Voraussetzungen.

Der Erste Senat sprach Niedersachsen außerdem die Zuständigkeit für die Regelung ab. Die Bundesländer seien zwar für die Gefahrenabwehr, also für das Polizeirecht, zuständig, womit sie Abhörmöglichkeiten zur "Verhütung von Straftaten" schaffen dürfen. Telefonüberwachung zur "Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten" - also die vorsorgliche Beweisbeschaffung für künftige Strafverfahren - könne ausschließlich der Bund regeln. (tso)

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