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Eigenwillige Briten - ob sie tatsächlich aus der EU aussteigen, wird eine Abstimmung zeigen.

© dpa

David Cameron und die EU: Der Wackelkandidat

Premier David Cameron will die Briten über einen EU-Austritt seines Landes abstimmen lassen. Was bedeutet das für Europa?

Premier David Cameron hat den Briten am Mittwoch in einer europakritischen Rede ein Referendum über Verbleib oder Austritt aus der EU versprochen. Es soll bis Ende 2017 stattfinden – wenn er dann noch Premier ist.

Was will Cameron mit der Rede erreichen?
Cameron will drei Dinge gleichzeitig schaffen: Den Europastreit in seiner eigenen Partei schlichten, die Zustimmung zur EU in seinem Land demokratisch stärken und Reformen für die gesamte EU anstoßen. Aber er trat damit auch einen Machtkampf in der EU los, in dem die Verfechter eines immer enger integrierten Kerneuropas gegen diejenigen antreten, die an der Peripherie stehen und ein lockereres Europa wollen: „Die EU muss mit der Geschwindigkeit und Flexibilität eines Netzwerks handeln können, statt mit der steifen Schwerfälligkeit eines Blocks”, sagte Cameron.
Cameron nennt drei Möglichkeiten: Entweder es gibt Reformen für ganz Europa oder einen Sonderstatus mit weiteren „Opt-Outs“ für die Briten oder, so ist impliziert, er selbst kann bei einem Referendum nicht, wie von ihm gewünscht, guten Gewissens den Verbleib Großbritanniens in der EU empfehlen.

Was fordert Cameron von der EU?
Der Premier fasste in seiner Rede die Reformforderungen in fünf Stichworten zusammen: Wettbewerbsfähigkeit – darunter versteht er vor allem die Vollendung des Binnenmarktes, der zwar bei Gütern funktioniere, nicht aber bei Dienstleistungen, im Bereich Energie und Digitales. Er forderte einen Abbau von Regulierungen, wie die der Arbeitszeit, die Europa im internationalen Wettbewerb benachteilige. Außerdem will Cameron, dass nationale Parlamente wieder mehr Kompetenzen bekommen. Als letztes nannte er Fairness – womit er vor allem meint, dass die Veränderungen innerhalb der Eurozone nicht zu Lasten derer gehen dürfen, die die Währung nicht haben.
Cameron definierte die EU als „Familie demokratischer Nationen, deren wesentliches Fundament der Binnenmarkt, nicht die gemeinsame Währung ist“. Ausdrücklich distanzierte er sich damit vom Ziel einer „immer engeren Union“ im europäischen Gründungsvertrag.

Wie würden die Briten heute über einen Verbleib in der EU entscheiden?
Die Briten waren in Umfragen in den letzten 20 Jahren stets die euroskeptischsten Europäer. In der jüngsten Umfrage von YouGov stimmen zum ersten Mal seit Beginn der Eurokrise mit 40 Prozent aber mehr Befragte für den Verbleib. Nur 34 Prozent wollen aus der EU austreten – Ende November lag ihr Anteil bei 51 Prozent. Diese Wende spiegelt die jüngste Serie von Warnungen aus Wirtschaftskreisen wider, dass eine lang anhaltende EU-Debatte Unsicherheit schaffen, Investoren abschrecken und Großbritanniens Wirtschaft „an den Abgrund führen“ würde, wie Vizepremier Nick Clegg drastisch formulierte. Auch beim Referendum 1975 war die Mehrheit zunächst gegen eine EU-Mitgliedschaft, dann stimmten doch die meisten Briten für den Verbleib.

Umfragen sind aber mit Vorsicht zu genießen. Cameron, der sich bei der nächsten Unterhauswahl um ein Mandat für seinen Kurs bemühen wird, liegt wohl ziemlich auf Augenhöhe mit den Briten. Seine Strategie zielt auf eine mehrheitsfähige Mitte, die Europa als gemeinsamen Markt bejaht, aber nicht als Projekt einer politisch integrierten Staatenföderation. In einer Umfrage vom Januar sprachen sich 50 Prozent für den Verbleib in der EU aus, wenn Großbritanniens Status neu definiert wird und nur ein harter Kern von 25 Prozent würde unter diesen Umständen austreten. Ohne eine neuen Vertragsbasis dagegen schnellt in dieser Umfrage die Zahl der Unentschiedenen und der Austrittswilligen drastisch nach oben, während die Zahl der „Bleiber“ auf 31 Prozent sinkt. Rund 60 Prozent fordern seit langem, dass in der Europafrage mit einem Referendum ein neuer demokratischer Konsens gebildet wird.

Was versprechen sich die Briten von einem EU-Ausstieg?

Was versprechen sich die Briten von einem Ausstieg aus der EU?
Unterm Strich wollen sie, dass Brüssel weniger Einfluss auf ihre nationalen Geschicke hat – vor allem im Bereich Justiz, Immigration oder Arbeitsmarktregulierung. Aber sogar Tory-Euroskeptiker wollen mit dem Slogan, „zurück zum gemeinsamen Markt“ in den nächsten Wahlkampf ziehen. Nur eine Minderheit würde den Austritt auch dann wählen, wenn Camerons Versuch eines „reset“ der Beziehungen gelingen sollte.

Diese Euroskeptiker sehen nicht mehr, dass die Vorteile des gemeinsamen Markt seine Nachteile an Bürokratie und Regulierungsbürde aufwiegen. Großbritannien exportiert inzwischen mehr in den Rest der Welt als nach Europa. Während es im Handel mit Deutschland stark im Defizit liegt, werden mit den USA, Australien oder Saudi Arabien Überschüsse erwirtschaftet. Wegen des Handelsdefizits mit Europa von 54 Milliarden Pfund glaubt die „Besser draußen“-Gruppe, dass die EU Großbritannien den Zugang zu ihren Märkten nicht verwehren wird. Sie glauben auch, dass Großbritannien als unabhängige Handelsmacht leichter wieder Anschluss an traditionelle Handelspartner im angelsächsischen Raum gewinnen kann. Während die großen, internationalen Firmen vor einem Austritt warnen und die „Honda-Frage“ zitieren – die Möglichkeit, dass japanischen Autohersteller, die Milliarden in Großbritannien investiert haben, bei einem Austritt in die Eurozone umziehen könnten –, setzen kleinere Betriebe auf mehr Flexibilität und weniger Europa.

Wie reagiert die britische Politik?
Der Chef der EU-Austrittspartei UKIP, Nigel Farage, frohlockte: „Der Geist ist aus der Flasche.“ In Camerons eigener Partei gab es viel Lob für ihn. „Auf den Kopf getroffen“, lobte auch Camerons Rivale, der Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Aber auch Euroskeptiker der Labourpartei lobten ihn. Zugleich fehlte es nicht an Warnungen vor der hochriskanten Strategie. Im Unterhaus schauten Camerons liberaldemokratische Koalitionspartner peinlich berührt auf den Boden. „Das wird Jobs und Wachstum kosten und ist nicht in unserem nationalen Interesse“, sagte der stellvertretende Premier Nick Clegg. Labourchef Ed Miliband attackierte Cameron mit der Frage, wie er abstimmen werde, wenn der Wunsch nach einer neuen Vertragslösung scheitere.

Was würde ein EU-Austritt Großbritanniens für die Gemeinschaft bedeuten?
Es wäre ein tiefer Einschnitt für die Gemeinschaft. Großbritannien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU. Würde es mit seinen rund 63 Millionen Einwohnern die EU verlassen, könnte auch die Anziehungskraft des europäischen Binnenmarktes für Investoren aus Drittländern insgesamt sinken, die Bedeutung der EU bei weltweiten Handelsgesprächen würde erheblich geschmälert. Großbritannien bringt als Atommacht und Mitglied im UN-Sicherheitsrat ein erhebliches außenpolitisches Gewicht mit. Seit 2009 ist mit Catherine Ashton eine Britin EU-Außenbeauftragte – das ist kein Zufall. Großbritannien ist weltweit diplomatisch gut vernetzt. Seit Beginn des Arabischen Frühlings hat London in den Staaten am südlichen Rand des Mittelmeers eine aktive Außenpolitik betrieben.
Andererseits hätte ein Austritt Großbritanniens aus der EU auch eine positive Seite: Die EU wäre einen Blockierer los, der möglicherweise die Staaten der Euro- Zone in den kommenden Jahren an einem engeren Zusammenschluss hindern könnte. Zwar ist es für einzelne Staaten inzwischen in vielen Politikfeldern schwieriger geworden, EU-Beschlüsse durch ein Veto zu verhindern. Dies ist jüngst bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer in elf EU-Mitgliedstaaten deutlich geworden. Andererseits gilt für weitreichende Beschlüsse – etwa bei EU-Vertragsänderungen – das Prinzip der Einstimmigkeit.

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