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David Petraeus: Warum der CIA-Chef zurückgetreten ist

Er galt als korrekt und asketisch. Doch dann kamen Gerüchte auf, Verdächtigungen, intime Details. CIA-Chef David Petraeus soll ein Verhältnis mit seiner Biografin gehabt haben. Aber warum kommt das erst jetzt heraus, kurz nach der Präsidentschaftswahl?

Es geschah, als der neue James Bond in die amerikanischen Kinos kam. Hier wie dort geht es um Geheimnisverrat, Verstrickungen in Sex und Liebe und um die Sorge, dass die Sicherheit des Landes bedroht sei. Ein vermeintlicher Nationalheld hat sich als Mensch mit Charakterschwächen entpuppt. Am Ende verliert der Geheimdienst seine Führungsfigur. Die Person muss zwar nicht gleich verschwinden wie „M“ im neuesten 007-Plot. Sie wird öffentlich bloßgestellt. Aber das Bond-Girl hat in dieser Geschichte aus dem wahren Leben ja auch nicht mit dem Superagenten geschlafen, sondern ist mit dem Boss ins Bett gegangen.

Washington schwirrt von Gerüchten, Vermutungen und anonymen Hinweisen zu neuen Ermittlungslinien, seit CIA- Chef David Petraeus am Freitag seinen Rücktritt erklärt hat, zwei Tage nach seinem 60. Geburtstag. Offizielle Begründung: Er hatte eine außereheliche Affäre. Die Zeitungen in Amerikas Hauptstadt sind sich inzwischen sicher, wer die Dame ist, auch wenn das noch immer nicht offiziell bestätigt wurde: Paula Broadwell. Sie waren sich nahegekommen, als er noch General und Oberkommandierender in Afghanistan war und sie ungewöhnlich engen Zugang zu ihm bekam, weil sie ein Buch über ihn schrieb.

Am Freitag, als Petraeus’ Rücktritt die Hauptnachricht war, besuchten Paula und ihr Ehemann Freunde in Virginia und feierten ihren 40. Geburtstag im „Inn at Little Washington“, einem teuren Restaurant. Seither ist sie abgetaucht.

Das misstrauische Presse-Corps argwöhnte zunächst, da müsse mehr dahinter stecken als ein außerehelicher Fehltritt. Soll durch die Aufdeckung des Skandals womöglich sein für die kommende Woche geplanter Auftritt vor dem Ausschuss, der die Pannen klärt, die am 11. September zur Ermordung von vier US-Diplomaten in Bengasi geführt hatten, verhindert werden? Und ist es glaubhaft, dass eine solche Affäre zwei Tage nach der Präsidentschaftswahl ans Licht kommt? Wer im Weißen Haus wusste wann was? Wurde hier eine Geschichte tagelang verschwiegen, die den Wahlausgang hätte beeinflussen können?

Am Wochenende wurde alles noch verworrener. Plötzlich war von einer zweiten Frau die Rede. In welcher Beziehung diese zu Petraeus steht, ist bislang unbekannt. Doch nun spekulieren manche, es gehe um Eifersucht zwischen zwei Frauen, die um die Gunst desselben Mannes konkurrieren – also eher um ein Szenario à la Kachelmann als um einen Abgrund von Geheimnisverrat. Paula Broadwell habe dieser anderen Frau drohende E-Mails geschrieben. Die habe sich daraufhin an das FBI gewandt. Und so kam die Untersuchung überhaupt ins Rollen. Bei der Kontrolle von Broadwells E-Mails stießen die Ermittler auf einen auffallend dichten E-Mail-Austausch zwischen Broadwell und Petraeus – mit sehr intimen Inhalten. Paula Broadwell soll die Affäre zwar schon vor anderthalb Jahren beendet haben: im April 2011, da wurde er als Chef der CIA nominiert. Petraeus habe ihr aber danach noch tausende E-Mails geschickt, weil er sie nicht verlieren wollte.

Er war 57, Paula 37, als sie sich 2008 näher kennen lernten. Die Bilder zeigen eine schlanke und gut aussehende Frau, Reserveoffizier im Rang eines Majors. Sie war wie er an der legendären Militärakademie West Point ausgebildet worden, hatte mehrere Jahre gedient, studierte in Harvard und plante ihre Abschlussarbeit. Aus der Studie über den Führungsstil des Generals wurde eine Biografie: „All In: The Education of Gen. David Petraeus“ (Alles inbegriffen. Die Ausbildung des Generals David Petraeus). Das Buch erschien im Januar 2012. Die Autorin zeigt unverhohlene Bewunderung. Kritische Passagen sind nicht zu finden.

Broadwell rückt sich darin selbst ins beste Licht. Sie war Petraeus 2006 erstmals begegnet, als er einen Vortrag in Harvard hielt. Im Anschluss durfte sie am Abendessen in kleinerem Kreis teilnehmen und erzählte von ihrem Forschungsinteresse an militärischem Führungsstil. Er gab ihr seine Visitenkarte und versprach, sie mit Experten für das Thema in Kontakt zu bringen.

Zwei Jahre später nahm sie erneut Kontakt auf. Er lud sie ein, ihr Buchprojekt bei einem Dauerlauf am Ufer des Potomac zu besprechen. Petraeus war bekannt für seine Fitness und das mörderische Tempo seiner langen Morgenläufe. „Ich glaube, ich habe den Test bestanden“, vermerkt Paula in ihrem Buch. „Aber ich habe mir nicht die Mühe gemacht, den Verlauf unseres Gesprächs aufzuschreiben.“

24 Umzüge in 38 Ehejahren

2009 und 2010 flog sie mehrmals nach Afghanistan. Im Rückblick wundern sich seine engsten Mitarbeiter, dass er ihr so ungehinderten Zugang gab. Sie durfte in seinem persönlichen Militärflugzeug mitfliegen; sie setzen die gemeinsamen Dauerläufe fort; er widmete ihr mehr Zeit für Interviews als anderen.

Es schien, als habe er sein eigenes Regelwerk für den Umgang mit der Öffentlichkeit über Bord geworfen, sagen Adjutanten. Zuvor hatte er sich nur gegenüber wenigen Journalisten, denen er vertraute, geöffnet. Broadwell hatte professionell wenig vorzuweisen. Weder war sie eine angesehene Journalistin noch hatte sie sich als Biografin bedeutender Personen hervorgetan. Ihr Schreibstil galt als fade. Für die Biografie beauftragte der Verlag einen Koautor: Vernon Loeb von der „Washington Post“.

Andererseits schien es der Umgebung des Generals damals „undenkbar“, dass er eine intime Affäre mit Paula haben könne. Petraeus galt als Vorzeigesoldat, der trotz der schwierigen Lebensbedingungen von Berufssoldaten eine vorbildliche Ehe führte. Im Herbst 1974, zwei Monate nach dem Abschluss in West Point, hatte er Holly Knowlton geheiratet, Tochter des Generals William Knowlton, der damals Superintendent von West Point war. Es ist eine alte Soldatenfamilie, deren Vorfahren gegen die Indianer gekämpft hatten, für die Unabhängigkeit von Großbritannien, im Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten, in den Weltkriegen.

Sie kannte den Lebensstil eines ehrgeizigen Offiziers: US-Medien sprechen von 24 Umzügen in 38 Ehejahren. Nach 9/11 war Petraeus fünfeinhalb Jahre fast ohne Unterbrechung im Auslandseinsatz, vor allem im Irak und in Afghanistan. Es gibt unzählige Bilder, wie er bei Heimatbesuchen, noch in der grün gefleckten Felduniform mit Stahlhelm, auf dem Flugfeld seine Frau, den Sohn Stephen und die Tochter Anne in den Arm nimmt.

Holly sagt, sie habe ihren Mann in manchen Jahren öfter im Fernsehen gesehen als persönlich getroffen. Sie kümmerte sich derweil in den USA um Soldatenfamilien, die in Schwierigkeiten gerieten. Sie half Heimkehrern, Arbeit zu finden. Und als die Regierung Obama 2010 das Gesetz zur Reform der Finanzaufsicht verabschiedete und 2011 das darin vorgesehene Büro fürKonsumentenschutz eröffnete, wurde Holly Petraeus dort die Beauftragte für die Belange von Soldaten. Ihr Mann beendete parallel seine Militärkarriere als Viersternegeneral und wurde im September 2011 Chef des Auslandsgeheimdienstes CIA.

2009, als die Beziehung mit Paula Broadwell begann, war Petraeus auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Er galt als der Stratege, der die USA vor der drohenden Niederlage im Irak bewahrt hatte. Denn er hatte das neue Handbuch zur Bekämpfung der Aufständischen geschrieben. Als er das Kommando im Irak an General Odierno übergab, war die Zahl der Anschläge deutlich gesunken.

Seit Herbst 2008 befehligte Petraeus Central Command, den größten Kommandobereich des US-Militärs. Dazu gehören Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan und viele Krisenherde mehr. Er war ein Nationalheld und galt als Anwärter auf den Chefposten im Generalstab. Viele spekulierten damals auch über eine politische Karriere, womöglich als Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2012.

Er kämpfte freilich auch mit gesundheitlichen Problemen. Im Februar 2009 wurde bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert. Er bekam Bestrahlungstherapie. Hat die mit der Krankheit verbundene Bedrohung seiner Männlichkeit dazu beigetragen, dass er sich auf eine Affäre einließ?

Staatsaffäre oder menschliche Verwicklungen?

Ein Jahr später gab der Skandal um einen anderen General seiner Laufbahn eine Wende. Stanley McChrystal, Kommandeur der Isaf, der internationalen Streitkräfte in Afghanistan, musste zurücktreten, nachdem er in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ despektierliche Bemerkungen über Vizepräsident Biden und andere Regierungsmitglieder gemacht hatte. Obama bat Petraeus, den Oberbefehl in Afghanistan zu übernehmen und das Kriegswende-Wunder vom Irak nun am Hindukusch zu wiederholen.

Hierarchisch war das keine Beförderung für Petraeus. Es förderte aber seinen Ruf eines selbstlosen Soldaten, der den Dienst am Vaterland über die persönlichen Interessen stellt. Damals hieß es, Obama schiebe einen potenziellen Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl 2012 auf die andere Seite der Erdkugel ab. Ein Jahr später belohnte er ihn freilich mit der Leitung der CIA. Petraeus hatte unübersehbar Lust auf den Posten.

Petraeus hat seinen Heldenstatus verloren. Nur ganz am Rande fragt Amerikas Öffentlichkeit, was die Aufdeckung der Affäre für die betroffenen Angehörigen bedeutet. Ihr Ehemann Scott Broadwell, ein Radiologe in Charlotte, mit dem sie zwei Kinder hat, war wohl seit einiger Zeit eingeweiht. Im Juli hatte sich ein anonymer Schreiber an den Ratgeber des „New York Times Magazine“ gewandt: Ein hoher Repräsentant, der ein Projekt von nationaler Bedeutung betreue, sei „der Liebhaber meiner Frau“. Müsse er schweigen? Er solle es jedenfalls nicht an die große Glocke hängen, sondern damit so umgehen, als wenn seine Frau mit dem Briefträger schlafe, erhielt er zur Antwort.

Das Weiße Haus weist alle Verdächtigungen zurück, dass politische Erwägungen eine Rolle spielten. Geheimdienstkoordinator Clapper habe am Nachmittag des Wahltags erstmals von der Geschichte erfahren. Der Präsident sei am Donnerstagmorgen informiert worden.

Amerika wartet noch auf Klarheit, ob es mit einer Staatsaffäre konfrontiert ist oder lediglich mit sehr menschlichen Verwicklungen – nur dass unter den betroffenen Menschen eben auch ein Nationalheld ist.

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