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Gefangen im System. Die frühere Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Rostock. Foto: dpa

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DDR-Vergangenheit: Aufarbeiten, abarbeiten

Die Bundesregierung hat einen Bericht zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur vorgelegt – in einer Zeit, in der dieses Thema gerade wieder heftig diskutiert wird. Entsprechend lebhaft war am Freitag die Debatte darüber im Bundestag.

Von Matthias Schlegel

In einem waren sich bei der Debatte über den Bericht der Bundesregierung am Freitag im Bundestag wirklich alle Redner einig: Einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur kann und wird es nicht geben. So hatte es eingangs Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) intoniert, so setzte es sich bis zu den Rednern der Linkspartei fort. Und es fehlte nicht an lobenden Worten für all die auf den 260 Seiten des Berichtes fleißig zusammengetragenen Überblicke über die rehabilitations- und entschädigungsrechtlichen, publizistischen, wissenschaftlichen und institutionellen Aspekte der Aufarbeitung. Da hat sich im Laufe von 23 Jahren eine regelrechte erinnerungspolitische Branche entwickelt. Inwieweit sie allerdings in die Gesellschaft hineinwirkt, ist angesichts besorgniserregender Befunde, zum Beispiel zu den mangelhaften Kenntnissen Jugendlicher über die DDR-Geschichte, durchaus kritisch zu hinterfragen.

Mit mehr als 100 Millionen Euro fördert der Bund jährlich die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. So verwies Neumann auf das im Juni 2011 mit Bundesmitteln eingerichtete Koordinierende Zeitzeugenbüro. Im vergangenen Jahr erreichten Menschen, die aus ihrem Erleben in der Diktatur berichteten, auf 514 Veranstaltungen mehr als 22 000 Teilnehmer. Weit wirksamer wäre freilich, wenn Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln über ihre eigenen Erfahrungen in der DDR diskutieren würden. Über inneren und praktizierten Widerstand, über Verfolgungsangst, aber eben auch über Anpassung und überzeugtes Mitmachen im Alltag einer Diktatur, die viele gar nicht als solche empfanden.

Dass keine der politischen Parteien einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur ziehen will, bedeutet allerdings nicht, dass sich alle einig wären, wie solche Aufarbeitung auszusehen hat. Im Gegenteil. Im Bundestag holte sich Linksparteipolitiker Dietmar Bartsch von den anderen Parteien eine kräftige Abfuhr für seinen Versuch, die DDR und ihre Politik nach altem SED-Muster aus den Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs zu erklären und zu legitimieren. Bartschs Versicherung, seine Partei betreibe intensivere Vergangenheitsaufarbeitung als andere, konterte Grünen-Politiker Wolfgang Wieland mit Zitaten führender Linken-Politiker: Lothar Bisky habe Ulbricht einen großen Patrioten genannt, Hans Modrow habe den 17. Juni 1953 als konterrevolutionären Vorgang bezeichnet, Sahra Wagenknecht habe Honecker bleibenden Respekt gezollt. Der Verweis der Linkspartei auf die Rolle der Blockparteien in der DDR laufe ins Leere: Sie seien von der SED zu deren eigener Machtsicherung aufgebaut worden, keine Blockpartei habe ein Gefängnis geführt oder Menschen verhaftet.

Auch wenn in mehreren Reden gefordert wurde, dass sich DDR-Aufarbeitung weniger auf die Stasi fokussieren, sondern wieder stärker der Rolle der SED zuwenden müsse, wurden die entscheidenden Defizite im Bericht der Bundesregierung doch beim Thema Stasi ausgemacht. Weil die schwarz-gelbe Koalition in der ablaufenden Legislaturperiode keine Expertenkommission zur Zukunft der Stasiunterlagenbehörde zustande gebracht hatte, warf Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) der Bundesregierung vor, sie stehle sich aus der Verantwortung für diese Behörde. So fehle im Bericht auch ein Hinweis darauf, wie der Bund zu den personellen Engpässen in der Behörde stehe, die zu extrem langen Wartezeiten bei der Akteneinsicht führten. Zugleich lehnte der SPD-Politiker erneut den von Behördenchef Roland Jahn auf dem früheren Stasi-Gelände in Lichtenberg geplanten „Campus der Demokratie“ ab. Dies führe in die Irre: Anschauung der Diktatur allein erziehe noch nicht zur Demokratie.

Als unzureichend kritisieren SPD und Grüne die Opferentschädigung. Wieland forderte Ehrenpensionen, Thierse beklagte, dass Antragsteller für eine Rente hohe bürokratische Hürden überwinden müssten.Matthias Schlegel

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