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Kritiker unter sich. Innenminister Thomas de Maizière (l.) und Finanzminister Wolfgang Schäuble beraten sich vor einer Sitzung des Bundeskabinetts.

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Update

De Maizière, Schäuble und die Flüchtlingspolitik: Im Doppel gegen die Kanzlerin

Die Minister Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière agieren auf unterschiedliche Weise gegen den aktuellen Kurs von Angela Merkel– mit dem gleichen Ergebnis.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Man kann mit Vergleichen versehentlich danebenlangen. Aber Wolfgang Schäuble, der am Donnerstagabend den Bambi-Millenniumspreis für seine politischen Leistungen erhielt, ist dieses Bild nicht herausgerutscht. Der Finanzminister sitzt am Mittwochabend auf dem Podium der Europa-Denkfabrik „Centrum für Europäische Politik“, er hält die Jubiläumsrede über die Zukunft des Kontinents, und natürlich kommt die Flüchtlingskrise vor. Die sei, sagt Schäuble, wie eine Lawine über Europa gekommen. „Ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine im Tal unten angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium am oberen Drittel des Hanges sind, weiß ich nicht“, fährt er fort. „Wenn wir im oberen Drittel des Hanges sind, ist das Bild von der Lawine eine ziemliche Herausforderung.“

Das kann man wohl sagen, in jeder Hinsicht. Man muss das Bild bloß weiterdenken. Lawine – das ist pure Naturgewalt, nicht zu stoppen, nicht umzulenken. Wo sie durchrollt, bleibt nichts übrig als Trümmer und Verwüstung.

Die Reaktionen kommen prompt. SPD-Chef Sigmar Gabriel hält sich noch zurück: „Ich würde mir das Bild nicht zu eigen machen.“ Sein Parteifreund Heiko Maas twittert. „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe“, rügt der Justizminister. „Wir sollten die Flüchtlingsdebatte besonnen führen und nicht mit Worten Öl ins Feuer gießen.“

Aber das ist alles nichts gegen den Zorn, den ein CDU-Politiker, der lieber nicht genannt werden will, durch den Telefonhörer pustet: „Wenn man die Leute unbedingt völlig verrückt machen will, dann muss man ihnen bloß so ein Bild ausmalen!“ In den 90er Jahren konnte man „Republikaner“-Anhänger daran erkennen, dass sie von „Asylantenschwemme“ redeten. Schäuble war damals schon dabei, er muss diese Kampfbegriffe kennen. Aber was ist eine Schwemme gegen eine Lawine?

Zumal Schäuble es mit der Herausforderung gleich noch weiter treibt. „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt“, hat er gesagt. Der Name „Angela Merkel“ kommt ihm nicht in den Mund. Das Bild entsteht auch so vor den Augen seiner Zuhörer. Die Gegner von Merkels Willkommenskurs sind seit jeher überzeugt, dass die Kanzlerin die Flüchtlingskrise überhaupt erst ausgelöst habe.

Wolfgang Schäuble.
Wolfgang Schäuble.

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Dass sie nicht Abfahrtski fährt, sondern Langlauf treibt, ändert an der Assoziation nichts. Dabei hätte man ohne den Skifahrer-Zusatz Schäubles Ausführungen sogar als argumentative Unterstützung für Merkel lesen können. Denn der Minister hebt wie die Kanzlerin hervor, die Flüchtlingsbewegung sei eine Herausforderung für ganz Europa: „Die können wir Deutschen nicht alleine meistern.“ Auch nicht mit Kontrollen an Binnengrenzen. Mit der Migration, einem „Rendezvous unserer Gesellschaft mit der Globalisierung“, müsse Europa gemeinsam umgehen, „oder es kann ziemlich schlecht für uns alle werden.“

Ist all das eine Partisanentaktik?

Aber das eine ist eine Argumentation, und das andere ist ein Bild. Das Bild ist allemal stärker. Dass es ihm auf das Bild ankam, davon sind in der CDU Gegner wie Verteidiger von Merkels Kurs überzeugt. „Das macht er nicht versehentlich“, sagen – wortgleich – zwei Vertreter beider Flügel.

Was das Spiel soll, das man bei jedem anderen ein wiederholtes Reingrätschen nennen könnte? Die Deutungen reichen von Doppelspiel zur Bedienung des Seehofers-Flügels in der CDU über Partisanentaktik – der Baden-Württemberger wolle die Kanzlerin zur radikalen Abkehr vom Willkommen drängen – bis zur Vorratskanzlertheorie: Schäuble baue sich zur Alternative auf für den Fall, dass Merkel scheitert. An die gutwillige Lesart glaubt aber langsam keiner mehr. Auch in Merkels Truppe deuten sie das Lawinenbild als pure Hinterlist.

Die Kanzlerin selbst kann am Freitag darauf reagieren – da stellt ihr abends das ZDF die Frage „Was nun, Frau Merkel?“. Vielleicht beruft sie sich dann auf den Bundespräsidenten. Joachim Gauck trifft am Donnerstagvormittag Flüchtlinge und Helfer in Bergisch-Gladbach. Er verteidigt das Bürgerrecht zum „Maulaufmachen“, und er mahnt zur Balance: Wer nicht offen über Probleme und Sorgen rede, stärke nur den rechten Rand. „Wir müssen begreifen, dass wir beides tun können: Wir können solidarisch handeln und gleichzeitig Sorgen und Besorgnisse benennen.“

Doch Gauck sagt noch etwas. „Es werden Horrorszenarien für die Zukunft entwickelt“, kritisiert das Staatsoberhaupt. Die seien gefährlich, weil sie eine „Angstkultur“ förderten und Ohnmachtsgefühle. Es klingt wie sein Kommentar zu der „Lawine“.

Der Prügelknabe: Thomas de Maiziére

Thomas de Maiziere.
Thomas de Maiziere.

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Thomas de Maizière (CDU) hat in den vergangenen Tagen zwei für die Bewältigung der Flüchtlingskrise wichtige Entscheidungen getroffen, ohne sich zuvor mit der Kanzlerin oder dem für die Krise zuständigen Koordinator abzustimmen. Beide Entscheidungen des Innenministers sorgten unmittelbar für Ärger und Kopfschütteln. Weil die Regierungspartei SPD nicht eingebunden war und dadurch das Bestreben von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), in der Öffentlichkeit eine reibungslos an der Bewältigung der Krise arbeitende Koalition und Regierung zu präsentieren, konterkariert wurde. Und weil damit die ohnehin herrschende Vermutung, die Regierung habe die Übersicht in der Krise längst verloren, bestätigt wurde.

Beide Entscheidungen des Ministers lösen die Frage nach seinen Motiven aus: Will de Maizière die Willkommenspolitik der Kanzlerin bewusst durch gegenteilige Anweisungen aus eigener Kompetenz behindern und den Zustrom von Flüchtlingen stoppen? Gibt es womöglich ein stillschweigendes Einverständnis von Merkel, eine Art Arbeitsteilung etwa: Sie signalisiert weiter Offenheit für Asylsuchende, während er den Hahn zudreht? Oder ist der Innenminister, auch das gehört mittlerweile in die Motivdebatte selbst in de Maizières eigener Fraktion, mit seiner Aufgabe schlicht überfordert?

Für einen geheimen Plan der Kanzlerin und ihres Innenministers spricht wenig. Merkel und de Maizière kennen sich zwar lange, haben ein enges Verhältnis, seit de Maizière ihr als Kanzleramtsminister durch die internationale Finanzkrise geholfen hat. Merkels Entscheidung zur Öffnung Deutschlands für die Flüchtlinge stieß allerdings von Anfang an auf de Maizières Widerstand – bis dahin, dass er mit seiner Kritik auch öffentlich nicht hinter dem Berg hielt, was seiner grundsätzlichen Loyalitätshaltung eigentlich widerstrebt. Zusätzlich verstimmt hat de Maizière außerdem die Entscheidung Merkels, Kanzleramtsminister Peter Altmaier zum Flüchtlingskoordinator zu ernennen. Zwar versuchte der Innenminister später intensiv, seine eigene Entmachtung als notwendig zu deklarieren, damit die anderen Bundesministerien seiner Krisen-Koordinierung folgen. In Wahrheit jedoch misstrauen sich der Koordinator und der Minister. Und de Maizière konnte nicht verhindern, die Rolle des Verlierers zugeschrieben zu bekommen.

Das Misstrauen verfestigt sich

Dieses Misstrauen ist wohl durch die (inzwischen auf Weisung Altmaiers zurückgenommene) Entscheidung des Innenministers, Flüchtlingen aus Syrien den Familiennachzug zu erschweren, noch verfestigt worden. De Maizière hatte die politische Wirkung des Vorganges schlicht unterschätzt, löste Widerstand bei der SPD aus und wurde zwangsläufig von Kanzleramtsminister Altmaier in die Schranken gewiesen. Er muss nun damit leben, dass er einen Schachzug, der inhaltlich seinen Interessen und denen weiter Unionskreise nach Zuzugsbeschränkung entspricht, nun mühevoll mit den Länderinnenministern verhandeln muss.

Auch die eher zufällig publik gewordene Entscheidung, seit dem 21. Oktober das Dublin-Verfahren in Deutschland wieder lückenlos anzuwenden, passt in das Bild eines eher orientierungslosen Politikers. Zum richtigen Zeitpunkt kommuniziert hätte die Weisung ein Signal der (wenn auch geringen) Begrenzung von Zuwanderung darstellen und Druck von der gesamten Koalition nehmen können, deren Handlungsfähigkeit in der Bevölkerung mehr und mehr bezweifelt wird. Doch de Maizière verzichtete auf Absprachen mit Kanzleramt und Koalitionspartner und muss nun über sich als „Pannen-Minister“ in der Zeitung lesen. In seinem Bestreben, das Flüchtlingschaos zu ordnen, verfolgt er politische Ziele, die in seiner Partei Mehrheiten finden, bleibt aber ohne Gespür für die Wirkung seines Handelns, das mehr Durcheinander als Ordnung anrichtet – und damit eher das Gegenteil erreicht.

Auch zum Ende dieser Woche gab es dafür wieder einen Beleg. Auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Renate Künast nach konkreten Flüchtlingszahlen hatte de Maizières Ministerium zwar die erfragte Zahl der insgesamt in Deutschland auf die Bundesländer verteilten Flüchtlinge benannt. Allerdings hatten die Beamten angefügt, dass der Bund schlicht nicht wisse, wie viele der Flüchtlinge die Länder konkret in Erstaufnahmeeinrichtungen betreuten und wie viele schon Kommunen zugeordnet sind. Das ist zwar formal richtig. Mit etwas mehr politischem Fingerspitzengefühl formuliert hätte Renate Künast aber nicht die Chance bekommen zu behaupten, der für die Flüchtlinge zuständige Innenminister wisse noch nicht mal, wie groß die Zahl derer ist, für die er Verantwortung trägt.

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