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Wo ist das Geld besser aufgehoben?

© dpa

Debatte in der CDU um die kalte Progression: Solidarisch nur mit dem Staat, nicht mit den Bürgern

Der Spielraum für eine Entlastung der Steuerzahler ist da. Seit 2004 sind die Einnahmen des Staates um 40 Prozent gestiegen - gleichwohl jammern die Politiker über leere Kassen. Ginge es um eine Privatperson in gleicher Lage, würde man sie auslachen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stellen wir uns das mal im Privaten vor: Ein guter Freund, dem es nicht schlecht geht, verrät, dass er sein Einkommen in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent steigern konnte. In den kommenden Jahren darf er mit erheblichen weiteren Zuwächsen rechnen. Gleichwohl jammert er: Er sei so knapp dran, dass er auf keinen Euro verzichten könne und auf einen Zuschuss seiner Freunde angewiesen sei. Eine solche Person würde man auslachen.

Dem Staat und den Politikern lassen die Deutschen eine so dreiste Behauptung ohne größeren Protest durchgehen. Das Steueraufkommen ist von 2004 (443 Milliarden Euro) bis 2013 (620 Milliarden Euro) um 40 Prozent gewachsen; bis 2017 werden die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer laut Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos um 30 Prozent zunehmen, auch wegen der „kalten Progression“.

Doch die Kanzlerin, der Finanzminister und fast alle Spitzenpolitiker behaupten, es gebe keinen Spielraum für eine Begrenzung der Steuerlast. Die Lage sei so schlimm, dass ein Wortbruch unvermeidbar werde: Der Soli werde nicht, wie versprochen, 2019 beendet. Der Staat bleibe auf diese Einnahmen in der einen oder anderen Form angewiesen.

Warum tolerieren die Bürger den unersättlichen Staat?

Die meisten Deutschen mögen ihren Staat. Seine Leistungen sind im internationalen Vergleich ziemlich gut, und er ist zuverlässig. Da zahlen die Bürger bereitwilliger.

Nur: Warum tolerieren sie die Unersättlichkeit? 40 Prozent mehr in zehn Jahren, das ist mehr als das Doppelte des Inflationsausgleichs. Und warum nehmen sie die Dreistigkeit in der Darstellung der Politiker hin? Laut dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsordnung (RWI) haben die öffentlichen Kassen und Sozialversicherungen dank der guten Beschäftigungslage in diesem Jahr 66 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als geplant. Rund 400 000 Menschen mehr als geplant haben einen Job; so wurden mehr Steuern eingenommen und weniger Sozialleistungen ausgezahlt. Allein diese 66 Milliarden Euro – die nicht komplett in die Steuerkassen fließen, sondern zum Gutteil in die Sozialkassen, aber damit den Staat indirekt entlasten – sind weit mehr, als die Abschaffung des Soli und die Korrektur der „kalten Progression“ zusammen kosten würden. Dennoch dürfen Politiker ungestraft behaupten, es gebe „keinen Spielraum“ für Entlastung?

Eine simple Wahrheit müsste öfter ausgesprochen werden: Steuern und Abgaben sind Gelder von den Bürgern für die Bürger. Es sind nicht Geldflüsse, auf die Politiker Anspruch haben, um sich als Wohltäter aufzuspielen oder ein Denkmal zu setzen. Selbstbewusste Bürger müssten die Politiker unter Rechtfertigungsdruck setzen, warum sie mehr Geld brauchen. Politiker sind nicht sehr gut im Umgang mit Geld; das zeigen die Rechnungshofberichte und die aus dem Ruder laufenden Kosten öffentlicher Vorhaben. Solange die Bürger dies den Politikern durchgehen lassen, tragen sie eine Mitschuld an ihrer Entmündigung.

Zum bürgerlichen Selbstbewusstsein gehört die Erkenntnis, dass die Umleitung über Staatskassen keine effiziente Art ist, Geld einzusetzen. Der Staat muss Bürokratien aufbauen, um Steuern einzutreiben; Bürokratien, um es umzuverteilen und auszugeben; und weitere Bürokratien, um die Ausgaben zu kontrollieren.

Jeder Euro, der in den Taschen der Bürger bleibt, ist im Zweifel sinnvoller angelegt. Weil die Bürger besser wissen, was sie brauchen, als ein anonymer Staat. Weil sie schon aus Eigeninteresse besser darin sind, preiswerte Waren und Dienstleistungen zu finden.

Merkels ungehaltene Rede

Der Staat wird gebraucht, um Grundbedürfnisse zu erfüllen: öffentliche Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, Kultur, das soziale Minimum. Er soll eingreifen und ausgleichen, wenn Ungerechtigkeiten schwer erträgliche Ausmaße annehmen oder das gesellschaftliche Gleichgewicht bedroht ist. Er sollte sich aber auf die Fälle beschränken, wo es ohne ihn nicht geht. Staatliches Handeln ist fast immer die teurere Alternative.

Warum hält Angela Merkel nicht diese Rede auf dem Parteitag? Wir danken allen Deutschen, die Verzicht geübt haben, um den Soli zu bezahlen. Wir sind stolz darauf, was mit den Geldern aufgebaut wurde. Manche Orte werden auch nach 2019 auf Hilfe angewiesen sein, übrigens auch im Westen – aber nicht mehr flächendeckend. Da Steuern und Abgaben sprudeln, können wir, was nötig ist, aus den laufenden Einnahmen bezahlen. Eine Steuerlüge wie bei der Sektsteuer, die 1902 angeblich befristet eingeführt wurde für den Bau der kaiserlichen Kriegsflotte, die aber bis heute erhoben wird, erlauben wir uns nie wieder!

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