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Beispiel Bundeswehreinsätze: Ob wie hier am Hindukusch oder vielleicht demnächst in Mali – viele vermissen eine Debatte über Deutschlands Interessen bei solchen Missionen.

© dapd

Debatte über deutsche Außenpolitik: Wir müssen mehr reden

Ob Panzerdeals mit Saudi-Arabien, Ablehnung der Euro-Bonds oder Austausch der Geheimdienstspitze: Die Bundesrepublik erklärt ihre Politik zu wenig, besonders was Deutschlands Rolle in der Welt betrifft. Doch wird Außenpolitik nun zum Elitenthema? Nicht jeder ist bereit, sich damit abzufinden.

Von Michael Schmidt

Die Politik hat zuweilen einen, man könnte vielleicht sagen: trojanischen Charakter. Was aussieht wie ein Pferd, ist eigentlich etwas anderes. Panzerdeals mit Saudi-Arabien sind eigentlich der erste Anwendungsfall einer bis dahin unbekannten Merkel-Doktrin: Rüstungsexport statt Bundeswehrauslandseinsatz; die wiederholte Beteuerung, sich Euro-Bonds zu verweigern, versperrt nur den Blick auf die eigentlich längst angeschobene gemeinsame Schuldenhaftung; der Enthauptungsschlag gegen die Geheimdienste wird vom Innenminister gleich gar nicht mehr begründet. Die Beispiele zeigen: Die Politik erklärt zu wenig. Vor allem die Debatte über die deutsche Außenpolitik gilt vielen als unterentwickelt. Wohlmeinende nennen sie „ausbaufähig“.

Volker Perthes ist einer von denen, die noch ganz hoffnungsfroh sind. Dass es hierzulande gar keine außenpolitische oder strategische Debatte gebe, sei „schlicht Quatsch“, sagt der Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Er wünsche sich zwar auch mehr Diskussion, aber gerade in der Zeit seit dem Umzug der Regierung in die Hauptstadt Berlin sei sie doch „vielgestaltiger, gereifter, geografisch weiter“ geworden. „Fundierter“ und „verantwortlicher“ auch, nicht zuletzt weil Deutschland habe lernen müssen, „dass Außenpolitik kein Glasperlenspiel“ ist.

Die Bundesrepublik engagiert sich weltweit, diplomatisch, entwicklungspolitisch und auch militärisch. „In den vergangenen Jahren hat es eine Reihe inhaltlich anstößiger, im besten Sinne Anstoß gebender Beiträge gegeben“, sagt Perthes. Er denke dabei an Waffengeschäfte und ihre Begründung durch die Kanzlerin, die 2011 bei den Bergedorfer Gesprächen zu Protokoll gab: „Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein.“ Er denke dabei aber auch an die Worte des Bundespräsidenten Horst Köhler, der im Mai 2010 nach einem Afghanistanbesuch sagte, die deutsche Gesellschaft müsse wissen, dass „im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“. Beide Aussagen haben provoziert. Und das sei gut so, sagt Perthes.

Dennoch sei der hiesige außenpolitische Diskurs nach wie vor „weit entfernt von der Debatte, wie es sie beispielsweise in Großbritannien gibt, wo sehr viel strategischer darüber nachgedacht wird, welche Interessen das Land hat, über welche Ressourcen es verfügt, und welche Kapazitäten für welche Ziele mobilisiert und eingesetzt werden sollen“, sagt Perthes. Das einstige Weltreich habe aber eben auch „ein paar hundert Jahre mehr Erfahrung“ in der Rolle als gestaltende Macht, deren Tun und Lassen einen Unterschied macht.

Die Außenpolitik - ein Elitenthema?

Sachkundig über außenpolitische Konflikt- und Interessenslagen zu debattieren, sei in der unübersichtlich gewordenen Welt des 21. Jahrhunderts auch nicht einfacher geworden, sagt Sylke Tempel. Die Chefredakteurin der Zeitschrift „Internationale Politik“ gibt zu bedenken, dass es vielfach „um hoch komplexe Sachverhältnisse“ gehe. „Macht bemisst sich nicht mehr nur nach der Zahl an Raketen und Flugzeugträgern, über die ein Staat verfügt.“ Zur Macht gehöre inzwischen vielmehr auch die Wirtschaftskraft eines Landes, seine kulturelle Ausstrahlungskraft, seine Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten – „das ist oft schwierig zu durchschauen, selbst für Informierte“, sagt Tempel. Insofern, ja: es gebe eine Bringschuld der Politik, sich besser zu erklären. „Aber vielleicht gibt es auch eine Holschuld der Öffentlichkeit“, sagt Tempel. Denn es fehle doch häufig auch an „der nötigen Geduld und Bereitschaft, sich wirklich längere Zeit möglichst unideologisch und unvoreingenommen für ein Thema zu interessieren“.

Die Außenpolitik – ein Elitenthema? Deutschlands Beziehungen zur Welt, das Verständnis des Fremden – nur was für Eingeweihte? Um genau dem etwas entgegen zu halten, hat der Wahlberliner Johannes Bohnen 2004 die „Atlantische Initiative“ gegründet. „Die Demokratie ist zu wichtig, um sie der Politik zu überlassen“, sagt der gelernte Industriekaufmann. Seine Amerika-Erfahrung hat ihn gelehrt: Selbst ist der Bürger und die Bürgerin. Verantwortung übernehmen, sich kümmern, anpacken statt abwarten, das ist sein Motto, „Außenpolitik für alle“ das Leitmotiv seines Thinktanks. Wer die Welt verändern will, der muss sie verstehen – und wer sie verstehen will, der braucht Informationen. Bohnens Mittel der Wahl ist das Internet. Die neuen Kommunikationstechnologien, sagt Bohnen, ermöglichten erstmals eine umfassende Emanzipation der Bürger vom „Vater Staat“.

Zwei Jahre hat Bohnen als Redenschreiber des Bundesministers für Bildung und Forschung in Bonn gearbeitet, danach als Pressesprecher und Wahlkampfberater der brandenburgischen CDU, bis er bei Scholz & Friends Berlin den Public-Affairs-Bereich aufbaute. Seit 2005 arbeitet er als selbstständiger Berater für Politik und Kommunikation. Er gründete einen Hauptstadtkongress zur Stärkung der Berliner Bürgergesellschaft – sein Leib- und Magenprojekt aber ist der Online-Thinktank „atlantic-community.org“. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Jan-Friedrich Kallmorgen, Atlantiker und Politologe wie er selbst, gründete er diese virtuelle Denkfabrik. Ein jeder kann daran mitwirken und mitarbeiten. Das erschien ihm nie nötiger zu sein als damals, nach dem Irakkrieg, als über den Atlantik hinweg Funkstille herrschte und die Debatte hierzulande so „schablonenhaft“ war, dass er sich Sorgen machte, es könne „mehr kaputtgehen, als uns lieb sein kann“.

Der internetbasierte Thinktank soll als Plattform dienen, wo sich Politiker, Akademiker, Geschäftsleute, Journalisten und interessierte Laien treffen. Die Redaktion des Forums will für Qualität sorgen, indem sie das Beste vom Guten an weltweit publizierten Artikeln, Studien und Analysen als Meinungsgrundlage zusammen und zur Verfügung stellt. Und dann, und das ist es, worauf Bohnen besonders stolz ist: Dann wird der direkte Weg zum Entscheidungsträger gesucht. Aus den Beiträgen werden die stärksten zu Memoranden gebündelt, und diese Memoranden mit den besten Handlungsempfehlungen werden an die zuständigen Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks verschickt. „Auf diese Weise erhalten ganz normale Bürger die Möglichkeit, politisch Einfluss zu nehmen“, sagt Bohnen. Das Web 2.0 als Instrument gegen Politik- und Parteienverdrossenheit, als Mittel, um Druck aufzubauen, als Ort des Austauschs mit „denen da oben“.

Ob gewollt oder ungewollt, Deutschland sei international ein Gewicht zugewachsen, dem es sich gewachsen zeigen müsse. „Wir brauchen mehr öffentliche Debatten über Strategien, Interessen und Werte“, sagt Bohnen. Es reiche nicht, wenn die immer gleichen Experten die immer gleichen Argumente austauschten. „Die Bürgergesellschaft selbst sollte aktiv diskutieren.“ Das, sagt der 1965 in Bremen Geborene, sei sie sich und der Sache schuldig.

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