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Die Bundeswehr im Kampfeinsatz.

© dpa

Debatte über Joachim Gauck: Wie weit reicht deutsche Verantwortung?

Die Scheingewissheiten der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sind vorbei. Die Debatte, die Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Münchener Rede angestoßen hat, greift allerdings zu kurz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Markus Kaim

Bundespräsident Gauck hat mit seiner Münchener Rede zur Zukunft der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik eine kontroverse Debatte angestoßen. Offenbar sind die Zeiten einer überparteilichen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik mit ihren Scheingewissheiten vorbei.

Doch leider reduzieren viele Debattenbeiträge die Frage nach der Übernahme von internationaler Verantwortung auf die Dimension der Instrumente der Außenpolitik. Aus dieser Sicht erschöpft sich deutsche Verantwortung in der Frage, wie viele Soldaten Deutschland für das internationale Krisenmanagement entsendet bzw. wie groß seine finanziellen Hilfen zur Behebung außenpolitischer Probleme sind. Wer aber über die internationale Verantwortung Deutschlands reflektiert, muss sich mit vier Dimensionen befassen:

An erster Stelle steht die Frage nach der Reichweite des außenpolitischen Gestaltungsanspruchs. Einerseits ist ein so vielfältig globalisiertes Land wie die Bundesrepublik auch von geografisch weit entfernten Entwicklungen betroffen, wie z.B. den jüngsten zwischenstaatlichen Spannungen in Ostasien oder Bürgerkriegen in Afrika. Zugleich ginge man sicherlich fehl, Deutschland als globale Ordnungsmacht zu definieren. Stattdessen erstreckt sich der Radius, für den Berlin zuerst ordnungspolitische Verantwortung tragen soll und kann, auf die euro-atlantische Peripherie: Nordafrika, den Nahen Osten und die östliche Nachbarschaft. Hier stellen sich bereits viele, ja fast zu viele außenpolitische Herausforderungen, die Deutschland unmittelbar betreffen.

Die NSA-Affäre hat eine Neuorientierung nötig gemacht

Die zweite Dimension außenpolitischer Verantwortung, die zu diskutieren ist, ist die der passenden Ideen und Initiativen, die Deutschland zur Regelung internationaler Fragen einbringt. Zu häufig hat sich deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit mit einer herausgehobenen Präsenz in internationalen Organisationen zufriedengegeben. Wichtiger als die formale Präsenz ist es jedoch, die richtigen Initiativen und das notwendige Engagement zur Gestaltung der internationalen Ordnung an den Tag zu legen, sei es bei der Einhegung der Krisen in der Ostukraine und im Gaza-Streifen, bei der Wiederbelebung des Welthandels oder bei der Überwindung der europäischen Finanz- und Schuldenkrise.

Die dritte Facette außenpolitischer Verantwortung ergibt sich aus der multilateralen Selbstbindung bundesrepublikanischer Außenpolitik wie aus der Tatsache, dass eine rein nationale Außenpolitik den Anforderungen einer globalisierten Weltpolitik kaum mehr gewachsen ist. Entscheidend für die deutsche Außenpolitik ist die Frage nach den Partnern und internationalen Organisationen, mit denen bzw. in denen Deutschland bestimmte Ziele umzusetzen sucht. Der Aufstieg neuer Mächte hat eine solche Neuorientierung in den vergangenen Jahren genauso notwendig gemacht wie die NSA-Affäre oder die Krise des europäischen Integrationsprozesses. Es reicht heute nicht mehr aus, einfach auf die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen oder die EU als deutschen Handlungsrahmen zu verweisen. Je nach Politikfeld wird die deutsche Außenpolitik immer wieder neu um geeignete und gestaltungswillige Partner werben müssen.

Diskussion wird reduziert geführt

Erst zuletzt stellt sich die Frage nach der vierten Dimension außenpolitischer Verantwortung, nämlich den Instrumenten deutscher Außenpolitik. Dazu gehört die gesamte Bandbreite der politischen, diplomatischen, finanziellen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die der Bundesrepublik zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang bleibt die Anwendung militärischer Gewalt, mandatiert durch den VN-Sicherheitsrat und den Bundestag, umgesetzt im Rahmen von Missionen der NATO, der EU oder der VN, ebenfalls eine notwendige Handlungsoption deutscher Politik.

Viele Antworten an den Bundespräsidenten heben ausschließlich auf diesen vierten Aspekt außenpolitischer Verantwortung ab. Wer jedoch keine Antwort auf die ersten drei Fragen gibt, reduziert die Diskussion auf eine eindimensionale „Militarisierungsdebatte“, die angesichts der rapide sinkenden Zahl von Auslandseinsätzen der Bundeswehr wie aus der Wirklichkeit gefallen scheint. Die Berliner Außenpolitik steht vor neuen und schwierigen Herausforderungen. Die Debatte um deutsche Verantwortung in der internationalen Politik sollte dieser Komplexität Rechnung tragen.

Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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