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Politik: Debatte um Armut – DGB kritisiert Beck

Gewerkschaft nennt Becks Erklärung zum Unterschichtenproblem zynisch / Die Partei ist gespalten

Berlin - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat SPD-Chef Kurt Beck wegen seiner Warnung vor einem „Unterschichtenproblem“ scharf angegriffen. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte am Montag dem Tagesspiegel: „Wir können die SPD nur davor warnen, die Ärmsten der Armen links liegen zu lassen.“ Beck spreche kein Unterschichtenproblem an, „sondern ein trauriges Ergebnis gescheiterter Politik“.

Der SPD-Chef hatte am Wochenende erklärt, in Teilen der Bevölkerung lasse das Streben nach, sich um sozialen Aufstieg zu bemühen. Es gebe viel zu viele Menschen, die sich keinerlei Hoffnung mehr machten, den Aufstieg zu schaffen. Sie hätten sich oft mit ihrer Situation arrangiert und fänden sich damit ab.

Buntenbach wies diese Einschätzung Becks als „blanken Zynismus“ zurück. Erst werde das untere Drittel der Gesellschaft abgehängt, dann sage man den Schwächsten der Schwachen: „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner.“ Dann auch noch mangelnden „Aufstiegswillen“ zu beklagen, „ist im Grunde nichts anderes als die Fortsetzung der Faulenzerdebatte à la Gerhard Schröder“. Auch die Wohlfahrtsverbände sehen Becks Vorstoß zum Teil äußerst kritisch.

Offener Applaus vom rechten SPD-Flügel, stilles Unbehagen unter den SPD-Linken: In seiner Partei spricht Beck nicht allen aus dem Herzen. Der linke Flügel teilt zwar die Schlussfolgerungen des Vorsitzenden, wonach sich der Staat der Unterschichten annehmen muss. Auf Skepsis stößt aber Becks Befund vom mangelnden Aufstiegswillen der Betroffenen. Anders als zu Becks Jugendzeit, auf die der Parteivorsitzende in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ verwies, sei sozialer Aufstieg heute eben nicht mehr nur eine Frage des Willens, der Moral und des Könnens, sondern werde durch fehlende Möglichkeiten behindert, heißt es. Was die Linke stört, erfreut den Sprecher der im „Seeheimer Kreis“ organisierten SPD-Abgeordneten vom rechten Flügel, Klaas Hübner. Er sieht in Becks Äußerungen eine „wichtige neue Nuancierung“. Dem Tagesspiegel sagte Hübner: „Die sozialen Schichten müssen durchlässiger werden, aber wir brauchen auch den Ehrgeiz junger Leute, aufsteigen zu wollen. Momentan spüren wir diesen Ehrgeiz vor allem in Osteuropa und in Asien. Wir sollten in Deutschland auch zu dieser Mentalität zurückfinden.“

Bei seiner Analyse kann Beck sich zumindest auf wissenschaftliche Vorarbeiten berufen. Ein breites Publikum erstmals auf das Phänomen einer Unterschicht, die kein Aufstiegsziel mehr verfolgt, hingewiesen hatte vor wenigen Jahren der Historiker Paul Nolte. Er thematisierte auch kulturelle Verwahrlosung und Gefahren durch „Junkfood“. Nolte diagnostizierte eine „fürsorgliche Vernachlässigung“: Während die Gesellschaft der Unterschicht materielle Fürsorge entgegenbringe, vernachlässige sie die Menschen in kultureller und sozialer Hinsicht. Gemeinschaften der Armut und der Abhängigkeit dürften sich aber nicht selbst überlassen bleiben, sondern müssten durch aktives Eingreifen wieder in die Mehrheitsgesellschaft integriert werden. Mit Ausgrenzung beschäftigt sich auch der Soziologe Heinz Bude. Er schlägt der politischen Linken vor, ihr Augenmerk auf soziale Exklusion zu richten. Laut Bude ist es heute weniger wichtig, ob ein Mensch in der Gesellschaft unten oder oben steht, sondern ob er drinnen oder draußen ist. Sowohl Nolte als auch Beck haben ihre Ideen auch vor politischen Zirkeln in Berlin erläutert.

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