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Ein syrisches Mädchen mit ihrer Puppe. Offenbar planen Bund und Länder, jeweils 5000 Flüchtlinge anzunehmen.

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Debatte um Aufnahme von Flüchtlingen: Die schwierige Hilfe für Syrien

Bund und Länder planen offenbar, insgesamt weitere 10000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Insgesamt liegen jedoch 76000 Anträge vor. Wie wird entschieden?

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Als sich die Innenminister von Bund und Ländern am Mittwochabend in Bonn zu ihrer dreitägigen Frühjahrstagung treffen, eilt ihnen eine Erwartung schon voraus: dass sie sich darüber einigen werden, mehr syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland einen Aufenthalt zu ermöglichen. Angesichts der humanitären Katastrophe in dem geschundenen Land wirken kleinliche Debatten über Kosten und Kontingente unangemessen. Und so bekundeten etwa die Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), und von Niedersachsen, Boris Pistorius (SPD), schon im Vorfeld der Konferenz den Willen, ein drittes Programm zur Aufnahme von Syrern zu vereinbaren.

Wie viele Syrer sind bislang in Deutschland aufgenommen worden?

Im März 2013 sagte die Bundesregierung die Aufnahme von 5000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen zu. Im Dezember 2013 wurde von den Bundesländern ein zweites Kontingent über 5000 Flüchtlinge beschlossen, dieses sollte vor allem dem Nachzug von Familienangehörigen gelten. Darüber hinaus sind auf den verschiedensten Wegen seit Ausbruch des Konflikts in Syrien in immer größerem Maße Asylbewerber nach Deutschland gekommen. In der Summe sind seit 2011 rund 38000 syrische Staatsbürger eingereist. Da etwa 30000 Syrer bereits vorher in Deutschland lebten, umfasst die syrische Community hier derzeit rund 68000 Menschen. Nach den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière nimmt Deutschland nach den Nachbarländern Syriens mit Abstand am meisten Flüchtlinge aus Syrien auf. Seit nunmehr drei Jahren werden bundesweit auch keine Menschen mehr nach Syrien abgeschoben.

Was steht einer höheren Aufnahmequote im Weg?

Es wird erwartet, dass sich die Innenminister in Bonn darauf einigen, nochmals jeweils 5000 Flüchtlinge durch den Bund und 5000 Flüchtlinge durch die Länder aufzunehmen. Hilfsorganisationen verweisen darauf, dass das nach wie vor völlig ungenügend sei. Größter Streitpunkt ist die Frage, wer zahlt. Bei dem vom Bund zugesagten Kontingent handelt es sich dem Status nach um Flüchtlinge, die nach Paragraf 23, Absatz 2, des Aufenthaltsgesetzes nach Deutschland kommen: verbunden mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis. Sie können also Arbeit suchen, haben Anspruch auf Sozialleistungen und Integrationskurse.

Die Aufenthaltszusage der Bundesländer basiert hingegen auf Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes, und diese Flüchtlinge unterliegen dem Asylbewerberleistungsgesetz mit all den damit verbundenen Einschränkungen. Die Kosten liegen bei dem jeweiligen Land und den Kommunen. Außer Bayern haben alle Bundesländer eigene Aufnahmeanordnungen, in denen sie den Nachzug von Familienangehörigen aus Syrien ermöglichen. Dabei können die Bundesländer von Paragraf 68 des Aufenthaltsgesetzes Gebrauch machen, indem ein in Deutschland lebender Syrer sich verpflichtet, sämtliche Kosten für den Lebensunterhalt eines Flüchtlings zu übernehmen. Diese die Bundesländer entlastende Regelung wird in unterschiedlich restriktivem Maße gehandhabt.

Die Migrations- und Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), kritisiert diese unterschiedlichen Statusregelungen. Die Innenminister von Bund und Ländern sollten „Ordnung in die unterschiedlichen Aufenthaltstatus der Betroffenen bringen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Es sollte „für die Menschen keinen Unterschied machen, ob sie über ein Landeskontingent oder ein Bundeskontingent Schutz in Deutschland bekommen haben“.

An die in Bonn tagende Innenministerkonferenz appellierte Özoguz, „von den zur Verfügung stehenden Spielräumen beherzt Gebrauch zu machen und weiteren syrischen Flüchtlingen einen sicheren Aufenthalt in Deutschland zu gewähren“. Zwar sei es richtig, dass andere europäische Länder dabei noch mehr tun könnten und dass Deutschland bei den europäischen Partnern dafür werben sollte. „Aber weder darf man sich hinter der Hartherzigkeit anderer verstecken noch hilft dieser Fingerzeig einem traumatisierten Kind, endlich Schutz und Zuflucht zu finden“, sagte Özoguz, die auch stellvertretende SPD-Vorsitzende ist.

Sollten nicht erst einmal die bisherigen Aufnahmekontingente erfüllt werden, ehe man neue auflegt?

In der Tat sind von den insgesamt 10000 syrischen Flüchtlingen, die Deutschland aufnehmen will, erst rund 4600 eingereist. Vor allem das zweite Programm zum Familiennachzug ist noch nicht annähernd erfüllt. Gleichwohl sind die meisten Anträge noch in der Bearbeitung, viele Aufnahmezusagen sind bereits erteilt, aber noch nicht umgesetzt. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag, beklagt, dass die Aufnahme „weiterhin viel zu schleppend verläuft“.

Erforderlich sei „eine großzügige Lösung für Syrer in Deutschland, die ihre Verwandten zu sich holen wollen“. Nach offiziellen Angaben liegen insgesamt 76000 Anträge von Syrern auf Familiennachzug vor – eine enorme verwaltungstechnische Herausforderung, die von deutschen Behörden in enger Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Syrien und in den Flüchtlingslagern der angrenzenden Staaten bewältigt werden muss.

Akademiker und Christen bevorzugt

Von Damaskus nach Rödinghausen: Diese Flüchtlinge haben den Bürgerkrieg hinter sich gelassen.
Von Damaskus nach Rödinghausen: Diese Flüchtlinge haben den Bürgerkrieg hinter sich gelassen.

© dpa

Nach welchen Kriterien werden Flüchtlinge in die Programme aufgenommen?

Wer in das „humanitäre Aufnahmeprogramm“, das sogenannte HAP 5000-2, also jenes über die zweiten 5000 Flüchtlinge, aufgenommen wird, hängt von Kriterien ab, die das Bundes Innnenministerium bereits im Mai 2013 festgelegt hat. Demnach sind solche Flüchtlinge auszuwählen, die einen „besonderen Beitrag für den Wiederaufbau des Landes nach dem Konflikt“ leisten können. Dazu sollen neben Akademikern, Kulturschaffenden und Journalisten auch „politische Aktivisten“ gehören. In der Anordnung heißt es weiter, „besonders schutzbedürftige“ Kinder mit ihren Eltern sowie „Frauen in prekären Lebenssituationen“ sollten bevorzugt werden. Auch Angehörige religiöser Minderheiten, in Syrien zählen dazu vor allem Christen, haben Chancen auf eine Aufnahme ins Programm.

Ein besonderes Augenmerk liegt aber auf der Aufnahme von Personen mit Verwandten in Deutschland. Die Länder haben das Vorschlagsrecht für 3500 Personen aus dem Kontingent. Mindestens 1000 Personen sollen zusätzlich durch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR ausgewählt werden. 500 Flüchtlinge werden direkt vom Bund, also dem Auswärtigen Amt oder dem Bundesinnenministerium, bestimmt.

Bisher sind im Laufe dieses zweiten Aufnahmeprogramms etwa 500 Syrer eingereist. 2000 weitere Aufnahmebescheide hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits ausgestellt und versandt, so dass in den kommenden Wochen mit zahlreichen weiteren Einreisen zu rechnen sei, sagte eine Sprecher.

Insgesamt hat Deutschland seit Beginn der Syrienkrise 2012 rund 520 Millionen Euro Hilfe vor Ort bereitgestellt. „In der Region erreicht man mit den eingesetzten Mitteln weitaus mehr Menschen, als es durch Flüchtlingsaufnahme möglich ist“, heißt es aus dem Ministerium.

Hilfsorganisationen kritisieren die bisherige Vorgehensweise der deutschen Regierung. Was fordern sie für die Schutzsuchenden aus Syrien?

Hilfsorganisationen und Menschenrechtler sind sich einig: Dass Deutschland mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen will, ist zunächst einmal aller Ehren wert. Aber die wohlhabende Bundesrepublik könnte und sollte noch weit mehr Menschen aus dem Bürgerkriegsland Zuflucht gewähren. Dazu gehört nach Ansicht des Deutschen Roten Kreuzes auch, die Einreise zu erleichtern. „Wir begrüßen die zusätzliche Aufnahme syrischer Flüchtlinge, appellieren aber gleichzeitig an Bund und Länder, die Aufnahmeverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen“, sagt Präsident Rudolf Seiters.

Zu hohe bürokratische Hürden moniert auch Günter Burkhardt. Der Geschäftsführer von Pro Asyl nennt die Verhandlungen von Bund und Ländern ein „unwürdiges Geschachere“ und fordert, rund 80 000 Angehörigen von in Deutschland lebenden Syrern einreisen zu lassen. Burkhardt verweist darauf, dass schon vor Kriegsausbruch mehr als 30 000 Syrer in Deutschland lebten. Diese „Community“ könne den Flüchtlingen helfen, sich zu integrieren, Jobs und Wohnungen zu finden.

Deutschland allein wird das Flüchtlingsproblem nicht lösen

Syrische Flüchtlinge in einem Lager in der Türkei.
Syrische Flüchtlinge in einem Lager in der Türkei.

© dpa

Deutschland allein wird das Flüchtlingsproblem jedoch nicht lösen. Es braucht eine einheitliche Vorgehensweise in Europa. Davon könne allerdings keine Rede sein, beklagt DRK-Präsident Seiters. Dabei wäre es sinnvoll, wenn wirtschaftlich starke Länder dem deutschen Beispiel folgten – was bisher nicht geschieht. Das liegt auch an Deutschland, glaubt Asylexperte Burkhardt. Die Bundesregierung halte unnachgiebig an der Dublin-II-Verordnung fest. Die sieht vor, dass das Land, in das die Flüchtlinge zuerst gelangen, für diese zuständig ist.

Das heißt, die Hauptlast liegt bei Staaten wie Italien. „Wenn zum Beispiel vor Lampedusa Gerettete in Deutschland Angehörige haben, sollte es selbstverständlich sein, dass sie hierher weiterreisen dürfen.“ Dazu müsste die Dubliner Verordnung geändert werden – woran Deutschland kein Interesse habe.

Dabei wünschen sich die Vereinten Nationen von der Staatengemeinschaft größeres Engagement. „Wir haben dazu aufgerufen, bis Ende des Jahres 30 000 Flüchtlinge aus der Konfliktregion aufzunehmen“, sagt Hans ten Feld, Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in Deutschland. Der Bundesrepublik komme dabei eine Vorreiterrolle zu. Und die EU könne mehr als bisher leisten.

Nur ein Bruchteil landet am Ende in Deutschland. Wie ist ihre Situation auf der Flucht?

Ein Land in Trümmern, Millionen ohne Heim und Hoffnung, tausende Tote. Die Lage in Syrien beschreiben Helfer mit drastischen Worten: Im Bürgerkriegsland sehe es heute aus wie „wie bei uns 1945“, sagte Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe. Die Situation dort sprenge jede Vorstellungskraft. Das sehen Hilfsorganisationen und die UN genauso. Sie sprechen von einer humanitäre Katastrophe, wie sie die Welt seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.

Schätzungsweise zehn Millionen Menschen haben wegen der heftigen Kämpfe ihre Heimat verloren. Das ist die Hälfte der Bevölkerung. Die meisten irren mit dem wenigen, das ihnen geblieben ist, von einer notdürftigen Unterkunft zur nächsten – immer in Furcht vor Angriffen. Knapp drei Millionen Menschen haben inzwischen Schutz in den Nachbarstaaten gefunden. Allein der Libanon beherbergt mehr als eine Million Syrer.

Wer es in die angrenzenden Länder geschafft hat, der kann sich glücklich schätzen. Denn er ist einem Krieg entkommen, der bislang 160 000 Menschen den Tod gebracht hat. Und braucht nicht zu hungern. Vier Millionen Syrer sind im eigenen Land dringend auf die Versorgung mit Lebensmitteln angewiesen. Verschärfend kommt in diesem Jahr noch eine extreme Dürre hinzu. Laut einer Studie von Unicef hat es in den vergangenen Monaten so wenig geregnet wie seit 50 Jahren nicht mehr. Die ohnehin kärglichen Ernteerträge sind gefährdet, Wasser für den täglichen Gebrauch ist Mangelware.

Doch trotz der Not dringen die Hilfsorganisationen oft nicht bis zu den Bedürftigen durch. Überall im Land gibt es Kontrollen. Von jeder Kriegspartei braucht man Genehmigungen und Sicherheitsgarantien. Häufig müssen die Lkw wieder umkehren, brauchen selbst für kleine Strecken viele Stunden. Zudem werden einige Orte entweder von Rebellen oder Assads Truppen abgeriegelt und Hilfslieferungen untersagt.

Als besonders dramatisch ist die Lage der syrischen Kinder. Fünf Millionen sind auf der Flucht. Die meisten von ihnen sind traumatisiert, waren seit Jahren nicht mehr in der Schule. Sie kennen nur Gewalt und Entbehrung. Die Hilfsorganisationen warnen deshalb vor einer verlorenen Generation.

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