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Debatte um Jugendkriminalität: Gewaltlos in Sibirien

Nach gewalttätigen Ausfällen gegen seine Mutter kam ein 16-Jähriger Hesse in die Jugendpsychatire - doch dort kam er nicht zurecht. Jetzt übt der Realschüler seine Friedfertigkeit im fernen Sibirien. Mit Strafe hat das allerdings nichts zu tun.

In einem sibirischen Dorf soll ein 16-Jähriger aus Hessen ein gewaltfreies Leben einüben. Der zuvor gewalttätige Jugendliche sei mit dem neunmonatigen Aufenthalt einverstanden, erklärte heute das Jugendamt des Landkreises Gießen. Der Jugendliche werde einzeln von einem Pädagogen der gemeinnützigen GmbH "Weg ins Leben" aus Erfurt betreut, sagte Kreisjugendamtsleiter Peter Heydt. Er bestätigte Medienberichte, denen zufolge der Jugendliche wegen zahlreicher gewalttätiger Ausfälle gegen seine Mutter und seine Betreuer in die Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, aber auch dort nicht zurecht kam. Der hyperaktive Junge ist jedoch nicht vorbestraft.

Der Standort Sibirien sei eher zufällig, weil die Maßnahme auf den Jugendlichen passe, sagte der Amtsleiter. "Das hat mit Strafe nicht zu tun und es hätte auch in Griechenland sein können." Der 16-Jährige sei auch nicht in einem Erziehungslager untergebracht, sondern lebe mit seinem Betreuer in einem Haus und werde in etwa zwei Monaten nach Deutschland zurückkehren, um mit weiterer Betreuung den Realschulabschluss zu schaffen. "Wir erwarten, dass er in etwa drei Jahren ein eigenständiges Leben führen kann."

"Kein Fernsehen, kein Internet"

In Sibirien gehe es darum, den Jugendlichen in eine konsum- und reizarme Umgebung zu bringen, sagte der Gießener Jugend- und Sozialdezernent Stefan Becker (Freie Wähler). Dort müsse er sich auf seinen Betreuer einlassen und könne deswegen auch wieder ein Stück zu sich selbst finden. Becker schilderte die Situation in dem sibirischen Dorf Sedelnikowo: "Da gibt's kein Fernsehen. Da gibt's kein Internet (...) keine Dinge, die ihn von der Spur abbringen können." Nach Einschätzung des Jugendamtes hat der Jugendliche bereits große Fortschritte gemacht. Er sei auf einem guten Weg, seine Probleme in den Griff zu bekommen, erklärte Becker.

Die frühere rot-grüne Bundesregierung hat die Voraussetzungen für erlebnispädagogische Auslandsaufenthalte im Jahr 2005 verschärft. Unter anderem dürfen nur noch Träger beauftragt werden, die einen Sitz im Inland haben. Das Land Hessen hat sich nach Angaben von Sozialministeriumssprecher Franz-Josef Gemein aus der Finanzierung von erlebnispädagogischen Projekten zurückgezogen. Dies sei Sache der Kommunen. Im Wahlkampf zum hessischen Landtag ist der Umgang mit gewalttätigen Jugendlichen ein zentrales Thema.

Nach einer Untersuchung der Wissenschaftler Holger Wendelin und Stefan Pforte schickt etwa die Hälfte der deutschen Jugendämter seine Klienten prinzipiell auch auf erlebnispädagogische Trips im Ausland. Im Dezember 2006 waren rund 600 Kinder und Jugendliche in solchen Maßnahmen. Sie stammten meist aus städtischen Umgebungen in Westdeutschland. (jam/dpa)

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