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Zwei Sozialdemokraten, zwei Meinungen. Parteichef Gabriel pro Tempolimit, Steinbrück dagegen.

© dpa / Fotomontage: TSP

Update

Debatte um Tempolimit auf Autobahnen: SPD-Chef Gabriel verärgert Genossen mit Alleingang

Seit längerem hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel keinen Alleingang mehr gewagt. Jetzt ist es wieder soweit und mit seiner Forderung nach einem Tempolimit verärgert er seine eigenen Partei und seinen Kanzlerkandidaten. Unter Experten ist sein Vorstoß umstritten.

Zuletzt hatte sich Sigmar Gabriel ziemlich im Griff. Galt er doch lange Zeit als sprunghaft und als einer, der mit viel Leidenschaft ständig neue Themen angestoßen hat. Davon war in den vergangenen Wochen und Monaten nicht viel zu sehen. Fokussiert wirkte Gabriel. Außerdem sorgte der eigene Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dafür, dass ständig neue Themen auf die Agenda kamen, und das waren mit der Debatte um seine Honorare, das Kanzlergehalt oder missglückte Blog-Experimente meist keine Themen, die besonders positiv für ihn und seine Partei waren. Doch nun hat SPD-Chef Gabriel mal wieder einen auch für viele Sozialdemokraten unerwarteten Alleingang gewagt und ein Thema aus dem Hut gezaubert, dass die eigenen Wahlkämpfer kaum erfreut, allen voran den Kanzlerkandidaten nicht.

Gabriel hat sich für ein allgemeines Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen ausgesprochen. "Tempo 120 auf der Autobahn halte ich für sinnvoll, weil alle Unfallstatistiken zeigen, dass damit die Zahl der schweren Unfälle und der Todesfälle sinkt“, sagte Gabriel der "Rheinischen Post". Der Rest der Welt mache es längst so, sagte Gabriel. Zweifel hat er allerdings an der Argumentation der Grünen, die aus ökologischen Gründen ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern fordern, um den Schadstoffausstoß der Autos zu begrenzen. „Ich glaube, dass die Wirkung dafür sehr, sehr begrenzt ist. Da sind modernere Motoren und Elektromobilität viel wirksamer“, sagte Gabriel.

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Peer Steinbrück kontert Gabriel. Er wolle keine Debatte über das Tempolimit führen, sagte er dem WDR. „Wir haben auf einem überwiegenden Teil des deutschen Straßennetzes bereits eine Geschwindigkeitsbeschränkung.“ Damit herrscht bei der SPD Kakophonie auf höchster Ebene: Der Parteichef gegen den Kanzlerkandidat mitten im Wahlkampf in einer oft sehr emotional geführten Debatte.

Für Steinbrück hätte der Gabriel-Vorstoß kaum ungünstiger sein können. Erstens hat er es seit einigen Wochen geschafft, zumindest in ruhigeres Fahrwasser zu kommen und zweitens hat er zeitgleich zum Gabriel-Interview ein Papier zu, Ausbau der Verkehrswege vorgestellt. Es ist auch nicht das erste Mal, dass Gabriel und Steinbrück nicht gemeinsam agieren. Zuletzt hatte Gabriel Steinbrück in puncto strafbefreiende Selbstanzeige im Fall Uli Hoeness zu einer Kurskorrektur genötigt, weil sich der SPD-Chef deutlich kritischer mit dem Instrument auseinandergesetzt hatte als Steinbrück.

In der SPD löst die neue Diskussion um ein Tempolimit Kopfschütteln aus. Bei Florian Pronold zum Beispiel. Er ist Fraktionsvize und Verkehrsexperte seiner Partei, zudem ist er als Vorsitzender der SPD Bayern Wahlkämpfer in einem Land, in dem das Auto das Hauptfortbewegungsmittel ist. "Das ist eine Debatte zur Unzeit", sagte Pronold dem Tagesspiegel. Er werde sich an der Debatte nicht beteiligen, weil es wichtigere Fragen zu beantworten gäbe. "Wir haben uns ein Wahlprogramm mit vielen relevanten Themen gegeben und darauf sollten wir uns konzentrieren", forderte Pronold.

Steilvorlage für Ramsauer, Kritik von eigenen Landesministern

Zwei Sozialdemokraten, zwei Meinungen. Parteichef Gabriel pro Tempolimit, Steinbrück dagegen.
Zwei Sozialdemokraten, zwei Meinungen. Parteichef Gabriel pro Tempolimit, Steinbrück dagegen.

© dpa / Fotomontage: TSP

Im Wahlprogramm haben sich die Sozialdemokraten nicht für eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ausgesprochen. Nur so einfach ist die Sache in der SPD nicht. Denn auf dem SPD-Parteitag 2007 in Hamburg gab es eine Mehrheit für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern.

Auch bei den eigenen Landesministern stößt die von Gabriel angestoßene Debatte auf wenig Freude. NRW-Verkehrsminister Michael Groschek sagte dem Tagesspiegel: "Wir haben im Moment weit größere Verkehrsprobleme zu bewältigen. Wir müssen erst einmal unsere Brücken und Straßen reparieren, damit sie überhaupt befahrbar bleiben. Über Tempolimits denke ich nach, wenn wir den Investitionsstau hinter uns gelassen haben.“ Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid lehnt ein generelles Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen ab. Es gebe dringendere Probleme, sagte ein Parteisprecher am Mittwoch in Stuttgart. Auch Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) reagierte zurückhaltend. „Meine Sorge gilt dem Zustand der Straßen und damit der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur“, sagte Meyer der Nachrichtenagentur dpa. Zudem sei im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SSW ein Tempolimit von 130 als Ziel genannt.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ließ sich die Steilvorlage nicht entgehen und sagte in Berlin: "Mit mir wird es ein generelles Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen nicht geben." Er wies darauf hin, dass sich die folgenschwersten Unfälle nicht auf Autobahnen, sondern auf Landstraßen ereigneten. Und FDP-Vizechef Holger Zastrow bezeichnete Gabriels Äußerungen als "verkehrspolitische Geisterfahrt".

Unterschiedliche Reaktionen hat Gabriel bei Experten und Verbänden ausgelöst. Almut Gaude, Sprecherin des BUND sagte: "Wir begrüßen den Vorstoß ausdrücklich. Es ist eine zentrale und längst überfällige Maßnahme, um den Kohlendioxidausstoß im Verkehr zu senken und die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren." Ein Tempolimit entspräche innerhalb eines Jahres eine Einsparung von drei Millionen CO2. Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Personenschäden wäre um ein Drittel reduziert." Der BUND hoffe, dass sich Sigmar Gabriel mit seinem Vorstoß durchsetzt.

Ganz anders die Reaktion des ADAC. Dieser lehnt die Forderung des SPD-Chefs ab. "Herr Gabriel irrt, wenn er die Unfallstatistiken für seine Argumentation bemüht, das zeigen die Erfahrungen vieler Länder, die ein allgemeines Tempolimit haben", sagte ADAC Vizepräsident für Verkehr Ulrich Klaus Becker. Nach Angaben des Clubs liegt die Zahl der Getöteten auf Autobahnen pro eine Milliarde Kraftfahrzeugkilometer in Deutschland bei rund 1,8 – seit Jahren mit fallender Tendenz. In Österreich, wo ein Tempolimit von 130 gilt, ist die Getötetenrate auf Autobahnen 1,5-mal höher als in der Bundesrepublik. 

Wie der ADAC weiter mitteilt, starben 2012 rund 3.600 Menschen im Straßenverkehr, knapp elf Prozent davon auf Autobahnen. Hier wird  jedoch rund ein Drittel aller Fahrleistungen erbracht. Der Anteil der Getöteten und auch der Schwerverletzten sei damit weit unterdurchschnittlich. Auch beim Vergleich von Abschnitten mit Tempolimit 120 oder 130 Stundenkilometern mit Abschnitten ohne Beschränkungen zeige sich kein höheres Sicherheitsniveau auf den limitierten Strecken. Knapp 40 Prozent aller Autobahnabschnitte in Deutschland seien dauerhaft oder zeitweilig geschwindigkeitsbeschränkt.

Handlungsbedarf sieht der ADAC vielmehr bei den Landstraßen, auf denen rund 60 Prozent aller Verkehrstoten zu beklagen seien. Schwere Unfälle ereigneten sich vor allem an besonders unsicheren Kreuzungen, beim Überholen oder aufgrund mangelhafter Sicherung durch Leitplanken. Hier sei durch entsprechende Ausbaumaßnahmen und Entschärfung von Unfallschwerpunkten das Sicherheitsniveau zu erhöhen.

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