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Der Supreme Court der Vereinigen Staaten mit Chief Justice John Roberts in der Mitte. Hinten rechts der neueste Zugang: die Konservative Amy Coney Barrett.

© Erin Schaff/AFP

Debatte um US-Gericht: Ist der Supreme Court mehr als ein „Trump-Gericht“?

Der Supreme Court verhandelt nun Themen mit großer Sprengkraft: Abtreibung und Waffenrecht. Dabei wird sich zeigen, wie konservativ das Gericht tatsächlich ist.

Für die Demokraten steht fest: Der aktuelle Supreme Court ist ein „Trump Court“. Mit dieser Botschaft versuchte der demokratische Gouverneurskandidat in Virginia, Terry McAuliffe, vor seinem republikanischen Gegenspieler Glenn Youngkin zu warnen.

Würde Kandidaten wie Youngkin, der bei der Wahl an diesem Dienstag gute Chancen hat, gewinnen, stehe es Frauen vielerorts bald nicht mehr offen, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Denn das nationale Abtreibungsrecht sei durch das inzwischen mehrheitlich konservative Gericht ernsthaft in Gefahr, so McAuliffe. Bundesstaaten könnten dann selbst entscheiden, wie sie diese Frage regeln.

Ob McAuliffe richtig liegt, könnte sich bald zeigen. Das Gericht befasst sich in dieser Woche mit gleich zwei Themen, die große gesellschaftspolitische Sprengkraft in den USA haben: dem Abtreibungs- und dem Waffenrecht. In einer Anhörung am Montag ging es um ein umstrittenes Gesetz aus Texas, das faktisch fast alle Schwangerschaftsabbrüche untersagt. Dagegen klagen die Bundesregierung und Betreiber von Abtreibungskliniken.

Am Mittwoch geht es um das Waffenrecht

An diesem Mittwoch beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, ob Bundesstaaten das im zweitem Verfassungszusatz festgeschriebene Recht, eine Waffe in der Öffentlichkeit zu tragen, einschränken können. Im Bundesstaat New York gilt seit einem Jahrhundert die Regel, dass man dafür einen wichtigen Grund anführen muss.

Dagegen wehren sich zwei Kläger – unterstützt von der Waffenlobbyorganisation National Rifle Association (NRA). Die den Republikanern nahestehende NRA hofft auf einen Schneeballeffekt durch das Urteil in anderen Staaten.

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Auf den ersten Blick liegt der Schluss nahe, dass ein Gericht, für das der republikanische Ex-Präsident Donald Trump drei Richter ernennen konnte, darunter die konservative Abtreibungsgegnerin Amy Coney Barrett, nach rechts gerückt ist. Es ist lange her, dass es so eine deutliche Mehrheit der Konservativen – 6:3 – gab.

Die Konservativen sind kein monolithischer Block

Allerdings bilden sie keinen monolithischen Block: So hat sich Chief Justice John Roberts in den vergangenen Jahren als moderater Richter positioniert. Auch der unter Trump hinzugekommene und mit Roberts eng befreundete Brett Kavanaugh wird, obwohl die Demokraten seine Bestätigung wegen Missbrauchsvorwürfen zu verhindern suchten, inzwischen zu diesem Lager gezählt.

Zudem gibt es bereits Belege dafür, dass das Gericht kein „Trump Court“ sein will. So tat es nach der Wahl im November eben nicht, was Trump sich erhofft hatte: Der Supreme Court half ihm nicht, an der Macht zu bleiben. Auch bei anderen Themen wie Einwanderung oder seinen Versuchen, Barack Obamas Gesundheitsreform zurückzudrehen, wurde Trump enttäuscht.

Steht „Roe v Wade“ auf der Kippe?

Spannend wird nun sein, wie sich das Gericht in der Abtreibungsfrage und beim Waffenrecht verhält. Mit dem Grundsatzurteil „Roe v Wade“ von 1973 und einer weiteren Entscheidung im Jahr 1992 schien der Streit um Abtreibungen geklärt. Grob gesagt ist eine Schwangerschaft in den ersten drei Monaten Privatsache, der Staat darf sich da nicht einmischen.

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Texas versucht nun, dies zu umgehen, und verbietet Abtreibungen ab dem Moment, in dem ein Herzschlag festgestellt werden kann. Das ist etwa ab der sechsten Woche der Fall, da wissen die meisten Frauen noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Selbst für Vergewaltigung und Inzest sind keine Ausnahmen vorgesehen.

In Texas ist die Zahl der Abtreibungen stark zurückgegangen

Der Trick der Texaner, um „Roe v Wade“ zu umgehen: Nicht der Staat verfolgt Verstöße, sondern Privatpersonen werden mit hohen finanziellen Anreizen zu Anzeigen ermuntert.

Schon zeigen sich die Auswirkungen eines Gesetzes, das Ärzte und Kliniken in Gefahr bringt, verklagt zu werden: Seit 1. September, als die Regelung in Kraft trat, ist die Zahl der Abtreibungen in Texas um rund 50 Prozent zurückgegangen. Entsprechende Kliniken in Nachbarstaaten wie Oklahoma und New Mexiko melden lange Wartezeiten für einen solchen Eingriff.

Und schon machen andere konservative Bundesstaaten klar, dass sie sich Texas zum Vorbild nehmen werden, sollte das Oberste Gericht das Gesetz bestehen lassen.

Die Studentin Grace Rykaczewski demonstriert gegen Abtreibungen.
Die Studentin Grace Rykaczewski demonstriert gegen Abtreibungen.

© Juliane Schäuble/Tsp

Genau das freut Grace Rykaczewski. Die Studentin aus New Jersey, gehört zu einer Gruppe junger fröhlicher Frauen, die sich am Montagmorgen vor den eindrucksvollen Marmorstufen des Supreme Court positioniert haben. Sie halten rote Herzballons und Schilder mit den Worten hoch: „Lasst ihre Herzen schlagen“.

Die Studentin will alle Abtreibungen verbieten

Rykaczewski, Pferdeschwanz, Jeans, rotes T-Shirt, erklärt, warum sie knapp vier Stunden gefahren ist, um in Washington zu protestieren: „Jede Abtreibung beendet das Leben eines unschuldigen Kindes. Und sie ist traumatisch für Frauen.“

Die „Abtreibungsindustrie“ vermittle ständig, Kind und Karriere seien nicht miteinander vereinbar. Aber sie wollten Frauen ermutigen und ihnen dabei helfen, sich für Kinder zu entscheiden. Rykaczewski will, dass alle Abtreibungen verboten werden – sogar die Pille danach. „Das Land beginnt für mich im Moment der Empfängnis.“

Die Ärztin Julie Rice fordert: Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge.
Die Ärztin Julie Rice fordert: Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge.

© Juliane Schäuble

Wenige Meter daneben steht Julie Rice. Die Notärztin der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, im weißen Kittel und mit Maske, ist entsetzt über das Gesetz von Texas – und fürchtet Schlimmes für die Zukunft.

Die Ärztin fürchtet um die Gesundheitsversorgung

„Ich glaube, dieser Supreme Court wird ,Roe v Wade’ aushöhlen. Dann könnten Frauen nicht mehr so gesundheitlich versorgt werden, wie es nötig ist – und sie würden im Zweifel selbst versuchen, ihre Schwangerschaft zu beenden.“

Sie sei wütend und traurig, sagt Rice, und mache sich Sorgen um ihre Patienten. Auch sie hält ein Schild hoch: „Abtreibung ist Gesundheitsfürsorge“, heißt es da.

Die ideologischen Lager prallen vor dem Supreme Court aufeinander – auch wenn die Stimmung am Montag friedlich bleibt. Die Demonstrantengruppen protestieren nebeneinander, ohne sich mit der anderen Seite anzulegen.

Drei Stunden Anhörung

Drei Stunden hören die Richter am Montag im Fall „United States v Texas“ Argumente, die über Lautsprecher zu den Demonstranten übertragen werden. Dabei deutet sich an, dass die Richter die beiden Klagen zumindest zulassen könnten. Vor allem Kavanaugh will wissen, ob Bundesstaaten durch ein ähnliches Vorgehen wie Texas andere Grundrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit oder das Recht auf Waffenbesitz einschränkten könnten.

Beobachter gehen davon aus, dass das Gericht das Gesetz aus diesem Grund blockieren könnte. Eine Entscheidung in der Sache wäre dies noch nicht.

Mississippi verbietet Schwangerschaftsabbrüche ab der 15. Woche

Dazu könnte es ab dem 1. Dezember kommen: Ab dann verhandelt das Gericht über ein Gesetz aus Mississippi, das Abtreibungen ab der 15. Woche verbietet. Der Bundesstaat will damit „Roe v Wade“ kippen. Julie Rice und Grace Rykaczewski wollen dann wieder vor den Supreme Court ziehen.

Die texanische Abgeordnete Shelby Slawson (l) und die texanische Senatorin Angela Paxton hören zu, während der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton vor dem Supreme Court spricht.
Die texanische Abgeordnete Shelby Slawson (l) und die texanische Senatorin Angela Paxton hören zu, während der texanische Generalstaatsanwalt Ken Paxton vor dem Supreme Court spricht.

© Jacquelyn Martin/AP/dpa

Würde das Gericht „Roe v Wade“ aushöhlen, wie Rice es befürchtet, könnte es wieder zu einem Flickenteppich kommen, wie es vor der Entscheidung 1973 der Fall war. Jeder Bundesstaat könnte dann eigene Regelungen finden.

Angela Paxton, die mit ihrem Ehemann, dem texanischen Justizminister Ken Paxton am Montag nach Washington gekommen ist, will genau das erreichen: „Wem unsere Regelung in Texas nicht gefällt, der kann ja in einen anderen Staat umziehen“, sagte Paxton, die selbst Senatorin im texanischen Kongress ist, dem Tagesspiegel.

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