zum Hauptinhalt

Demjanjuk-Prozess: Unter der Peitsche der SS

Mit der Schilderung beklemmender Einzelheiten aus dem Vernichtungslager Sobibor ist am Donnerstag der Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk fortgesetzt worden.

München - Der 84 Jahre alte Philip Bialowitz berichtete vor dem Landgericht München II über seine Erlebnisse in dem Lager, in dem ein Großteil seiner Familie starb. Während seine Schwestern und andere Verwandte in die Gaskammern getrieben wurden, wählte die SS seinen älteren Bruder Simcha, einen Apotheker, sowie ihn selbst als Arbeitshäftlinge aus. Beide konnten bei einem Aufstand 1943 entkommen. Demjanjuk soll in Sobibor Wachmann gewesen sein.

Bereits vor seiner Aussage hatte Bialowitz ebenso wie der 82 Jahre alte Sobibor-Überlebende Thomas Blatt klargestellt, dass er sich konkret an Demjanjuk nicht erinnern kann. Beide sind auch Nebenkläger in dem Prozess gegen den 89-Jährigen, der das Verfahren wie stets im Liegen verfolgte.

Bialowitz, damals noch jugendlich, musste in Sobibor die Züge mit den Transporten von Juden entladen helfen. In einigen Transporten waren viele Tote – Bialowitz schilderte das Bild einer toten Frau, die noch ihr Baby fest im Arm hatte. Er habe am Boden gelegen und lieber sterben wollen, als diese Körper aus dem Zug zu holen. „Ich war unter Schock“, sagte er. „Ich habe gehofft, dass sie mich erschießen.“ Jedoch habe ihn ein SS-Mann mit der Peitsche geschlagen und ihn aufgefordert weiterzuarbeiten. Er habe den Geruch nicht mehr ertragen können. Der Lagerkommandant Karl Frenzel sei zu ihm gekommen und habe ihm eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt. Frenzel habe auch die tote Mutter mit ihrem Kind gesehen. „Was für ein schönes Bild“, habe er gesagt, ein Foto gemacht und sich entfernt.

Zuvor hatte der Überlebende Thomas Blatt vor Gericht als Zeuge ausgesagt. Er sei im April 1943 als 15-Jähriger in das Lager im heutigen Polen gebracht worden und könne sich mehr als 60 Jahre später nicht einmal mehr an das Gesicht seiner Mutter erinnern, die dort umkam, hatte Blatt am Dienstag zu Protokoll gegeben. Ukrainische Wachmänner, Trawniki genannt, zu denen auch Demjanjuk gehört haben soll, seien „das wichtigste Personal“ gewesen. „Ohne sie konnte die Todesfabrik nicht arbeiten.“

Auch Bialowitz sagte, die Wachmänner seien zumeist Ukrainer gewesen und hätten sich sehr schlecht verhalten. Bialowitz berichtete außerdem, dass diese sogenannten Hilfswilligen bei dem Aufstand im Oktober 1943 nicht mitfliehen wollten. Stattdessen hätten sie ihre Waffen genommen und auf die Flüchtenden geschossen.

Blatt hatte zudem erzählt, wie er sich in den 60er Jahren mit dem Lagerkommandanten Frenzel zum Interview traf. Frenzel habe damals unter anderem gesagt, dass es ihm leidtue. Er habe aber auch versucht, gut dazustehen, da ihm selbst der Prozess gemacht werden sollte. Frenzel wurde 1966 vom Landgericht Hagen zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Gericht lehnte am Donnerstag Anträge von Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch ab, den US-Anwalt Martin Mendelsohn als Nebenklagevertreter für Blatt und Bialowitz abzulehnen. Busch hatte argumentiert, Mendelsohn sei vor Jahrzehnten in den USA federführend an Ermittlungen gegen Demjanjuk beteiligt gewesen und könne deshalb nicht Nebenklagevertreter sein. dpa/rtr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false