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Politik: Demo gegen Rassismus: "Gegen Rechts sollen nicht nur Profis kämpfen"

Herr Bundestagspräsident, nachdem im Sommer die Presse rechtsextreme Gewalt als großes Problem entdeckt hatte, sagten Sie im Bundestag, die öffentliche Empörung dürfe kein "mediales Sommertheater" bleiben. Was macht Sie sicher, dass die Wirkung der Demonstration vom 9.

Herr Bundestagspräsident, nachdem im Sommer die Presse rechtsextreme Gewalt als großes Problem entdeckt hatte, sagten Sie im Bundestag, die öffentliche Empörung dürfe kein "mediales Sommertheater" bleiben. Was macht Sie sicher, dass die Wirkung der Demonstration vom 9. November mehr sein wird als politisches Herbsttheater?

Sicher kann da niemand sein, denn niemand weiß, wie die Entwicklung weiter geht. Ich erinnere mich aber mit großem Ärger an den konjunkturellen Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus und Gewalt. Ich befürchte, dass auch eine große Demonstration unsere Medien nicht dazu bringen kann, sich kontinuierlicher mit einem Phänomen zu befassen, das unsere Gesellschaft gefährdet. Trotzdem ist der Versuch notwendig.

Richtete sich Ihr Appell nur an die Medien?

Nein, aber ohne die Medien gibt es keine öffentliche Kommunikation. Sie bestimmen mehr als Politiker die Kontinuität oder Diskontinuität von Themen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mich mit diesem Thema schon befasst, als es keine öffentliche Aufregung gab.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Demonstration?

Ich wünsche mir, dass die Bürger dieser Gesellschaft zeigen, dass diejenigen, die die Demokratie und die Regeln der Menschlichkeit und des Anstands verteidigen wollen, die Mehrheit sind. Ich wünsche mir, dass die Bürger nicht meinen, die Verteidigung einer menschlichen Gesellschaft sei nur Sache von Spezialisten, also nur derer "da oben".

Wäre es nicht besser, dieser Beweis würde ohne Anleitung durch Politiker erbracht?

Im Grundgesetz steht, dass es Aufgabe der Parteien ist, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Wenn sie das denn tun, wie mit dem Aufruf zu dieser Kundgebung, wieso soll man sie genau dann kritisieren? Wer kritisiert, dadurch würde eine zivilgesellschaftliche Bekundung zu einer Staatsangelegenheit, der unterstellt, dass die Parteien der Staat seien. Das ist aber nicht so, da gibt es eine Differenz.

Manche meinen, bei der Bekämpfung rechter Gewalt seien sich die Eliten einig, die Gesellschaft neige dazu, wegzuschauen. Ist das so?

Es ist wahrscheinlich übertrieben zu behaupten, die Gesellschaft schaue weg. Da würde ich vorsichtiger sein. Mein Eindruck ist, dass ein großer Teil der Gesellschaft nicht einverstanden ist mit Gewalt, Rassismus und Antisemitismus, innerlich empört ist und den Kopf schüttelt, aber in der Überzeugung lebt, die Profis seien dafür zuständig. Die Mehrzahl verhält sich schlicht konsumistisch zu Recht, Gesetz, Gesittung und Moral. Diese Haltung müssen wir überwinden, denn diese Regeln zu verteidigen ist eine Angelegenheit der ganzen Gesellschaft. Wir müssen daran arbeiten, dass die Menschen dazu neu motiviert werden.

Zur Großdemonstration gegen rechte Gewalt vor acht Jahren kamen mehr als Hunderttausend Teilnehmer. Was wäre das für ein Signal, wenn es diesmal weniger wären?

Ach wissen Sie, das ist immer ein Problem, wenn man das nur noch an Zahlen misst. Ich kann keine Zahlen nennen, an welchem Punkte die Motivation eintritt, das wäre Erbsenzählerei und ist nicht wirklich messbar.

An einem Wochenende hätten mehr Menschen Zeit gehabt. War der Verweis darauf, dass die Deutschen in der Verantwortung der Geschichte stehen, so wichtig?

Der 9. November ist ein verflucht deutsches Datum: die Erinnerung an die Reichspogromnacht, an den Marsch auf die Feldherrenhalle, an die Novemberrevolution und an die Öffnung der Mauer. Glück und Unglück, Freude und Entsetzen mischen sich an diesem Tag. Dass wir uns an diesem Gedenktag an den Beginn der systematischen Vernichtung der Juden erinnern und ihn mit einer Kundgebung begehen, heißt ja, sich der Verpflichtung der Geschichte bewusst zu sein und in die Gegenwart zu tragen.

Es demonstrieren Parteien und Organisationen, die untereinander streiten über Ausländerpolitik, Asylpolitik. Ist das gut so?

Eine demokratische Gesellschaft, deren Basis der friedliche Streit ist, sollte sich schon an ein paar gemeinsame Grundüberzeugungen erinnern. Ich hoffe sehr, dass dann eine solche Vergegenwärtigung elementarer Gemeinsamkeit den Streit wieder etwas friedlicher macht. Ich wünsche mir, dass die Auseinandersetzung über Themen wie Zuwanderung, Asyl, Integrationspolitik so sachlich und differenziert wie möglich geführt wird.

Bei der Demonstration von 1992 gab es Übergriffe von so genannten Autonomen. Was macht Sie sicher, dass die Demonstration am Donnerstag friedlich bleiben wird?

Mit Gewissheit kann man das nicht voraussagen, zumal die ständige Erinnerung an die Zwischenfälle von vor acht Jahren wie eine Einladung an eine bestimmte Szene wirken mag. Ich hoffe nur sehr, dass die Polizei ihre Pflicht tut, und das mit Intelligenz. Ich hoffe sehr, dass die so genannten Linksautonomen begreifen, wie sehr sie dem Kampf gegen Rechtsextremismus schaden, wenn Gewalt am Rande dieser Demonstration stattfindet. Das würde den Rechtsradikalen dienen. Ich hoffe nicht, dass wir das Schauspiel eines Zusammenspiels zwischen extrem Links und extrem Rechts erleben.

Darüber, was deutsch sei, wird sehr gestritten. Sind Sie stolz, ein Deutscher zu sein?

Ach Gott, auf eine solche Frage zögere ich immer mit einer Antwort. Ich bin einfach selbstverständlich ein Deutscher, mit großer Selbstverständlichkeit, ohne allzu heftige Gefühlswallungen, die man Stolz nennen könnte oder, umgekehrt, Entsetzen. Ich wünsche mir sehr, dass wir ein Volk werden, das ein gelassenes und insofern ein europäisches Verhältnis zur eigenen Nationalität entwickelt. Das wäre schön. Dann bräuchten wir manche Selbstfindungsdebatten verquerer Art nicht zu führen.

Herr B, estagspräsident[nachdem im Sommer d]

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