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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

© dpa

Politik: Demokratie auf Türkisch

Die Türkei wird oft als mögliches Vorbild für die neu entstehenden Staaten nach der arabischen Rebellion herangezogen. Gilt das auch für Ägypten?

Auch in der Türkei hat eine von frommen Muslimen dominierte zivile Regierung die selbstbewussten Militärs von den Schalthebeln der Macht verdrängt. Nicht zuletzt wegen dieser „stillen Revolution“, von der türkische Regierungspolitiker mit Stolz reden, sieht sich die Türkei als Vorbild der nach Demokratie strebenden Länder des Arabischen Frühlings. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten, die für die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan weniger erfreulich sind: Wie in Ägypten fürchten sich auch in der Türkei manche vor der neuen Ära nach der Entmachtung der Generäle.

Die türkischen Streitkräfte hatten ihre traditionelle Wächterrolle über den Staat, die bis in die Gründungsphase der türkischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg zurückreicht, mit den Jahren zu einer Art Nebenregierung ausgebaut. Vier demokratisch gewählte Regierungen wurden von der Armee aus dem Amt gejagt, kein Politiker in Ankara wagte es, den Generälen zu widersprechen.

Das änderte sich erst langsam nach dem Machtantritt der islamisch-konservativen AKP Erdogans Ende 2002. Die Spannungen zwischen der AKP-Regierung und der strikt säkularistischen Armee entluden sich im Jahr 2007 in einer offenen Putschdrohung der Generäle gegen Erdogan. Doch der Ministerpräsident gewann die Machtprobe mit- hilfe einer sofort angesetzten Neuwahl, bei der die AKP einen Erdrutschsieg einfuhr – die Militärs waren blamiert. Gleichzeitig kratzten immer neue Enthüllungen über geheime Putschpläne von Offizieren am Renommee der Generäle; etliche hohe Militärs landeten vor Gericht. Im vergangenen Jahr besiegelte Erdogan die Entmachtung der Soldaten, indem er die alte Armeeführung durch einen von ihm selbst ausgewählten Generalstab ersetzte.

Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Zivilisten in Ankara das Sagen haben. Erdogan-Kritiker sehen darin allerdings eine potenzielle Gefahr. Es wird viel darüber diskutiert, was nach dem Ende der militärischen Vormundschaft geschehen wird. Die Regierung verspricht mehr Demokratie. Doch die Opposition befürchtet, dass Erdogan alle Mechanismen zur Kontrolle der Regierungsmacht außer Kraft setzen will. Zur Untermauerung ihrer These verweisen Regierungsgegner unter anderem auf die sehr scharfe Kritik des Premiers an den Medien.

Die Türkei bastelt momentan an einer anderen Verfassung, die für eine demokratische Machtbalance zwischen Regierung, Parlament, Justiz und Öffentlichkeit sorgen soll. Ob der Versuch gelingt, ist noch offen – der Text soll bis Ende des Jahres vorliegen.Thomas Seibert

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