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Politik: „Demokratie ist mühsamer als Diktatur“

Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer über Frust im Osten und Grenzen der Finanztransfers

Altkanzler Helmut Schmidt hat in einem Tagesspiegel-Interview gesagt, es sei „das schwerste innenpolitische Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte“, die ökonomische Schieflage zwischen Ost- und Westdeutschland zu dulden. Hat er recht?

Wenn man diese Schieflage passiv erdulden würde, hätte er recht. Aber wir mühen uns gemeinsam, diese Schieflage zu überwinden. Dazu dienen solche Einrichtungen wie der Solidarpakt mit seinen enormen Finanztransfers von West nach Ost. Deshalb hat er nicht recht.

Der CDU-Parteitag Ende November hat zum Aufbau Ost überhaupt nichts gesagt. Dagegen nahm er einen Beschluss zur differenzierten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I an, der die Ostdeutschen wegen ihrer vergleichsweise kurzen Einzahldauer in die Arbeitslosenversicherung klar benachteiligt. Ist der CDU der Sensus für den Osten verloren gegangen?

Die Tatsache, dass der jüngste CDU-Parteitag keinen besonderen Beschluss zum Aufbau Ost gefasst hat, hängt damit zusammen, dass alle wichtigen Weichen bis zum Jahr 2019 gestellt sind. Es nutzt niemandem, immer nur deklamatorische Erklärungen, die keine Substanz haben, in die Welt hinauszuposaunen. Und was den Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen zum Arbeitslosengeld I anbelangt: Klar ist, es darf nicht mehr Geld kosten. Die besser zu stellen, die länger eingezahlt haben, halte ich erst dann für machbar, wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt sinkt, so dass wieder Finanzmasse verfügbar ist. Aber ich würde das nicht als unfreundlich gegenüber den neuen Bundesländern ansehen.

Der Korb II des Solidarpakts ist in trockenen Tüchern. Sie haben ihn mitausgehandelt. Aus Sachsen und aus Thüringen aber kommt Kritik, dass der Bund den neuen Ländern zu wenig hilft bei der Finanzierung von Sonderrenten aus DDR-Zeiten. Haben Sie sich über den Tisch ziehen lassen?

Bei der Zuordnung der Gelder aus dem Korb II haben wir eine sachgerechte und ausgewogene Lösung gefunden. Bei den Zuwendungen des Bundes zu den DDR-Zusatzversorgungssystemen hatten wir allerdings höhere Erwartungen. Da hätten wir uns eine noblere Haltung des Bundes gewünscht und fühlen uns nicht besonders gut behandelt.

Wird da noch nachgebessert?

Der Bundeshaushalt für 2007 war zum Zeitpunkt dieser Absprachen schon beschlossen, da wird sich jetzt nichts mehr ändern. Aber spätestens mit den Beratungen über den Haushalt 2008 soll dieses Thema noch einmal diskutiert werden.

Bisher schien die Strategie im Osten darin zu bestehen, viel zu fordern, damit man wenigstens etwas Zusätzliches erhält. Mittlerweile hat man den Eindruck, es ist umgekehrt: Nur nicht mit lauten Forderungen die Solidarität des Westens strapazieren …

Ich halte es für eine völlig abwegige Vorstellung, dass der Aufbau der neuen Bundesländer darin besteht, unentwegt zu klagen und von anderen Geld zu fordern. Wir brauchen Sicherheit, was die Finanztransfers anbelangt – die gibt es jetzt. Nun müssen wir in den Ländern selbst etwas Ordentliches damit machen. Das Ziel des Aufbaus Ost kann doch nicht die Perfektion des Jammerns sein.

Warum will der selbsttragende Aufschwung im Osten nicht gelingen?

Dazu muss der Wirtschaftsstandort neue Bundesländer so weit aufgebaut werden, dass sich selbst tragende Strukturen entstehen. Das ist nicht unmöglich. In der Ernährungsgüterwirtschaft zum Beispiel werden wir das wahrscheinlich zuerst schaffen. In anderen Bereichen sind wir weit davon entfernt. Das hängt damit zusammen, dass wir hier zwar Produktionsbetriebe haben, aber kaum Forschungs- und Entwicklungszentren und dass die Konzernzentralen alle ganz woanders sind, nur nicht in Sachsen-Anhalt.

In seinem Buch „Die veränderte Republik“ stellt Klaus Schroeder von der FU Berlin fest, bei größeren Teilen der Bevölkerung im Osten gehe eine grundsätzliche Kritik an der Vereinigung und der politischen Ordnung einher mit einer Aufwertung und Verharmlosung der SED-Diktatur. Stimmen Sie dem Befund zu?

Auch ich habe den Eindruck, dass die DDR im Rückblick von einer größeren Zahl von Leuten nostalgisch verklärt wird. Zustände, die damals von fast allen beklagt wurden, gibt es seit 16 Jahren nicht mehr und tun nicht mehr weh. Und Dinge, die damals anders, vielleicht auch freundlicher geregelt waren, erscheinen heute in einem rosaroten Schimmer. Dass in der DDR die Arbeitslosigkeit hinter den Fabriktoren organisiert wurde, hatte für die Betroffenen eine völlig andere Konsequenz. Jeder war untergebracht, war versichert und bekam ein auskömmliches Gehalt. Dass auf diese Weise die Wirtschaft kaputtgemacht wurde, wissen zwar die meisten, aber es berührt die Leute nicht weiter.

Zu einem drastischeren Befund kommt das Bielefelder Institut für Konfliktforschung: In Ostdeutschland seien ganze Landstriche von „Demokratieentleerung“ bedroht. Auch Sachsen-Anhalt hat immer wieder Probleme mit rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Tendenzen. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?

Sie macht uns Angst. Und wir registrieren sie nicht nur, sondern versuchen, deutlich und energisch dagegenzuhalten. Viele Menschen sind von den demokratischen Entscheidungsstrukturen des Parlamentarismus enttäuscht. Sie sagen: „Da wird geredet und geschwatzt, alle denken nur an sich, und für uns arme Leute wird nicht ordentlich entschieden.“ Das war in der DDR anders: Da wurde nicht diskutiert – da wurde entschieden und verkündet, und wer meckerte, bekam Ärger. Das war keine Demokratie, und viele haben das beklagt. Damals hatten sie nichts zu wählen, und heute, da sie es können, gehen sie nicht hin. Das ist eine weit verbreitete Demokratieresignation. Das darf nicht so bleiben, weil es der Nährboden für rechtsextremes Gedankengut ist.

Sie haben in Sachsen-Anhalt unlängst die Kampagne „Hingucken“ gestartet. Ist das nicht nur ein hilfloser Versuch, die Symptome zu bekämpfen statt die Ursachen?

Wir machen das, was sie hilflos nennen, weil es immer noch besser ist, als gar nichts zu machen. Bisher hat noch niemand ein Patentrezept gefunden, um das Übel an der Wurzel zu packen. Wir haben ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, an dem alle Ministerien der Landesregierung mitwirken. Es gilt, alle Verantwortlichen zu sensibilisieren für die Gefährdungen durch den Rechtsextremismus, die Ansätze zu erkennen und Zeichen zu setzen, dass wir uns diesem Treiben entschlossen in den Weg stellen.

Sehen Sie einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der im Osten doppelt so hohen Arbeitslosigkeit wie im Westen und diesen rechtsextremistischen Auswüchsen?

Ja, den sehe ich. Der Weg ist: eigene Perspektivlosigkeit, grundsätzlicher Demokratiefrust, Anfälligkeit gegenüber denjenigen, die sagen, hier muss wieder ordentlich regiert werden, hier muss wieder eine starke Kraft her. Wir müssen auch deutlich machen, dass Demokratie mühsamer ist als Diktatur, aber dass Demokratie im Gegensatz zur Diktatur die Würde des Einzelnen respektiert. Deshalb müssen wir die Mühsal auf uns nehmen, um in Würde und Freiheit miteinander leben und die Probleme lösen zu können.

Das Gespräch führte Matthias Schlegel.

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