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Politik: „Den Kanzler alle fünf Jahre wählen“

Justizministerin Zypries über eine längere Legislatur, über Streitkultur – und ihr Verhältnis zu Innenminister Schily

Als Referentin in der niedersächsischen Staatskanzlei und später als Staatssekretärin waren Sie lange an der Politik, jetzt, als Ministerin, sind Sie erstmals selbst in der Politik. Was erschreckt Sie dort am meisten?

Mich erschreckt gar nichts. Es ist neu, jetzt im Rampenlicht zu stehen, aber die Arbeit ist sehr ähnlich: Es geht darum, vernünftige, sachorientierte Entscheidungen zu treffen.

Der politische Meinungskampf wird immer härter, manchmal beleidigend. Haben wir jedes Maß verloren?

Ich hoffe nicht. Aber der Ton der Auseinandersetzung ist nach der Wahl noch schärfer geworden als vorher – auf allen Seiten. Vielleicht, weil es die Union gekränkt hat, dass sie die Wahl verloren hat, obwohl sie noch bis zum späten Wahlabend vom Gegenteil überzeugt war. Fest steht: Die Union hat mit der Verschärfung des parlamentarischen Klimas begonnen, als sie das PairingAbkommen aufkündigte, also die Verständigung über die Stimmenverhältnisse, wenn Abgeordnete einer Fraktion einmal fehlen. Parlamentarische Umgangsformen, die gepflegt wurden, sind damit aufgegeben worden. Der politische Diskurs ist ein anderer geworden. Die Union beschränkt sich auf Beschimpfungen, anstatt das zu tun, was eine Opposition tun sollte: Alternativen anbieten.

Eine unselige Gewohnheit in der Politik ist es auch, gelegentlich zu lügen. Jetzt soll es nach dem Willen der Union einen Untersuchungsausschuss dazu geben. Werden die Politiker dadurch zu mehr Wahrheit angehalten?

Geht es hier überhaupt um eine Lüge? Die angebliche Lüge, die Aussagen über die Kassenlage, waren Bewertungen von Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung. Wir alle wissen, dass die Prognosen der Wirtschaftsinstitute im Sommer denkbar unterschiedlich waren. Ich halte einen solchen Ausschuss auch deshalb für verfassungsrechtlich schwierig. Vor diesem Hintergrund ist es sicher hilfreich, dass sich der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages mit dieser Frage befasst.

Als Ministerin sind Sie kaum bekannt, die Öffentlichkeit interessiert sich nur eingeschränkt für die Arbeit in Ihrem Haus. Führen Sie ein unwichtiges Ministerium?

Nein. Aber ich halte nichts von Konfrontation um ihrer selbst willen, sowohl im Umgang mit der Opposition als auch in der Koalition. Mein Ziel sind sachorientierte Kompromisse, und dafür muss man die Themen auch nicht immer auf dem öffentlichen Markt austragen.

Ihre Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin hat sich öfter mit Innenminister Otto Schily angelegt. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?

Gut.

Haben wir jetzt Harmonie zwischen Innen- und Justizministerium?

Traditionell sind Innen- und Justizministerium Gegenpole. Aber auch hier geht es nicht ums Prinzip, sondern um die Sache. Und wenn die Sache es erfordert, kann ich auch hart gegenüber Herrn Schily sein. Das ist aber bislang noch nicht nötig gewesen.

Ist Ihnen ein wenig bange davor?

Überhaupt nicht.

Es soll nicht leicht sein mit Otto Schily…

Da habe ich aber Erfahrung!

Ihre Vorgängerin verstand sich als Reform-Ministerin. Sie sich auch?

Frau Däubler-Gmelin hat den Reformstau nach der schwarz-gelben Regierung aufgelöst. So umfassende Reformen, wie sie gemacht hat, wie etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch, stehen im Moment nicht an. Aber wir werden beispielsweise etwas zum Schutz von Kleinaktionären unternehmen und im Wettbewerbsgesetz unter anderem die Ausnahmen für Rabatt-Verkäufe zum Schlussverkauf streichen. Sonderpreis-Aktionen sollen immer möglich sein. Wir werden dabei aber Vorsorge treffen, dass diese neuen Freiheiten nicht zu Lasten der Einzelhändler und Verbraucher missbraucht werden. Anfang des Jahres werde ich dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegen.

Sie sind auch Verfassungsministerin. Brauchen wir im Grundgesetz Reformen?

Ich halte es für prüfenswert, inwieweit die so genannten Gemeinschaftsaufgaben abgebaut, also Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern auf einzelnen Regelungsgebieten entweder allein dem Bund oder allein dem Land zugewiesen werden können. Zudem sollte der Bund mehr Kompetenzen haben, wenn es um die Umsetzung von Europäischem Recht geht. Es kann nicht sein, dass der Bund Vertragsstrafen an die EU zahlen muss, weil sich ein Land weigert, EU-Recht umzusetzen.

Was halten Sie davon, die Kanzler-Amtszeit zu verlängern?

Ich kann mir fünf Jahre Legislaturperiode sehr gut vorstellen. Gerade bei einem Regierungswechsel ist eine Anlaufzeit nötig. Wenn dann noch der Wahlkampf ein Jahr vor der Wahl beginnt, ist die effektive Regierungszeit schnell bei nur noch zwei Jahren. Das ist zu wenig, um beispielsweise Strukturreformen umzusetzen.

Sollten die Termine der Landtagswahlen zusammengefasst werden, um im Bund das Regieren zu erleichtern?

Das ist zwar eine Möglichkeit, andererseits sollte es doch in Landtagswahlkämpfen um landespolitische Themen gehen und nicht um eine Ersatz-Bundestagswahl. Vielleicht gibt es ja Länder, die für sich die Vorteile einer Länderfusion erkennen, das würde die Wahltermine jedenfalls auch reduzieren

Nächste Woche wird das Bundesverfassungsgericht das Urteil zum Streit um das Zuwanderungsgesetz verkünden. Womit rechnen Sie?

Das kann ich nicht vorhersagen. Ich teile die Auffassung des Staatsrechtlers Klaus Stern, dass in einer Bundesratsabstimmung der Ministerpräsident, wenn er anwesend ist, das Sagen haben soll. Sonst könnte einfach jemand dazwischenreden, und schon wäre die Stimme eines Landes ungültig.

Aber dann wäre der Bundesrat ein Gremium der Landesfürsten und nicht mehr der Länder.

Es kann auch ein Minister Stimmführer sein oder ein Bevollmächtigter. Entscheidend ist, dass das Landeskabinett die Linie festgelegt oder dem Stimmführer eben freie Hand gegeben hat. So läuft es in der Regel ja auch ab.

Was bedeutet es für die Regierung, wenn das Gesetz in Karlsruhe scheitert?

Dass Deutschland ein Zuwanderungsgesetz braucht, ist doch unstreitig. Einen so breiten gesellschaftlichen Konsens für ein Gesetz hat es lange nicht gegeben. Deshalb muss das Projekt in jedem Fall weiterverfolgt werden. Wenn das Gericht den klagenden Ländern Recht geben sollte, bleibt abzuwarten, wie das Urteil in seinen Einzelheiten lautet. Aber wenn Rechtsextreme irgendwann am Holocaust-Mahnmal im Zentrum Berlins aufmarschieren wollen, kann man das auch mit dem geltenden Recht verhindern.

Ihre Vorgängerin hat im Streit um die Bioethik einen sehr deutlichen Standpunkt bezogen. Die Präimplantationsdiagnostik, das Aussuchen genetisch gesunder Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung, sei ein Verstoß gegen die im Grundgesetz geschützte Menschenwürde. Teilen Sie diese Auffassung?

Ich habe mir verfassungsrechtlich dazu noch keine abschließende Meinung gebildet. Man wird aber sehr genau prüfen müssen, ob sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsparagrafen 218 hier Wertungsentscheidungen ableiten lassen. Ich halte es zumindest für schwierig, die Untersuchung eines Embryos auf Erbkrankheiten zu verbieten, bevor er eingepflanzt wird, wenn dann andererseits aber ein Schwangerschaftsabbruch später aus genau diesem Grund straflos bleibt. Ich will vor einer abschließenden Meinungsbildung dazu jedenfalls das Votum des Ethikrates abwarten.

Das Interview führten Markus Feldenkirchen und Jost Müller-Neuhof.

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