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Politik: Der AC Mailand als Wahlkampfhelfer

Vereinspräsident Silvio Berlusconi nutzt seinen Fußballklub beim Kampf um die politische MachtFrank Bachner Silvio Berlusconi musste sich nicht groß bewegen, um seine Botschaft loszuwerden. Er blieb einfach auf seinem Logenplatz im Mailander Giuseppe-Meazza-Stadion sitzen, die Fernsehreporter kamen zu ihm.

Vereinspräsident Silvio Berlusconi nutzt seinen Fußballklub beim Kampf um die politische MachtFrank Bachner

Silvio Berlusconi musste sich nicht groß bewegen, um seine Botschaft loszuwerden. Er blieb einfach auf seinem Logenplatz im Mailander Giuseppe-Meazza-Stadion sitzen, die Fernsehreporter kamen zu ihm. Sie kommen immer zu ihm, und so ist Berlusconi das auch gewohnt. Er erwartet die TV-Leute so wie früher die Könige Höflinge erwartet haben. Routiniert, wenn sie zügig kommen, missmutig, wenn es dauert. Am Sonntag blickte Berlusconi in eine Fernsehkamera und mäkelte: "Der AC Mailand muss mehr Mut beweisen. Er muss bestimmter auftreten." Der AC Mailand hatte nur bewiesen, dass er im eigenen Stadion 79 Minuten benötigt, um gegen den Tabellenvorletzten der italienischen Fußballliga, US Cagliari, den 2:2-Ausgleich zu schießen. Und das hat Silvio Berlusconi nicht gefallen. Schließlich ist er der Präsident. Allerdings gefällt ihm auch nicht, dass der AC Mailand mit drei Sturmspitzen angreift, und damit verheddert sich Berlusconi in seiner Argumentation. Drei Sturmspitzen bedeutet Offensivdrang, bedeutet mithin Mut, den der Klubchef vermisst, aber das ist Berlusconi egal. Er redet ja zu den Fans, und die erwarten klare Worte nach so einem Spiel. Der Trainer weiß das natürlich auch, der Spruch ist bloße Show, die Geste des starken Mannes, und deshalb nimmt er das Ganze nicht sonderlich ernst. "Der Trainer bin ich", sagt Alberto Zaccheroni. Damit ist alles gesagt.

Aber Silvio Berlusconi redet ja nicht bloß zu Fans, er redet immer auch zu potenziellen Wählern. Der 62-Jährige ist Multi-Unternehmer, Besitzer von Baufirmen und Supermärkten und drei Fernsehstationen, er ist der reichste Mann Italiens, er war immer ein Mann der Wirtschaft, aber seit einigen Jahren ist er auch Politiker. Bis Spätherbst 1993 zog er im Hintergrund die Fäden, dann trat er auf die politische Bühne, gründete "Forza Italia", eine Gegenbewegung zur Linken, wurde Ministerpräsident und trat nach 226 Tagen zurück, bevor er durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden konnte. Korruptionsvorwürfe gehören zu seinem Alltag wie edler Rotwein, Ermittlungsverfahren laufen, aber Berlusconi hat bislang alles ohne rechtskräftiges Urteil überstanden. Er steht an der Schwelle zur Macht, er ist Oppositionsführer. Aber er will ganz nach oben, auf den Stuhl des Ministerpräsidenten.

Und im Kampf um Einfluss und Aufstieg ist der AC Mailand auch zum Instrument geworden. Ein Faktor in der Politik des Silvio Berlusconi. Nicht der einzige, aber ein bedeutsamer. Giovanni Agnelli, der Fiat-Chef, hält sich Juventus Turin wie ein Hundeliebhaber einen schnittigen Windhund. Juve ist eine nette Zugabe. Bei Berlusconi ist der AC Mailand mehr. Seit 1986, seit er Präsident wurde, beherrscht Berlusconi den Verein. Aber der ist jetzt mehr, ein Trittbrett auf dem Weg zur politischen Macht. Fußball bindet Millionen, und der Erfolg eines Fußball-Klubs ist in gewissem Maße auch der Erfolg seines Präsidenten. Auf jeden Fall steigert man so seine Popularität. "Forza Italia", der Name seiner Partei, ist dem Fußball entnommen. Ein beliebter Schlachtruf.

1994 hielt Berlusconi in seinem Studierzimmer eine Ansprache ans Volk. Da war er Ministerpräsident. Im Mai 1999 redete er wieder vor der Bücherwand. Mailand hatte seinen 16. Meistertitel gewonnen, und Berlusconi sagte: "Ich danke allen Spielern." Aber es hörte sich an, als würde er am liebsten sagen: "Ich bitte alle Bürger dieses Landes um ihr Vertrauen."

Das ist natürlich auch Show, diesmal die Geste des untertänigen Mannes. Berlusconi, der Firmen-, der Klubchef, redet anders. Autoritär, herrisch. Einer wie er fühlt sich als kleiner Gott. Und Kritik an Göttern ist tabu. Den AC Mailand lässt er als Hochglanz-Produkt präsentieren, als Mittelpunkt einer Dauer-Werbesendung. Die Imagepflege betreiben die drei TV-Stationen, die Berlusconi gehören. Sie peppen den AC Mailand auf wie "ran" den Bundesliga-Fußball. Das ist nicht sonderlich schwer. Der Klub hat 16 Meistertitel, fünf Mal den Europapokal der Landesmeister und zwei Mal den Uefa-Cup gewonnen. Jedes Freundschaftsspiel wird gesendet, jeder Spieler ausführlich befragt, jedes kritische Wort wenn möglich vermieden. Den Fans erscheint der Klub riesengroß und mächtig; anbetungswürdig fast, suggeriert die Selbstdarstellung. Aber manchmal verliert der AC Mailand trotzdem, und dann bekommen die Spieler alles ab. Nur die Spieler, nie der Präsident oder der Manager, die die Spieler auch geholt haben. Der Präsident schimpft dann markig, und den Fans gefällt das, weil es ihre Meinung ist. Unterm Strich steht Berlusconi auf ihrer Seite. Aber natürlich hat das enge Grenzen. Eine Niederlage zu viel, und der Chef bekommt auch sein Fett ab.

Doch der Chef reduziert die Gefahr. Einer der Berlusconi-Sender besitzt die Rechte an der Champions League, und die Liga-Partien werden von "Tele Plus" übertragen, die Berlusconi gegründet hat. Und weil er auch an der Mailänder Tageszeitung "Il giornale" beteiligt ist, hat der Unternehmer einen Teil der Medien im Griff. Berlusconi fliegt mit dem Hubschrauber vor Top-Spielen auf das Trainingsgelände, Berlusconi isst mit den Spielern, Berlusconi hockt in der Ehrenloge, immer ist das Fernsehen dabei. Und immer präsentiert sich zugleich der Politiker Berlusconi. Ein Mann im Dauer-Wahlkampf.

Es ist ein kostspieliger Wahlkampf. 100 Millionen Mark Fernsehgelder kassiert der AC Mailand pro Jahr. Das ist enorm viel. Aber es reicht nicht. Der Klub hat vor dieser Saison allein 110 Millionen Mark für neue Spieler ausgeben und nur 23 Millionen Mark durch Verkäufe eingenommen. Dazu kommen Gehälter und andere Ausgaben. Die Löcher stopft Berlusconi. Schließlich schwimmt er im Geld. Seine Firmengruppe Finivest erzielt Milliarden-Umsätze. Allein 1997 kassierte die Familie Berlusconi durch Dividenden 210 Millionen Mark.

Geld. Aber er will politische Macht. Die Spieler haben einen Job als verkappte Wahlkampfhelfer, deshalb stehen sie unter Druck. Die AC-Fans betrachten es als Schande, dass ihr Team nicht ihre Gruppe in der Champions League anführt. Ausgerechnet Hertha liegt vorn, für Mailands Presse bislang ein "Provinzklub". Eine Niederlage morgen gegen solche hauptstädtische Landeier nähmen die Anhänger übel. Berlusconi auch. Im Dezember feiert sein Klub 100. Geburtstag. Und der Vereinsboss will groß feiern. Vor allem sich. Mangelhafte Resultate stören da. Schließlich sitzen bei der Fete lauter potenzielle Wähler. © 1999

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