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Politik: Der andere 9. November - Vor 61 Jahren wurden jüdische Geschäfte geplündert, Synagogen zerstört, Menschen verschleppt und getötet

Andreas Nachama ruft zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und "braunen Ungeist" aufMit Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten ist am Dienstag in zahlreichen deutschen Städten an die Opfer der antisemitischen NS-Pogrome vom 9. November 1938 erinnert worden.

Andreas Nachama ruft zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und "braunen Ungeist" auf

Mit Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten ist am Dienstag in zahlreichen deutschen Städten an die Opfer der antisemitischen NS-Pogrome vom 9. November 1938 erinnert worden. Bei dieser Polizeiaktion der Nationalsozialisten waren in fünf Tagen Tausende Menschen getötet und mehr als 26 000 in die Konzentrationslager deportiert worden. Kaum eine jüdische Familie blieb von den Ausschreitungen verschont.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, rief die Deutschen bei einer Gedenkfeier in Berlin zu Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass auf. In zahlreichen Köpfen existiere noch "brauner Ungeist". Allein die Polizei oder verschärfte Sicherheitsmaßnahmen könnten vor antisemitischen Straftätern nicht dauerhaft schützen. Nachama erinnerte an die Grabschändungen auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. "Was heute an Toten und ihren Gräbern an Gewalt verübt wird, geschieht morgen dem Nachbarn und übermorgen dem stummen Beobachter - der heute noch schweigenden Mehrheit", sagte der Historiker.

An der Gedenkfeier der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am Abend sollten die Ex-Staatschefs der UdSSR und der USA, Gorbatschow und Bush, sowie Bundespräsident Rau, Bundestagspräsident Thierse (SPD), Außenminister Fischer (Grüne), CDU-Chef Schäuble, Grünen-Fraktionschefin Müller und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen (CDU), teilnehmen.

Der evangelische Bischof Wolfgang Huber sagte in einem Gedenkgottesdienst in Berlin, die Pogromnacht sei ein "Fanal" dafür gewesen, wie die Humanität einer ganzen Gesellschaft zu Grunde gehe. Michel Friedman, Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, äußerte sich besorgt darüber, dass die NS-Pogrome von 1938 durch die Feiern zum Tag der Maueröffnung in Vergessenheit geraten könnten. Der 9. November müsse der Tag bleiben, an dem vor allem an die Zerstörung der Synagogen und der Zivilisation erinnert werde, sagte der Frankfurter CDU-Politiker in einem Interview. Ihm sei an diesem Tag nicht nach Feiern, sondern nach Trauern zu Mute. Auch in der Freude über die Maueröffnung dürfe die Erinnerung an die Pogrome nicht "weggeschoben" werden. Friedman sagte, der Nationalfeiertag des vereinten Deutschland solle der 3. Oktober sein.

Im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald wurden die Namen der 250 Menschen verlesen, die nach dem Pogrom im jüdischen Sonderlager bei Weimar inhaftiert wurden und bis Anfang 1939 ums Leben kamen. Auch in zahlreichen anderen Städten gab es zur Erinnerung an die Pogrome Vorträge, Konzerte und andere Gedenkveranstaltungen.

Am 9. November 1938 hatten die Nationalsozialisten gezielt Tausende Juden verhaftet und in Konzentrationslager deportiert, jüdische Geschäfte geplündert und Synagogen niedergebrannt. Nach neueren Forschungen des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts in Duisburg wurden allein in Nordrhein-Westfalen 257 Synagogen zerstört. Die Nationalsozialisten hatten unmittelbar nach den Pogromen angegeben, im ganzen deutschen Reichsgebiet 267 Synagogen zerstört und 91 Menschen getötet zu haben. Dem Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Studien zufolge wurden im Zusammenhang mit den Pogromen mehr als tausend Menschen getötet, zahlreiche nahmen sich selbst das Leben.

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