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Politik: „Der Aufbau Ost ist nicht gescheitert“

Thüringens Regierungschef Dieter Althaus (CDU) über Sündenböcke, billige Debatten und die Politik der Spaltung

Herr Althaus, ist Deutschland, sind die Deutschen reformfähig und reformbereit?

Die Deutschen wissen, dass das Wirtschaftswachstum wieder kommen muss, damit Arbeitsplätze entstehen, damit der Sozialstaat gesichert und zukunftsfähig gestaltet werden kann. Deshalb ist die Grundbereitschaft, Reformen mitzutragen, auch vorhanden. Die Politik muss aber endlich gestaltend vorangehen, damit Reformen auch als Fortschritt erkannt werden. Damit haben die Deutschen in den vergangenen Jahren leider keine guten Erfahrungen gemacht.

Aber gerade der Bundesrat, der von der Opposition dominiert wird, kann praktisch alle entscheidenden Reformen blockieren – erst recht, wenn die CDU die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewinnen sollte. Wie gehen Sie als Bundesratspräsident mit dieser Situation um?

Nun, der Bundesratspräsident hat keine eigenen inhaltlichen Steuerungsmöglichkeiten. Aber richtig ist: Auch der Bundesrat muss seine Gestaltungsverantwortung wahrnehmen. Das, was er tut, muss sich rechtfertigen lassen – entweder er muss Unsinniges verhindern, wie etwa die Ausbildungsabgabe, oder er muss vorwärts weisende Politik unterstützen. In diesem Sinne hat der Bundesrat seine Verantwortung seit Herbst vergangenen Jahres gut wahrgenommen. Er wird sich auch künftig nicht als politisches Blockade-Element erweisen.

Die Union wäre ja wohl ohnehin nicht gewappnet für eine vorzeitige Regierungsübernahme. In grundsätzlichen Fragen gibt es Unstimmigkeiten, das Konzept zur Gesundheitsreform etwa ist zwischen CDU und CSU nach wie vor strittig.

Ich glaube schon, dass wir regierungsfähig sind und auch die Konzepte hätten, um Deutschland voranzubringen. In der Gesundheitspolitik stellt sich einfach die Grundsatzfrage, ob im bestehenden System reformiert wird oder ob ein neues System geschaffen wird. Ich bin für Letzteres. Edmund Stoiber hat kürzlich angedeutet, dass es auch für ihn dabei keine grundsätzlichen Tabus mehr gibt und er einlenkt. Ich glaube, dass wir in Kürze zu einer Einigung kommen.

Auch in der wichtigen Frage, ob im Interesse notwendiger Reformen der EU- Stabilitätspakt verletzt werden darf, gehen die Meinungen auseinander: Sie halten das für zulässig, Ihre Parteichefin sagt nein...

Die Steuerschätzer haben deutlich gemacht, dass es für die nächsten vier Jahre keinerlei positive Ausblicke gibt. Also kann man scheinbar nur noch reaktive Politik machen. Das ist aber keine zukunftsfähige Politik. Es müssen neben den notwendigen Einsparungen jetzt auch die notwendigen Reformen auf den Tisch gelegt werden, um deutlich zu machen, woraus denn überhaupt wieder Mehreinnahmen in den nächsten Jahren generiert werden sollen. Eine wachstumsorientierte Reformpolitik muss auch investiv sein. Dafür kann man für die nächsten Monate oder anderthalb Jahre beim Stabilitätspakt auch mal ein bisschen großzügiger sein. Politik muss sich wieder stärker gestalterisch verhalten als nur buchhalterisch wie in den letzten Jahren.

Soll denn der EU-Stabilitätspakt Makulatur werden?

Nein, ganz im Gegenteil. Aber in der jetzigen Situation kann man doch nicht wichtige Investitionsbereiche einfach kürzen, weil man sparen muss. Das wäre zu kurz gedacht. Jeder Euro, der heute bei Investitionen in die Infrastuktur gespart wird, kostet uns weitere Arbeitsplätze. Nein, es muss in Deutschland ein Gesamtpaket der notwendigen Reformen geschnürt werden. Ich spüre aber, dass diese Bundesregierung dafür keine Kraft hat. Sie dilettiert vor sich hin.

Jeder fordert Reformen, aber wenn es ernst wird, will sie keiner haben - Beispiel Subventionsabbau. Sie wollen doch auch nicht, dass beim Aufbau Ost gekürzt wird, oder?

Das größte Problem ist wirklich, dass es kein Gesamtkonzept gibt. Man kann nicht mit ein paar Subventionsstreichungen hier und ein paar Kürzungen dort das Land voranbringen. Subventionsabbau können wir umfassend angehen, aber dafür brauchen wir ein umfassendes Steuerreformkonzept. Denn die einzelnen Subventionen in Deutschland sind nicht aus Jux und Tollerei entwickelt worden, sondern weil damit Gerechtigkeitslücken im Steuersystem ausgeglichen werden sollten. Wenn man an die Subventionen geht, muss man also auch das Steuersystem ändern. Dazu ist die Union bereit. Aber man kann nicht im Steinbruch die einzelnen Subventionen opfern und dann in ein paar Jahren sagen, wir können die große Steuerreform nicht machen, weil wir dafür nicht die Kraft haben. Der Bürger darf nicht den Eindruck haben, dass ihm ständig kleine Subventionen weggenommen werden, die wichtig für sein Leben oder seine Region sind, und er auf der anderen Seite keine Entlastung durch die Steuergesetzgebung erhält oder keine Arbeit bekommt.

Und die Bereitschaft zu Kürzungen beim Aufbau Ost?

Es gibt in Deutschland eine Entsolidarisierung, weil seit einigen Jahren eine unakzeptable Spaltungspolitik dadurch betrieben wird, dass die Prioritäten nicht mehr klar beschrieben werden: eine Entsolidarisierung zwischen Alt und Jung, zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West. Im Westen wird erzählt, die Ursache für die Probleme der Deutschen sei der Moloch Osten. Das ist absoluter Unfug. Ohne die Wiedervereinigung hätte Deutschland viel größere Probleme, weil weder die Einheit und Freiheit Europas gestaltet worden wären noch ein solcher Reformdruck entstanden wäre, wie wir ihn heute haben. Die Priorität, im Osten die teilungsbedingten Lasten zu überwinden, bleibt wichtig und muss durchgehalten werden. Die Politiker dürfen nicht der Versuchung erliegen, in Nordrhein-Westfalen auf Beifall auf Kosten des Ostens zu hoffen, wie es zur Zeit der Fall ist.

Viele meinen, der Aufbau Ost sei gescheitert. Ist das richtig?

Der Aufbau Ost ist nicht gescheitert. Die Leute, die das sagen, sollen sich einmal anschauen, wo wir herkommen und wo wir jetzt stehen. Dieses Land ist fundamental umstrukturiert worden. Wir haben in Thüringen einen tragfähigen Mittelstand, das stärkste Industriewachstum unter allen Ländern einschließlich des Beschäftigungszuwachses. Wir haben die Umwelt und die kulturelle Substanz total erneuert. Wir haben die Infrastruktur umfassend modernisiert...

Aber der kritische Befund kommt doch nicht von ungefähr, sondern macht sich daran fest, wie viel Geld geflossen ist und was im Verhältnis dazu erreicht wurde.

Diese ganze Debatte kommt einfach daher, dass an der Spitze der Bundesrepublik derzeit Politiker stehen, die nicht in der Lage sind, die notwendigen Reformen für ganz Deutschland voranzubringen. Und damit man sich dann in Nordrhein-Westfalen oder sonstwo für das ausbleibende Wachstum und die Probleme beim Strukturwandel entschuldigen kann, ist es natürlich billig zu sagen, der Aufbau Ost sei gescheitert und die neuen Länder seien eine viel zu große Investitionswüste. Das ist Unsinn und ist weltfremd. Wer 1989 hier gelebt hat, der weiß, dass uns Woche für Woche Zehntausende verlassen haben. Es war damals wichtig, eine positive Grundstimmung zu schaffen. Dass beim Aufbau Ost auch Fehler gemacht wurden, ist unstreitig. Aber es sind viel mehr positive Resultate erarbeitet worden.

Aber das Land Thüringen verlassen heute statistisch gesehen noch immer täglich 53 Menschen. Spricht das nicht auch gegen die blühenden Landschaften?

Wie viele verlassen denn jeden Tag Niedersachsen oder Schleswig-Holstein? Es wird immer so dargestellt, als wären wir immer noch ein eingegrenztes Land, das niemanden weglassen will. Wenn jemand derzeit, da bei uns noch Arbeitsplätze fehlen, mobil ist, dann ist das etwas ganz Normales. Darüber sollte man nicht jammern. Auch in den alten Ländern hat es über Jahrzehnte einen ständigen Wanderungsprozess von Nord nach Süd, von den schwächeren zu den stärkeren wirtschaftlichen Regionen, gegeben. Ich strebe natürlich an, dass wir hier mehr Wirtschaftskraft haben, damit die jungen Leute in Thüringen eine Perspektive haben.

In zwei Wochen ist Landtagswahl in Thüringen. Bernhard Vogel hat 1999 mit 51 Prozent der Stimmen für die CDU die Latte sehr hoch gelegt. Zu hoch für Sie?

Nein, ich will die klaren Verhältnisse beibehalten. Allerdings stand die Wahl 1999 unter zwei besonders günstigen Vorzeichen: Zum einen hatte Bernhard Vogel als Ministerpräsident in einer Großen Koalition eine gute Arbeit geleistet. Zum anderen war es gerade die Zeit der absoluten Ernüchterung nach dem Machtwechsel zu Rot-Grün auf Bundesebene und deren ersten unsäglichen Entscheidungen.

Kalkulieren Sie auch schon mit einer Großen Koalition?

Nein.

Oder kämen die Grünen für Sie als Koalitionspartner infrage, gesetzt den Fall, Sie würden in den Landtag einziehen?

Nein. Die Grünen haben in diesem Land wie keine andere Partei gegen den Ausbau der Infrastruktur, gegen Autobahnbau und ICE-Strecke gekämpft. Die Grünen haben dafür gesorgt, dass wir diesen Unsinn mit der Ökosteuer haben. Sie belastet jeden einzelnen Autofahrer und schädigt die Wirtschaft, so dass wir inzwischen erhebliche Wettbewerbsnachteile in Europa haben. Die Brandenburger Polizisten tanken in Polen und unsere Transportunternehmen in Tschechien. Deutschland hat trotz erhöhter Steuer 700 Millionen Euro Mindereinnahmen, und die Rentenkasse wird nicht entlastet. Nein, ich will weder eine große noch eine schwarz-grüne Koalition. Mein Ziel ist die absolute Mehrheit.

Das Interview führte Matthias Schlegel

Foto: Thilo Rückeis

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