Politik: Der Auftrag bleibt Von Bernhard Schulz
Heinz Berggruen hat die Herzen der Berliner im Sturm erobert. Als er 1996 mit seiner legendären Sammlung der Klassischen Moderne, voran Picasso und Klee5, im Charlottenburger Stüler-Bau Einzug hielt, empfand die Stadt es als ein Geschenk – und mehr.
Heinz Berggruen hat die Herzen der Berliner im Sturm erobert. Als er 1996 mit seiner legendären Sammlung der Klassischen Moderne, voran Picasso und Klee5, im Charlottenburger Stüler-Bau Einzug hielt, empfand die Stadt es als ein Geschenk – und mehr. Zu Recht. Denn was Berggruen ausstreckte, war die Hand der Versöhnung. Sie war an keinerlei Bedingungen geknüpft; nahezu keine, denn die Herrichtung des klassizistischen Gebäudes für seine Sammlung mit der kleinen Eitelkeit einer eigenen Wohnung im Dachgeschoss war das Mindeste, das Berlin für die Gabe dieser weltweit herausragenden Sammlung aufzubringen hatte. Aber mit der Zuneigung, die Berggruen entgegenschlug, ist es nicht getan. In seiner großherzigen Gabe steckt auch ein ernster Auftrag.
Berggruen, der gebürtige Berliner, hat seine Heimatstadt geliebt, er hat sich ihrer auf eine geradezu anrührende Art erinnert und diese Erinnerung bruchlos in der Gegenwart aufgefrischt, die ihm im biblischen Alter noch mehr als ein Jahrzehnt lang vergönnt war. Der Tod ereilte ihn, nachdem er gerade erst seinen „Rückzug ins Privatleben“ angekündigt hatte – er, dessen Privatleben als passionierter Sammler zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden war, an der Berlin beständig Anteil nahm. Und nicht nur das offizielle Berlin, sondern mit ihm bislang anderthalb Millionen Besucher des Museums, in dem er selbst gern den Cicerone gab. Einen „geistigen und kulturellen Beitrag zu dem moralischen Wiederaufbau meines alten Landes“ wolle er leisten, sagte er bei der Eröffnung des Hauses 1996. Das klang befremdlich, nach fünf Jahrzehnten Wiederaufbau und Vergangenheitsbewältigung in der westlichen Bundesrepublik, wie immer man den Umgang mit Deutschlands dunkelstem Geschichtskapitel später auch werten mochte. Aber gerade das Überspringen der Jahrzehnte machte Berggruen zu einer derart vertrauten Gestalt. In ihm kehrten die besten Traditionen Berlins zurück, ohne mahnenden Zeigefinger, der die schwierige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit so oft erschwerte.
Wie schwierig, das zeigt der Umgang mit Berggruens großem Vorgänger James Simon. Ihm, der die Nazi-Barbarei nicht mehr miterleben musste, vor der Berggruen 22-jährig floh, verdanken die Berliner Staatlichen Museen unendlich viel. Dass die Erinnerung an Simon erst in jüngster Zeit wiedererweckt worden ist, spricht nicht eben für das kulturelle Gedächtnis der Stadt. Mit Berggruen tat Berlin sich leicht, da war keine Abbitte gefordert, wie sie Simon, der nach 1933 schmählich aus dem Bewusstsein Getilgte, allein durch Rang und Zahl der von ihm gestifteten Kunstwerke postum einforderte. „Ich verleugne in keiner Weise meine jüdische Herkunft, aber ich bekenne mich zu Deutschland“, hat Berggruen bei der Entgegennahme des Preises der Deutschen Nationalstiftung gesagt – ein Satz, den Simon, der überzeugte Preuße im besten Sinne, wortgleich hätte sagen können. Dieser erhielt den Dank nicht, den Berggruen – bisweilen auch aus schlechtem Gewissen – reich empfing. Ja, Berggruen hat sich, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, nicht einmal „als Mäzen im konventionellen Sinne verstanden“. Und ist gerade so zu einem der größten Mäzene Berlins geworden: weil er nicht nur seine Sammlung hergab und sich mit einem Ankaufspreis begnügte, der weit unter den Avancen des Kunstmarktes lag, sondern weil er Berlin und den Deutschen die Chance zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit bot.
Das wird nun zu seinem Vermächtnis: dieser Vergangenheit gerecht zu werden. James Simon, den Stifter nicht nur der Nofretete, den die Staatlichen Museen – arg spät, aber immerhin – mit der Namensgebung ihres Neubaus auf der Museumsinsel ehren wollen, ist nur ein erster Prüfstein auf die Ernsthaftigkeit einer Gesinnung, die sich mit der so ungemein humanen Figur Berggruens leicht tat – und bisweilen auch etwas zu leicht. Berlins jüdisch-mäzenatisches Erbe, das Erbe ebenso hoher Bildung wie Gesittung, muss als Ganzes begriffen und gewürdigt werden, will die Stadt sich des Geschenkes würdig erweisen, das Berggruen ihr mit weisem Lächeln gemacht hat.
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