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Politik: Der ausgebildete Kranke

Die Kassen sehen die neuen Wahltarife als Risiko – sie fürchten die Cleverness der Versicherten

Berlin - Nach der Euphorie kommt die große Skepsis. Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), nach Inkrafttreten der Gesundheitsreform von den großen Versicherern massenhaft angekündigt, seien „als Wettbewerbsinstrument nur mit Vorsicht einzusetzen“, warnt nun der Bundesverband der Betrieblichen Krankenkassen (BKK). „Intelligenz und Sorgfalt der Versicherten, die sich ihre Wahltarife aussuchen“, schreiben die Verbandsexperten für Politik und Marketing, Robert Paquet und Martin Stein, in ihrer Verbandszeitschrift, „werden zu Risiken der Institutionen.“

Aufgeschreckt hat den Verband eine Umfrage unter 1175 GKV-Versicherten. Sie belege, dass die Versicherten mit den neuen Angeboten nicht nur „kritisch und differenziert“ umgingen , sondern „vor allem ihren Vorteil sehr genau im Auge haben“, resümieren Paquet und Stein. Dies mache es nicht einfach, „Angebote zu entwickeln, bei denen die Kasse (insbesondere wegen der Mitnahmeeffekte) nicht von vornherein der Verlierer ist“.

Auch bei der Barmer Ersatzkasse räumt man ein, dass Wahltarife „eine gewisse Gefahr bergen“. Allerdings seien „Schwarzmalereien nicht notwendig“, sagte Sprecherin Susanne Rüsberg-Uhrig dem Tagesspiegel am Sonntag. Bonusprogramme und Tarife für chronisch Kranke etwa seien „in Gänze zu begrüßen“.

Auf dem Markt indessen sind auch andere. So wurden die Versicherten zu fünf Wahltarifen befragt – unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes, ihres Einkommens, ihrer Neigung zum Kassenwechsel und ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Kassenarten. Am wenigsten behagten ihnen Selbstbehaltstarife – also Beitragssenkungen, für die sie im Gegenzug einen Teil der Behandlungs- oder Arzneikosten selber tragen müssen. Nur 26 Prozent erklärten, dies komme für sie in Frage. 65 Prozent hingegen konnten sich für die Verpflichtung erwärmen, immer erst den Hausarzt zu konsultieren (Hausarzttarif). Und 52 Prozent liebäugeln mit Tarifen, bei denen sie belohnt werden, wenn sie keine Leistung in Anspruch nehmen (Beitragsrückerstattung).

Hausarzttarif und Beitragsrückerstattung „bergen aus Versichertensicht ein niedriges Risiko“, heißt es in der BKK- Analyse zur Begründung. Und: Beide Tarife würden für die Kassen „nach aller Voraussicht Mitnahmeeffekte in nicht geringem Ausmaß verursachen“. Beim Selbstbehalt hingegen seien die Erwartungen der Versicherten an die auszuschüttende Prämie hoch. Auch hier also die Gefahr für die Kassen, im Wettbewerb übers Ziel hinauszuschießen. Selbstbehaltstarife verursachten nämlich hohen Verwaltungsaufwand und intensive Kostenberatung und einen „permanenten Konflikt“ darüber, „welche abgerechneten Leistungen mit welchen Preisen erstattet werden können bzw. wer wen im konkreten Falle übervorteilen bzw. über den Tisch ziehen möchte“, warnen die Experten.

Als „risikotechnisch wahrscheinlich relativ gut beherrschbares Angebot“ empfehlen sie nur die Tarife zur Übernahme von Arzneikosten bei Spezialtherapien – die einzigen, bei denen die Versicherten nicht weniger, sondern mehr an Beiträgen zu zahlen haben. Dennoch erklärten 53 Prozent, der Tarif komme für sie in Frage. Das zeige, dass es den Mitgliedern weniger ums bloße Geldsparen als um gute Versorgung mit möglichst viel Wahlfreiheit gehe, folgern die BKK-Experten. Jedenfalls könnten sich die Kassen hier ohne großes Risiko „profilieren und ihre Innovationsfähigkeit unter Beweis stellen“. Bei den anderen Tarifen hingegen gehe es darum „die Wetteinsätze so gering wie möglich zu halten“. Es sei „zu befürchten, dass dies den Versicherten besser gelingen wird als (langfristig) den Kassen“.

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