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Politik: Der Besessene

Augusto Pinochet ist tot – der Ex-Diktator glaubte, Chile vom Kommunismus befreien zu müssen

Am 3. März 1999, einem sonnigen Tag, demonstrierte Augusto Pinochet gegen 10.30 Uhr, dass er die Welt noch immer zum Narren halten kann. Gerade war die Maschine der chilenischen Luftwaffe in Santiago de Chile gelandet. 16 Monate hatte der greise Ex-Diktator aus Chile im Hausarrest in einer Wohnung bei London verbringen müssen. Nach der spektakulären Verhaftung im Herbst 1998 aufgrund eines spanischen Auslieferungsersuchens hatte die Welt einem juristischen Krimi beiwohnen dürfen, bei dem es um die Frage ging, ob ihm in einem anderen Land die Immunität abgesprochen wird wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Tausende Chilenen hatten gehofft, Pinochet werde für seine Verbrechen büßen müssen. Doch am Ende hatte London Pinochet mit der Begründung ausreisen lassen, sein Gesundheitszustand lasse keine Verhandlung zu.

An jenem 3. März wurde Pinochet in Chile die Gangway im Rollstuhl heruntergeschoben, unten angekommen stand er wie von Zauberhand geheilt auf, lief zu seinen Anhängern und ließ sich feiern.

Diese Geschichte ist ein Grund dafür, dass seine Gegner immer wieder skeptisch waren, ob der gesundheitliche Zustand des Putschisten so schlecht war, wie man nach außen vorgab. Immer wieder wurden schließlich sein angeblich kranker Körper oder sein angeblich kranker Geist als Waffe eingesetzt, um ihn auch in Chile erfolgreich vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. Die Zahlen und Fakten seiner Diktatur sind einschlägig bekannt: 3200 getötete Menschen, 30 000 Verschleppte, Gefolterte, Vergewaltigte, Hunderttausende ins Exil Getriebene. Die grausamen Verbrechen sind hinreichend dokumentiert, aber wer Pinochet wirklich war, was ihn trieb, was ihn kalt machte, das weiß kaum jemand.

Für die breite Öffentlichkeit trat dieser Mann, geboren am 25. November 1915, erstmals am 11. September 1973 in Erscheinung: Als er mit Hilfe der USA gegen die frei gewählte sozialistische Regierung von Salvador Allende putschte und ein weltweit, von links wie rechts, beachtetes sozialistisches Experiment blutig beendete. Danach blieb er bis 1990 an der Spitze des Staates, bevor ihn der Christdemokrat Patricio Aylwin nach einem verlorenen Referendum ablöste. Als Senator auf Lebenszeit und Heereschef bis 1998 verhinderte Pinochet eine juristische Aufarbeitung und eine umfassende Auseinandersetzung mit der Diktatur. Erst seine Verhaftung in London führte den Chilenen ihre Vergangenheit wieder vor Augen, und der „Pakt des Vergessens“ (Vargas Llosa) brach.

Wer war er, dieser Mann, fünffacher Vater, der ein Vorliebe für italienische Schuhe hatte und am liebsten zum melancholischen Bolero tanzte, der Lili Marleen hörte und bis zu seinem Tod seine Verbrechen leugnete und doch einer der größten Verbrecher in der Menschheitsgeschichte war: skrupellos, unbelehrbar, vom Antikommunismus besessen.

In seinen Büchern „El dia decesivo“, „Geopolitica“ und „Sintesis Geografica de Chile“, erfährt man ein bisschen etwas von seinem Rassismus: „Chile kann froh sein, dass sein Klima die Ausbreitung der schwarzen Rasse verhinderte.“ Und von seinem Glauben, er müsse Chile vor der „Weltverschwörung des Kommunismus“ retten. 1938 wird in Chile für kurze Zeit eine Volksfront-Regierung gewählt, ein traumatisches Erlebnis für den jungen Pinochet, der nach eigener Version damals schon gewusst haben will, dass ein „Sieg der Sozialisten Chile zu einem Land von Dieben machen würde“. Als Militärkommandeur hat er es 1948, die kommunistische Partei ist verboten, immer wieder mit Aufständischen zu tun, seine Schlussfolgerung lautet: „Die Kommunisten sind sehr diszipliniert, um das Elend selbst heraufzubeschwören, das sie dann beklagen.“ Es sei die Taktik der Kommunisten, Armut zu schüren, um am Ende die Schuld der Wirtschaft zu geben.

Sein erster „Sieg“ über Allende bleibt für ihn wie eine Art Fanal in Erinnerung. Pinochet sieht sich als Auserwählter, der 30 Jahre lang in verschiedenen militärischen Positionen nur auf der Lauer liegt, um seine schicksalshafte Mission, den späteren Putsch, zu erfüllen. 1948 besucht Allende mit einer Delegation sozialistischer Abgeordneter ein Gefangenenlager, dem Pinochet vorsteht. Pinochet lässt sie nicht passieren, „weil es unser Befehl war, keinen reinzulassen, schon gar nicht solche Herren, die kamen, um alle aufzuhetzen.“ Er droht zu schießen.

In der Nacht bevor Allende 1970 zum Präsidenten gewählt wird, trommelt Pinochet seine Militärs zusammen und sagt: „Chile weiß nicht, welchen Weg es gewählt hat. Ich stehe nun am Ende meiner Laufbahn.“ Aber das Gegenteil stimmt. Ausgerechnet Allende macht ihn zum Heereschef und fragt sich zu Beginn des Putsches am Morgen des 11. Septembers noch: „Was mögen sie nur mit dem armen Augusto gemacht haben.“

Einer der wenigen Politiker aus Deutschland, die Pinochet trafen, ist Norbert Blüm. Noch heute erinnert sich der Ex-Arbeitsminister im Gespräch mit dem Tagesspiegel genau an die Begegnung 1987, in der er für elf verhaftete Christdemokraten stritt: „Ich traf einen Eisberg, es machte ihm Spaß, mit mir zu diskutieren, er demonstrierte seinen Zynismus, sein triumphalistisches Selbstbewusstsein.“ Pinochet sagt zu Blüm, er rechtfertige sich nur vor Gott. Blüms Antwort: „Auch Gott wird fragen: Was hast du getan, Gott kennt jeden, den sie foltern.“ Blüm erinnert sich, Pinochet sei ganz still geworden. „Es brachte ihn aus der Fassung, dass Gott anders denken könnte als er.“

Augusto Pinochet ist am Sonntag mit 91 Jahren verstorben. Für seine Verbrechen hat er nie gesühnt.

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