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Der brutale Absturz der Liberalen: Das Desaster der FDP

Der Schock bei den Liberalen ist riesig. Die FDP hat die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft. Wie geht die Partei mit der Niederlage um?

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Am Ende war nur Stille. Ein schmerzvolles Raunen und dann: Nichts mehr. „4,5“ steht da vorn auf dem großen Bildschirm, und ein kleiner grauer Pfeil daneben zeigt senkrecht nach unten. Tränen fließen, Entsetzen in den Gesichtern. Es lohnt nicht mehr, auf ein Wunder zu hoffen, auf unentdeckte Briefwähler etwa oder irgend einen fernen Wahlkreis, in dem vielleicht noch viele FDP-Kreuze auf den Zetteln zum Vorschein kommen. Wie oft hatte Rainer Brüderle in den letzten Wochen höhnisch gerufen, dass „sie uns in unserer langen Geschichte schon oft das Totenglöckchen geläutet haben“. Um kurz nach 18 Uhr an diesem Sonntagabend scheint es unabwendbar: Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen. Die Deutschen wollen sie nicht mehr. Vorbei.

Das Desaster oder das Debakel oder wie man es auch immer nennen will, ist ein historisches. Seit diese Republik besteht, gibt es den organisierten Liberalismus im deutschen Parlament. Mal stark, mal sehr schwach, mal in Koalitionen mit der Union, mal als liberales Korrektiv der SPD. Erich Mende, Walter Scheel, Hans- Dietrich Genscher – die FDP war in keiner Phase des deutschen Parlamentarismus aus dem Parteiengefüge wegzudenken, ob mit Pünktchen zwischen den Großbuchstaben oder ohne.

Nun aber ist Schluss. APO, außerparlamentarische Opposition: Das ist sie ab Montag. Wie die Piraten, die Rentner- oder die Hundepartei. Ein paar Landesverbände sind noch in der Opposition, in Sachsen sind die Liberalen noch in der Regierung. Doch in Berlin, wo über die politischen Geschicke des Landes entschieden wird, da hat die FDP ab Montag keine Stimme mehr. Vielleicht macht das die Tragik des Moments für diese Partei besonders deutlich: Am Montag wird Guido Westerwelle noch als Außenminister zur einwöchigen UNO-Generalversammlung nach New York fliegen, Deutschland vertreten. In ein paar Wochen wird der oberste Diplomat dieses Landes am Eingang des Bundestages um einen Besucherausweis bitten müssen.

Draußen vor den Türen des Berliner Kongresszentrums am Alexanderplatz, wo die FDP an diesem Sonntag eigentlich den Fortbestand ihrer Regierung mit Angela Merkel begießen wollte, stehen sie aufgereiht in einer langen Kette, die dicken schwarz-glänzenden Regierungslimousinen der FDP-Minister und Staatssekretäre und Fraktionschefs und Bundestagsabgeordneten. Insignien einer großen Macht. Seit diesem Abend ist das alles nur noch Vergangenheit.

Die Spitzenpolitiker der FDP haben sich gegenseitig keinen Erfolg gegönnt - jetzt sind sie allesamt arbeitslos

Was haben sie sich gefetzt und gestritten, die Egomanen oben an der Führungsspitze der FDP in den letzten Jahren. Keiner hat dem anderen einen noch so kleinen Erfolg gegönnt. Jetzt, im Augenblick des Untergangs, stehen sie dicht aneinander gedrängt auf der Bühne und schauen wie auf einer Beerdigung. Westerwelle, Birgit Homburger, Dirk Niebel, Christian Lindner und noch ein paar andere. Brüderle, 68 Jahre alt und seit Monaten gezeichnet von den Schmerzen mehrerer Knochenbrüche, spricht von einem „bitteren“ Augenblick und davon, dass er die „politische Verantwortung“ übernehmen will. Auch Philipp Rösler, der Parteichef wird Ähnliches sagen. Was sonst? Sie alle werden zurücktreten. Bleiche Gesichter. Wiebke Rösler wird ihren Mann umarmen, was ihm die Grausamkeit des Momentes erst richtig bewusst machen und Tränen in die Augen treiben wird. Brüderle wird den Weg von der Bühne nicht mehr alleine schaffen. Am Arm der Justizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, schlurft er gebeugt davon. Arbeitslos sind sie alle schon bald. Die Wichtigen in den Limousinen, die Bundestagsabgeordneten. Und erst recht die Kleinen, die Referenten und Sekretärinnen, die Aktenträger und Pressesprecher. Rentner, im besten Fall.

Natürlich ermisst an diesem Abend noch kaum einer die wahren Ausmaße des Wahlausgangs. Und jeder reagiert auf eigene Art. Dirk Niebel, der Entwicklungsminister, schießt mit gerötetem Kopf wie eine Dampframme durch die Räume des Kongresscenters, ein Glas Rotwein in der Hand, blafft ein Kamerateam an, das ihm auf den Fersen ist. Patrick Döring, der Generalsekretär, hält lautstark Reden vom „immer lebenden Liberalismus“, den die FDP ab morgen wieder aufbauen will, wenn man „mal eine Nacht drüber geschlafen hat“.

Und Christian Lindner, sein Vorgänger, beginnt schon um zwei Minuten nach 18 Uhr damit, an seiner Karriere zu feilen. Mit betroffener Miene sagt er im Minutenrhythmus in Fernsehkameras, dass „ab morgen die FDP neu gedacht werden muss“. Lindner, der Landeschef in Nordrhein-Westfalen, wird, so viel ist sicher, in nicht ferner Zukunft die Partei hinter sich aufrichten wollen. Deutlich hat er sich schon vor Jahren vom Vorsitzenden Rösler distanziert. Als der Wahlkampf geplant wurde, war er weit weg in Düsseldorf. Ein Unbefleckter mithin. „Hoffnungsträger“ wird er an vielen Stehtischen in der Kongresshalle genannt. Noch glauben sie, es werde schon weitergehen, irgendwie. Kollektive Verdrängung, zweifellos. Man muss schon Profi am Theater sein, um zu wissen, wann Schluss ist. Wie Dieter Hallervorden, Berliner Schauspieler und Theaterbetreiber. Der war eigens an den Alex gekommen, um seiner FDP öffentlich die Daumen zu drücken. Loblieder in höchsten Tönen sang er vor dem Untergang. Zehn nach sechs war er fort, wie vom Erdboden verschwunden. Misserfolg macht einsam.

Wie es zu dem Debakel kommen konnte? Viele Quellen werden an diesem Abend genannt. Westerwelles neoliberaler Wahlkampf 2009 und die als Mövenpick-Steuer verspottete Senkung der Umsatzsteuer für Hoteliers. Die Selbstüberschätzung der Protagonisten an der Spitze, die Abkopplung von den Wählern, ein inhaltsleerer Wahlkampf ohne eigenes Selbstbewusstsein. Die „Bettelkampagne um Zweitstimmen“ gab dann den Rest. Mancher findet sogar, man hätte Euro-kritischer sein müssen, Merkels Rettungsplänen nicht einfach hinterher laufen sollen. Dann wären auch nicht so viele Anhänger zur „Alternative für Deutschland“ (AfD) gewandert.

Alles Quatsch, sagt Wolfgang Gerhardt, der auch schon an der Spitze der FDP gestanden hat. Recht hat er, wahrscheinlich. Oder auch nicht. Nur eines ist an diesem Sonntagabend gewiss: Ab Montag beginnt in der FDP eine ganz neue Zeitrechnung.

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