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Politik: Der Bundeskanzler versuchte, die Genossen aufzubauen, übte aber auch Kritik

"Ich bin sauer, dass auch die eigenen Leute das alles vergessen haben" und meinte die bisherigen Errungenschaften der RegierungKlaus J. Schwehn Zum Schluss riss er die Arme empor, dass sie einen Winkel bildeten wie ein V-Zeichen - das Zeichen für "Victory".

"Ich bin sauer, dass auch die eigenen Leute das alles vergessen haben" und meinte die bisherigen Errungenschaften der RegierungKlaus J. Schwehn

Zum Schluss riss er die Arme empor, dass sie einen Winkel bildeten wie ein V-Zeichen - das Zeichen für "Victory". Und es sah so aus, als trage Gerhard Schröder auf der rechten Hand das an die Bühnenrückwand geheftete Wort "stark" und auf der linken das Wort "gerecht". Denn "stark und gerecht" wollen sich die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten aller Unbill zum Trotz im anstehenden Kommunalwahlkampf präsentieren. Der Kanzler war am Dienstag zu den Bürgermeisterkandidaten der NRW-SPD gekommen, um Mut zu machen und zu mahnen: "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren".

Schröder hatte einige kämpferische Parolen parat - für sich selbst und seine Mannschaft wie für die Genossen an Rhein und Ruhr: "Wer mit dem Rücken zur Wand steht, kann nicht ausweichen - er muss nach vorn." Solch trotzige Töne waren offensichtlich Labsal für geschundene Seelen. Denn die Kommunalpolitiker der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten hatten sich ausgerechnet im Kölner Gürzenich getroffen, der Heimstatt Kölscher Lebensart, Kölschen Karnevals und Klüngels. Und es musste den Gastgebern, eingedenk der herzlichen Antiphatie und Abneigung zwischen den beiden Städten Köln und Düsseldorf, wie eine Schmach erscheinen, dass ausgerechnet an diesem Ort die Düsseldorfer Oberbürgermeisterin Marlies Smeets den Kanzler zu begrüßen hatte. War den Kölner Sozialdemokraten doch der eigene Kandidat abhanden gekommen. Was einige wenige christdemokratischen Demonstranten vor den Toren des Gürzenich mit einem Plakat augenfällig machten: "Willkommen zur SPD-Aktionärsversammlung" stand da geschrieben. Ein deutlicher Hinweis auf die möglichen Verfehlungen des zurückgetretenen SPD-OB-Aspiranten Klaus Heugel.

"Köln, naja", sagte der Parteivorsitzende Gerhard Schröder knapp. Er hatte den Genossen, die bei ihm heutzutage "Liebe Freundinnen und Freunde" heißen, anderes und in seinen Augen Gewichtigeres ins Stammbuch zu schreiben. Verärgert. Scharf ging er mit den Kritikern seines Sparpakets und seiner Rentenpläne zu Gericht. Er kniete sich rein in den Versuch der Beweisführung - dass nämlich all dies, was seine Regierung plane, "ursozialdemokratische Anliegen" seien. Er war höchst unzufrieden mit jenen aus den eigenen Reihen, die nicht zu erkennen vermögen, dass seine Regierung beispielsweise mit dem Sparpaket "Instrumente schafft, um unsere alten Werte wieder zum Tragen zu bringen". Weil doch Hans Eichels Werk dem Staat die verlorene "Gestaltungsfähigkeit zurückgibt". Denn: "Nur die Reichen brauchen einen armen Staat."

Der Kanzler und Parteivorsitzende zeigte sich mit seiner Partei fürwahr nicht zufrieden. "Warum reden wir eigentlich nicht über das, was wir bereits geschaffen haben?", fragte er ins Publikum. Kindergeld-Erhöhung, Schlechtwettergeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Steuerentlastungen für Familien; Schröder zählte auf und grollte: "Ich bin sauer, dass auch die eigenen Leute das alles vergessen haben."

Schröder will "die Mühlsteine unterschiedlicher Interessengruppen, die Stillstand bewirken", beiseite räumen. Ein solcher Mühlstein sind ihm offensichtlich auch die Gewerkschaften in ihrer derzeit kritischen Position: "Auch ihr definiert nicht das Gemeinwohl, auch ihr definiert Einzelinteressen", fauchte er den DGB an. Und als habe er von Oskar Lafontaine und dessen Streit mit den Gewerkschaften aus den 80er Jahren gelernt, wiederholte er eine alte Definition, die der eine oder der andere im Lauf der Jahre immer wieder in die falsche Kehle bekommen hat: "So wenig die Gewerkschaften eine Vorfeldorganisation der SPD sind, so wenig ist die SPD der verlängerte Arm der Gewerkschaften."

Harsche Kritik also und Durchhalteparolen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsidenten Clement beschwor jene "besondere Kampfkraft", die der SPD immer zufliege, wenn sie von allen Seiten angegriffen werde. Und der Landesvorsitzende Müntefering mahnte mehr Disziplin an: Wenn gestritten werden müsse, "dann bitte vorher die Tür zumachen". Alle applaudierten. © 1999

Klaus J. Schwehn

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