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Der Bundespräsident in Israel: Joachim Gauck - der Staatsschauspieler?

Auf seiner Reise nach Israel ist Bundespräsident Joachim Gauck ganz bei sich – und trotzdem auf schwierigem Terrain. Bei seinem Besuch in Jad Vashem verstummt auch er, und es ist keine Geste theatralischer Betroffenheit

Es ist noch nicht der Höhepunkt dieses Tages. Aber der höchste Punkt ist erreicht: 834 Meter über dem Meeresspiegel. Jerusalem liegt diesem Ort zu Füßen. Ein ödes Plateau unweit des Ölbergs, kein Schatten weit und breit, Betonpflaster, kalkweißer Schotter. Von Osten her fegt ein Wüstenwind Backofenhitze heran. Der Himmel sieht aus, als wäre Milch über ihn ausgegossen, Wolkenschlieren trüben die Sonne ein. In diesem Licht verschwimmen die Kontraste.

Einer ist dennoch unübersehbar. Theodor Herzl liegt auf diesem Hügel begraben, der Urvater des Zionismus. In Israel wird er wie ein Heiliger verehrt. Und von Staatsgästen wird erwartet, dass sie das Grab besuchen. So auch jetzt von Joachim Gauck, dem Bundespräsidenten, der herantritt an den Kranz, um die schwarz-rot-goldenen Schleifen zu richten. Gelbe und rote Gerbera hat er, grünes Blattwerk, nichts Besonderes.

Als Christian Wulff noch Bundespräsident war und vor anderthalb Jahren Israel besuchte, legte auch er hier einen Kranz nieder. Es war damals seine erste große Reise, es war auch eine seiner letzten. Wulffs Kranz sah wohl ähnlich aus wie dieser. Doch es gibt einen Unterschied. Wulff ließ damals verbreiten, er sei der erste Bundespräsident, dem es gestattet sei, Herzls Grab zu besuchen. Bei Gauck wird der selbstverständliche Akt nicht zur Selbstinszenierung. Es bleibt bei einer stummen Geste. Effekthascherei ist Gaucks Sache nicht. Er vertraut ganz auf die eigene Präsenz und die Kraft seiner Worte.

Am Abend zuvor hatte er schon ein anderes Grab besucht, kaum dass sein Flugzeug in Tel Aviv gelandet war, das von Ignatz Bubis, dem 1999 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Gauck bewahrt ihn als „deutschen Patrioten“ in Erinnerung, sie waren demnach Brüder im Geiste. Es ist ein besonderer, fast privater Wunsch des Präsidenten, Bubis’ letzte Ruhestätte zu sehen. Aber er will dabei auch wirklich seine Ruhe haben. Kameras sind nicht erlaubt, auch Reporter müssen sich zurückhalten. „Das ist nicht just for show“, sagt Gauck.

Dieses Bekenntnis gilt für manches, was er während seiner Israelreise unternimmt. Es besorgt ihn durchaus, „ob die Bürger zu Hause in Deutschland etwas von meiner emotionalen Verbindung zu Israel spüren“, betont er. Doch es gebe „kein Drehbuch, wo drinsteht, wo ich welche Emotionen zeigen kann“. An Gelegenheiten mangelt es jedenfalls nicht.

Theodor Herzl ist auch im Garten des israelischen Präsidialamtes präsent. Ein Abbild seines bärtigen Hauptes steht überlebensgroß am Aufgang zum Portal. Man sieht es trotzdem kaum. Die Büste wird von Lavendelbüschen überwuchert und ist mit einem Bündel von Fähnchen verstellt. Drei davon zeigen den Davidstern, zwei die Farben des Staatsgastes. Bevor dieser eintrifft, geht es hier zu wie in einem Jugendlager. Soldaten der Ehrengarde lungern auf dem Rasen, schlenkern lässig ihre Karabiner. Einer schmiert Schuhcreme auf seine Schnürstiefel. Die Militärkapelle trötet wild durcheinander – Phrasen aus der deutschen Nationalhymne. Anderthalb Stunden dauert es, bis auch die letzte Kohlensäure in den Gläsern auf den Rednerpulten verperlt ist. Dann ertönen die Fanfaren.

Hier begegnet Bundespräsident Gauck den Herausforderungen der Gegenwart.

Hier begegnet Bundespräsident Gauck den Herausforderungen der Gegenwart. „Meine Güte, in welche aufgeregte Landschaft kommst du eigentlich“, war ihm bei der Anreise noch durch den Kopf geschossen. Sein Gastgeber, Shimon Peres, skizziert diese Landschaft mit aller Deutlichkeit. Er spricht von den Massakern in Syrien, wo ein Präsident die „Kinder der eigenen Nation“ niedermetzele, und von der Gefahr aus dem Iran, die unter seinen Landsleuten das „Blut erstarren“ lasse. Von dort drohe Israel „eine neue Shoa“. Und er gibt der Hoffnung Ausdruck, dass Deutschland sich auch weiterhin nicht der Aufgabe entziehen werde, die Sicherheit Israels zu wahren. Darauf hat der Bundespräsident eine diplomatische und eine ehrliche Antwort. Aber davon später. Gauck hat noch wenig Erfahrung auf dem diplomatischen Parkett. Er hat die vielfältigen Premieren, die ihm in seinem neuen Amt abverlangt werden, nicht allesamt makellos bewältigt. Ausgerechnet im Beisein der EU-Nomenklatura unterlief ihm unlängst ein Fauxpas. Er sprach allzu leichtfertig über das Bundesverfassungsgericht und seine Erwartungen an dessen noch ausstehendes Urteil über den Euro-Rettungsschirm. Es sei wohl kaum damit zu rechnen, dass die Richter in Karlsruhe die Politik der Bundesregierung „konterkarieren“ wollten. Das hätte auch als Versuch einer Dienstanweisung verstanden werden können. Und Gauck musste lernen, dass sein Amt vor allem Trittfestigkeit von ihm verlangt. Ein Präsident, der die Entscheidungen der Verfassungsrichter vorauszudeuten wagt?

„Anfängerfehler“ attestierten ihm die Eingeweihten.

Gaucks Vereidigung in Bildern:

In Israel ist das Risiko, auf der Bühne der Diplomatie zu stolpern, besonders hoch. Das liegt nicht nur an dem roten Teppich im Hof des Präsidialamtes, der viele Falten wirft, weil das Pflaster hier so holprig ist. Gauck bewältigt das militärische Ehrenzeremoniell ohne Fehltritt. Was er zu tun hat, steht Schritt für Schritt in einer Art Gebrauchsanleitung, die das Protokoll verfasst hat: „Der Präsident des Staates Israel und der Bundespräsident schreiten die Ehrenformation ab, verneigen sich kurz vor den Fahnen und kehren zu Position 1 zurück“, so heißt es dort.

Gauck tritt im Heiligen Land nicht wie ein Novize auf. „Er ist mit Israel lange vertraut“, sagt Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, der den Bundespräsidenten bei diesem Staatsbesuch als Ehrengast begleitet.

Das Verständnis für Israel war Gauck nicht in die Wiege gelegt. In der DDR sei er „immun gegen den Antifaschismus des Systems“ geworden, habe eine „innere Reserve“ gegenüber den Opfern der Nazis entwickelt, so erzählt er in seiner Autobiografie. „Wenn Falsche das Richtige sagen, wird leicht auch das Richtige falsch.“

In seiner Ansprache beim Empfang des israelischen Präsidenten greift er das Thema auf. Gauck erzählt von Paul Zuckermann, einem Israeli, den er vor der Wende zum Kirchentag in seine Heimatstadt Rostock eingeladen hatte. Und davon, wie sehr sein Verhältnis zu Israel von der Auseinandersetzung mit zwei Diktaturen geprägt ist.

Dass ein Pastor mit der Geschichte und dem Schicksal des Heiligen Landes vertraut ist, verwundert nicht. Und natürlich auch mit der Sprache. Aus dem Stegreif rezitiert Gauck so ganz nebenbei die ersten Sätze des Alten Testaments aus dem Gedächtnis – in Hebräisch. Er gerät ein bisschen ins Stottern, würde sich aber auch den zweiten Vers der Genesis noch zutrauen. Ein kurzes Innehalten. Gauck scheint bewusst zu werden, dass solche Sprüche leicht als Renommiergehabe missverstanden werden könnten. Da fügt er hinzu, er sei ja ein ganz miserabler Schüler in diesem Fach gewesen. „Ich glaube, ich hatte eine Vier oder eine Fünf.“

Die Szene zeigt, dass in Gauck durchaus ein Staatsschauspieler steckt.

Der neue Präsident ist jetzt 73 Tage im Amt, die Szene zeigt, dass in diesem Mann durchaus ein Staatsschauspieler steckt. Er hat 18 Reden gehalten, zuletzt an diesem Dienstag, morgens im Garten des Domizils von Shimon Peres, abends beim Staatsbankett. „Wir stehen an Ihrer Seite, wenn andere die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel infrage stellen“, sagt er da. Der Satz knüpft an ein heikles Versprechen der Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Sie hatte die Sicherheit Israels zur deutschen „Staatsräson“ erklärt. Dieses Wort ist von Gauck nicht zu hören. Vor dem Hintergrund des Atomkonflikts mit dem Iran könnten daraus militärische Verpflichtungen erwachsen.

Gauck hält Merkels Diktum für ein „sehr gewagtes Wort“ und kommt dabei ins Grübeln. Aber öffentlich würde er das Bekenntnis der Kanzlerin nie infrage stellen. Deshalb spricht er darüber beim Staatsbankett nicht, auch nicht bei ähnlich formellen Anlässen. Bei einem Fernsehauftritt sagt er, er wolle „nicht in Kriegsszenarien denken“. In vertrautem Kreis gibt er jedoch zu bedenken: „Hoffentlich können wir politisch gestalten, was wir moralisch anstreben.“

Die Karriere von Joachim Gauck:

Kalter Beton, schroffe Kanten, verwinkelte Gänge, über die kahlen Wände geistern Schwarz-Weiß-Bilder wie Horrorfilme eines sadistischen Regisseurs. Das neue Museum der Gedenkstätte Jad Vashem ist wie ein Keil durch den „Berg der Erinnerung“ getrieben. Joachim Gauck kommt nicht zum ersten Mal hierher, aber zum ersten Mal in offizieller Mission – als Repräsentant des Landes, in dem einst die Verbrecher herrschten, denen all das anzulasten ist, wovon die Dokumente, die Inschriften, die Namen und Fotos hier künden. Er verstummt zunächst, als er durch die Ausstellung geführt wird. Es ist der Marsch durch eine grauenhafte Geschichte.

Wie ihr begegnen? Die Lehren sind gezogen. Aber hier bekommt die Auslöschung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Vasallen Gesichter, Biografien, konkrete Schicksale. Gauck legt seine Finger über den Mund, wie er es öfter tut, wenn es in ihm arbeitet, als ob er sich jeden Kommentar verbieten wollte. Von der Decke hängen Tafeln mit Frakturinschriften, die gegen Juden hetzen. Gauck winkt Graumann heran, er will ihn in seiner Nähe haben. „Ja, ja, jajaja …“, murmelt er in einem fort. Es klingt wie ein leises Klagelied.

Das alles ist ihm ja keineswegs fremd. Doch er lässt sich zu keiner theatralischen Betroffenheit hinreißen. Als die Führerin vom jüdischen Widerstand erzählt, hebt Gauck den Zeigefinger, um sie zu unterbrechen. „An dieser Stelle denken wir mal an Arno Lustiger, der eben gestorben ist“, sagt er. Das Leben und Schaffen des Historikers war just diesem Motiv gewidmet. Graumann kommentiert den Einwurf: „sehr klug.“

Es bleibt nicht die einzige Bemerkung, die verrät, dass dieser eine unter den Museumsbesuchern nicht gekommen ist, um zu lernen, sondern bereits verstanden hat. Vor den Erinnerungstafeln mit den Namen von Oskar Schindler und anderen, derer hier als „Gerechte unter den Völkern“ gedacht wird, sagt Gauck: „Wir fragen uns manchmal, warum die Geschichten der Helden nicht erzählt werden.“ Er hat auch gleich eine Antwort parat. Und auch diese Antwort wird nicht allen gefallen: „Wenn unsere Eltern sich mit den Verbrechen der Nazis verglichen haben, dann kamen sie gut weg. Wenn sie sich mit den Helfern vergleichen, dann nicht.“

Am Ende des Rundgangs wird erwartet, dass der Präsident sich in ein Gästebuch einträgt. Er hat eine Widmung vorbereitet, sie umfasst nicht mehr als vier Zeilen. Doch Gauck besinnt sich kurzfristig um. Als er zu schreiben beginnt und nicht wieder aufhört, als er Zeile an Zeile fügt, richten sich viele Kameras und Mikrofone auf ihn. Es dauert. Gaucks Füller huscht über die Seiten des Buches. Stille. Die Mikrofone senken sich, die Kameramänner legen ihre Geräte beiseite. Der Schreiber lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, bleibt unbeeindruckt von den Erwartungen.

Nichts macht so deutlich wie diese Szene, dass es Gauck nicht um plakative Effekte geht, nicht um schnelle Bilder, sondern um wohlgesetzte Worte, um Botschaften. Seine Widmung klingt so eindrücklich und mahnend, so poetisch wie ein Psalm. Sie klingt wie ein Versprechen. „Vergiss nicht“, so endet sie, „steh’ zu dem Land, das hier derer gedenkt, die nicht leben durften.“

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