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Politik: Der Chef als Chefdiplomat

Italiens Premier ist neuer EU-Ratspräsident

Die italienische EU-Ratspräsidentschaft beginnt am heutigen Dienstag mit Antonio Vivaldi. Maestro Rinaldo Alessandrini und sein Ensemble werden „La Senna Festeggiante” des berühmten Komponisten aus Venedig im Palais des Beaux Arts in Brüssel aufführen. Am gleichen Tag eröffnet ebenfalls in Brüssel Italiens Parlamentspräsident Pierferdinando Casini eine große Kunstausstellung, „Italian Factory”, die das Schaffen zeitgenössischer Künstler aus Italien vorstellt. Insgesamt 2900 kulturelle Initiativen hat die Regierung Berlusconi für die sechsmonatige Präsidentschaft organisiert. „Erstaunlich”, kommentiert Literaturnobelpreisträger Dario Fo den Eifer des italienischen Regierungschefs, „denn in Italien hat er sich bisher nie als Kulturliebhaber hervorgetan”.

Auch in der Europapolitik will Medienzar Berlusconi, dessen Prozess vor der Mailänder Strafkammer am Montag vorläufig eingestellt wurde, glänzen. Von einem neuen EU-Kurs ist die Rede, mit dem, meint Oppositionsführer Francesco Rutelli, „die bisherige transatlantische Fixierung auf Bush und die USA ausgeglichen werden soll”. Ministerpräsident Berlusconi will sich als Ratspräsident vor allem für eine gesamt-europäische Lösung des Einwanderungsproblems stark machen. Die von der EU-Kommission bereitgestellten 250 Millionen Euro für die Jahre 2004 bis 2008, mit denen Vereinbarungen zwischen der Union und den Mittelmeer-Anrainerstaaten zur Begrenzung des Flüchtlingsverkehrs finanziert werden sollen, bezeichnete Berlusconi als „viel zu gering”. Er will vor allem an die Nordeuropäer appellieren, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Berlusconi will während seiner Präsidentschaft wieder verstärkt als Außenpolitiker auftreten. Besonders liegt ihm die Osterweiterung der EU am Herzen. Den Balkanstaaten und Russland versprach er, dass er sich für ihre Aufnahme in die Union einsetzen werde. Wegen seiner außenpolitischen Alleingänge wird Berlusconi von seinen eigenen Botschaftern kritisiert. Sie demonstrieren am heutigen Dienstag vor dem römischen Außenministerium gegen zu geringe Finanzmittel sowie den Umstand, dass der Regierungschef und nicht sein entsprechender Minister Außenpolitik betreibe.

Zu den Schwerpunkten der Präsidentschaft wird die Arbeit an der EU-Verfassung gehören. Im Oktober beginnt die Regierungskonferenz, an deren Ende die Verfassung verabschiedet werden soll. Berlusconi hat ein Ziel vor Augen: Die Unterzeichnung der künftigen EU-Verfassung in Rom. „Wir haben uns viel vorgenommen", sagt Italiens Regierungschef. „Bei Versprechungen ist er immer ausgezeichnet”, meint hingegen Oppositionsführer Rutelli, „aber wenn er als EU-Ratspräsident genauso wenig verwirklicht wie als Ministerpräsident in Italien, dann sind diese sechs Monate verschenkt”. Auch die SPD-Fraktionsspitze in Berlin griff am Montag Berlusconi ungewöhnlich massiv an. „Berlusconi schadet Italien und jetzt auch Europa ... Berlusconi ist der Filz in Person“, schrieb der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller.

Thomas Migge[Rom]

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