zum Hauptinhalt
Bernd Lucke, Chef der AfD.

© picture alliance / dpa

Der Chef der AfD im Interview: Bernd Lucke: „Man muss offen über deutsche Interessen sprechen“

AfD-Chef Bernd Lucke wünscht sich Hans-Olaf Henkel als EU-Kommissionschef. Im Tagesspiegel-Interview fordert er einen Schuldenschnitt für Griechenland und bezieht Stellung gegenüber russlandfreundlichen Kräften in der AfD.

Herr Lucke, die AfD hat ihre Mitglieder zu „politischen Leitlinien“ befragt. Nur 50,1 Prozent sprachen sich für die deutsche Westbindung aus. Wäre die AfD weiterhin Ihre Partei, wenn eine Mehrheit gegen die Nato-Mitgliedschaft gestimmt hätte?

Die Mehrheit war viel deutlicher als Sie das suggerieren. Denn von den anderen Stimmen entfielen rund ein Viertel auf Enthaltungen. Insofern haben wir eine deutliche Mehrheit für die Westbindung. Ich selbst fühle mich ganz klar als Atlantiker; ich bejahe die Nato-Mitgliedschaft und die Werte, die die Nato verteidigt. Ich halte es auch für richtig, dass die Nato Polen und die baltischen Staaten schützt.

Hat der Westen in der Ukraine-Krise denn richtig gehandelt?

Ich glaube, dass der Westen die Sicherheitspartnerschaft mit Russland gelegentlich mit zu wenig Fingerspitzengefühl gehandhabt hat. So hat er auch die Verletzlichkeit russischer Interessen in der Ukraine nicht hoch genug eingeschätzt. Diese Unsensibilität des Westens rechtfertigt aber keine subversiven russischen Aktivitäten in der Ukraine, Soldaten ohne Hoheitszeichen zum Beispiel. Russland hat sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen, und der Westen soll das auch nicht tun. Das Referendum auf der Krim war eine Farce, weil man gar nicht gegen den Anschluss an Russland stimmen konnte. Man sollte das Volk ohnehin erst dann entscheiden lassen, wenn die Truppen wieder in den Kasernen sind.

Das heißt, die russischen Truppen sollten sich von der Krim zurückziehen und das Referendum sollte wiederholt werden?

Die irregulären Truppen sollten aufgelöst werden und die russischen Truppen sich auf ihre vertraglich zugesicherten Stützpunkte in der Krim zurückziehen. Dann kann ein freies und faires Referendum unter internationaler Beobachtung stattfinden.

Sie werden wohl bald im Europaparlament über den nächsten Chef der EU-Kommission abstimmen dürfen. Welchen Typ von Kommissionschef stellen Sie sich vor?

Er würde finanzielle Leistungen nicht auf die Staaten konzentrieren, die besonders verantwortungslos Schulden gemacht haben, sondern auf die wirklich armen Staaten der EU, die sich in Osteuropa befinden. Er würde Wachstum unterstützen, indem er Infrastrukturprojekte und Existenzgründungen fördert und soziale Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten.

Haben Sie da jemanden im Kopf?

Ja, Hans-Olaf Henkel. Das wäre ein weitaus überzeugenderer Kandidat als Martin Schulz. Er ist aus einfachen Verhältnissen aufgestiegen und hat sich in einem richtigen Berufsleben bewährt. Aber leider darf man als Abgeordneter des Europaparlaments ja keinen Kandidaten zur Wahl vorschlagen.

Vier Fünftel der Deutschen glauben, dass die Euro-Krise nicht beendet ist. 79 Prozent finden aber auch, dass die deutsche Wirtschaft gut dasteht. Halten Sie die Deutschen für naiv, was die Einschätzung ihrer Lage betrifft?

Überhaupt nicht. Da man den griechischen Bankrott verschleppt, haben wir noch nicht zahlen müssen, und deshalb geht es Deutschland noch sehr gut. Wir leben auf Pump, weil wir den Zahlungsverpflichtungen für Südeuropa noch nicht Folge leisten mussten. Aber dort sind die Staatsschulden höher als je, das Bruttoinlandsprodukt viel niedriger als 2010, die Wettbewerbsfähigkeit schlecht und die Banken sitzen auf jeder Menge fauler Kredite. Die Deutschen haben also völlig recht, dass die Ursachen der Euro-Krise nicht behoben wurden. Wenn die Weltkonjunktur sich eintrübt, flammt die Krise wieder auf.

"Vor einem Jahr wurden auch einige problematische Mitglieder aufgenommen"

Bernd Lucke, Chef der AfD.
Bernd Lucke, Chef der AfD.

© picture alliance / dpa

In Griechenland wurde hart gespart. Warum fällt es Ihnen so schwer, diese Leistung der Griechen anzuerkennen?

Sie verwechseln die Begriffe. Sparen bedeutet, dass man Vermögen aufbaut. Die Griechen haben nicht gespart, sondern sie haben sich Jahr für Jahr stärker verschuldet. Das letzte Staatsdefizit lag bei 13 Prozent des BIPs, obwohl sie höchstens drei Prozent haben dürften. Die Griechen haben die Staatsausgaben verringert, das erkenne ich an, aber das ging zum Beispiel zulasten der Beamten, der Rentner und der sozial Bedürftigen. Durch die Ausgabenkürzungen brach die Konjunktur ein und mit ihr die Staatseinnahmen. Gleichzeitig stiegen die Zinsausgaben für die Staatsschuld. Das Resultat ist ein nach wie vor riesiges Staatsdefizit. Griechenland kann nicht einen einzigen Cent Zinsen aus eigener Kraft zahlen.

Würden Sie Griechenland Schulden erlassen?

Das halte ich für den einzig gangbaren Weg. Das ist wie beim Zahnweh. Es ist schmerzhaft, aber wenn man länger wartet, wird der Schmerz nur größer.

Sie werfen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor, er beschönige die Haushaltslage in Griechenland. Welchen Grund sollte er dazu haben?

Er beschönigt die Lage, damit die CDU ein möglichst gutes Wahlergebnis bekommt. Er will verhindern, dass die Wähler zur AfD abwandern. Deshalb tut er so, als könne Griechenland sich jetzt selbst finanzieren. Aber gleichzeitig will Schäuble weitere Hilfskredite freigeben. Das steht in unmittelbarem Widerspruch zueinander. Wenn Griechenland sich selbst finanzieren könnte, dann wäre es ja nicht auf neue Hilfen angewiesen.

Wie typisch ist Griechenland denn für andere Euro-Staaten?

Nach dem Verschuldungsgrad und der Perspektivlosigkeit ist Griechenland das größte Problem. Allerdings ist Griechenland ein relativ unbedeutendes Land innerhalb der Euro-Zone. Nach der Wirtschaftskraft gibt es größere Probleme – Italien, vor allem Süditalien, und Frankreich zum Beispiel. Frankreich deindustrialisiert seit vielen Jahren. Es ist nicht zu erkennen, dass dieser Prozess gestoppt wird. Das ist wahrscheinlich das gravierendste Problem in der Euro-Zone.

Die AfD geht mit dem Slogan „Mut zu Deutschland“ in die Europawahl. Warum soll es besonderen Mutes bedürfen, sich zu Deutschland zu bekennen?

Solange die EU eine Wachstumsgemeinschaft war, hat Deutschland von der EU profitiert, wie auch die anderen Länder. Dadurch hat man sich in Deutschland – vielleicht auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte – angewöhnt, kaum noch über deutsche Interessen zu sprechen, sondern sie stets als europäische Interessen zu verbrämen. Seit 2010 aber ist die EU zu einer Umverteilungsgesellschaft geworden. Da muss man jetzt offen über die Interessen der Geber- und der Nehmerstaaten sprechen. Also muss man auch offen über deutsche Interessen und insbesondere über die Interessen unserer Sparer und Steuerzahler sprechen. Das gilt nicht als politisch korrekt. Wir fordern in unserem Slogan den Mut, sich darüber hinwegzusetzen.

Um konkret zu werden: Welche Zuständigkeiten würden Sie von der EU zu den Nationalstaaten zurückverlagern?

Zum Beispiel die Bankenaufsicht und die Kompetenz zur Bankenabwicklung. Ich sehe überhaupt nicht, warum es für Deutschland besser sein soll, wenn Banken europäisch gerettet werden. Wenn, dann wird es so sein, dass wir Banken in anderen Ländern retten und dabei möglicherweise noch nicht einmal viel zu sagen haben. Ein zweites Beispiel wäre die europäische Forschungspolitik. Ich habe selbst gesehen, wie europäische Forschungsvorhaben mit Unsummen ausgelobt werden, und dann aber nicht die Qualität, sondern regionale Quoten entscheiden. Das ist absolut abzulehnen, zumal es heute auch bei national finanzierten Vorhaben üblich ist, dass diese international ausgeschrieben werden.

Sie werfen Journalisten vor, diese würden die AfD als rechtspopulistische Partei darstellen. Gleichzeitig sagen Sie, die AfD habe Mitglieder in ihren Reihen, die man nach heutigen Maßstäben nicht mehr aufnehmen würde. Welchen Anteil trägt die AfD selbst an dem Bild, das sie abgibt?

Es ist richtig, dass in der Sturm-und- Drang-Phase unserer Partei vor einem Jahr auch einige problematische Mitglieder aufgenommen wurden, weil unsere Kontrollmechanismen noch nicht so gut funktioniert haben. Das sind aber Einzelfälle in ein- oder zweistelliger Höhe, die das Erscheinungsbild der Partei überhaupt nicht beeinflussen. Die Partei definiert sich über Mehrheitsbeschlüsse und es gibt nicht einen einzigen Beschluss, der das Prädikat rechtspopulistisch verdienen würde.

Sie vermuten also eine Kampagne. Wo würden Sie denn stehen, wenn es den Vorwurf des Rechtspopulismus nicht gäbe?

Am Rednerpult des Deutschen Bundestages. Die fehlenden 0,3 Prozent hätten wir erreicht, wenn nicht ein Teil des gemäßigten Bürgertums durch die Diskreditierung, die wir durch diese Art der Medienberichterstattung erlitten haben, verunsichert worden wäre.

Das Gespräch führten Fabian Leber und Moritz Schuller.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false