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Politik: Der CNN-Faktor

Die Rettungsaktion der „Cap Anamur“ wird kritisiert. Helfer brauchen aber starke Bilder

Was man sah, ging an die Nieren: Eine Gruppe Männer schaukelt hilflos in einem Schlauchboot über den Ozean; später liegen sie entkräftet an Deck der „Cap Anamur“, brauchen Ärzte, dürfen aber nicht an Land. Zweifellos haben die Fernsehbilder von den 37 afrikanischen Flüchtlingen die Debatte um ein einheitliches europäisches Asylrecht neu entfacht. Und der Krise in der sudanesischen Region Darfur ist zusätzliche Aufmerksamkeit sicher. Doch „Cap-Anamur“-Chef Elias Bierdel wird kritisiert. Es ginge der Organisation möglicherweise auch um Selbstdarstellung, sagt der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Andere Hilfsorganisationen loben zwar, dass Menschen gerettet worden sind, lassen aber durchblicken, dass sie nicht mit Schiffen voll Flüchtlingen vor fremden Häfen kreuzen würden.

Nun weiß Elias Bierdel in der Tat, wie man sich medienwirksam in Szene setzt. Der 43-Jährige arbeitete jahrelang als Fernseh- und Hörfunkredakteur, berichtete für die ARD unter anderem vom Balkan zur Zeit der Nato-Angriffe. Zugleich gilt er als seriös und vertrauenswürdiger Berichterstatter. Doch abgesehen davon, ob die Rettungsaktion der „Cap Anamur“ hätte abgekürzt werden können oder sogar eine reine PR-Aktion gewesen sein sollte – der „CNN-Faktor“ ist für jede Hilfsorganisation wichtig, wenn sie die Öffentlichkeit erreichen will, sagt Stefan Telöken vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Das bedeutet: ohne Bilder keine Aufmerksamkeit.

So warnten Hilfsorganisationen seit Anfang 2000 vor der Flut im afrikanischen Mosambik. Doch erst als im Frühjahr spektakuläre Luftaufnahmen von Schlammwüsten und ertrunkenen Menschen gezeigt wurden, reagierten Politik und Öffentlichkeit. Dann derart, sagt Uli Post von der Welthungerhilfe, dass innerhalb von Wochen Millionen Euro gespendet wurden, und die Bundesregierung einen Hubschrauber schickte – der gar nicht mehr gebraucht wurde. In Sudan wirkt gerade ein anderes Phänomen: Angesichts der Krise in Darfur werden die Probleme in anderen Landesteilen ignoriert. Und dennoch: Bei aller Hilfsbereitschaft stehen die Organisationen auch im Wettbewerb um Spendengelder. Das Spendenaufkommen in Deutschland ist nach Auskunft des Zentralinstituts für soziale Fragen seit Jahren konstant. Die Kampagnen um die Gunst der Spender würden aggressiver, beklagte Christian Frevel von der Bischöflichen Aktion Adveniat vor einiger Zeit. Petra Meyer von Ärzte ohne Grenzen warnt davor, dass der Zweck nicht jedes Mittel rechtfertigen dürfe. Ihre Kampagnen würden deshalb grundsätzlich in Deutschland und „nie mit der involvierten Zielgruppe“ stattfinden.

Den entgegengesetzten Ansatz verfolgt die Umweltschutzorganisation Greenpeace: Sie setzt auf spektakuläre Aktionen am Ort des Geschehens. Der Protest gegen den Shell-Konzern, der die Ölplattform „Brent Spar“ 1995 in der Nordsee versenken wollte, Höhepunkt der Medienmobilisierung, wurde jedoch zum Debakel. Die Schreckensberichte der Umweltschützer erzeugten immensen öffentlichen Druck, der Umsatz von Shell ging in Deutschland auf Monate zurück. Der Ölmulti gab nach, um die „Brent Spar“ später an Norwegens Küste zu zerlegen. Dann aber wurde bekannt, dass Greenpeace mit seinen Angaben über die auf der Plattform verbliebenen schädlichen Rückstände falsch gelegen hatte. Die tatsächliche Menge der Schadstoffe betrug nur zwei Prozent dessen, was Greenpeace geschätzt hatte.

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