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Privatvermögen? Staatsvermögen? Muammar al Gaddafi, Libyens Staatschef, hat beides ganz bewusst nicht getrennt. Foto: Max Rossi/Reuters

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Politik: Der eingefrorene Schatz

Die gesperrten Gaddafi-Milliarden können der libyschen Opposition nicht übergeben werden, weil eine Rechtsgrundlage fehlt

Berlin - Was politisch gewollt ist, ist rechtlich oft unmöglich. Immer wieder haben europäische und deutsche Politiker wie Außenminister Guido Westerwelle (FDP) darauf hingewiesen, dass man die eingefrorenen Gelder des libyschen Staates und des libyschen Herrschers Muammar al Gaddafi auch dem libyschen Volk zur Verfügung stellen wolle. Mit dieser politischen Willensbekundung bewegt sich Westerwelle ganz im Rahmen der UN-Resolution 1973, wo es im Kapitel 20 heißt, das eingefrorene Geld solle „so schnell wie möglich“ dem libyschen Volk zukommen. Die entsprechende EU-Verordnung 204/2010 vom 2. März hält sich in dieser Hinsicht zurück und verfügt nur das Einfrieren von Geldern und die „Verhinderung jeglicher Form der Bewegung, des Transfers, der Veränderung und der Verwendung von Geldern“. Nicht mehr.

Mittlerweile sind sogar Rechtshilfegesuche im Bundesamt für Justiz, das dem Bundesjustizministerium zugeordnet ist, eingegangen und werden geprüft. Es geht um eingefrorene Gelder in Milliardenhöhe – allerdings handelt es sich um Rechtshilfegesuche aus Ägypten und Tunesien, wo die neue rechtliche Situation übersichtlicher ist. Der nationale Übergangsrat Libyens ist von Deutschland aber völkerrechtlich noch gar nicht anerkannt worden und kann dementsprechend auch keine Gelder einklagen. Noch ist Gaddafi Eigentümer sämtlicher Staatsunternehmen.

Für Völkerrechtler ist die Situation einfach. Weder die UN-Resolution noch das europäische Recht mache derzeit eine, wie es juristisch heißt, „Auskehrung“ der eingefrorenen Gelder möglich. Der Völkerrechtler Markus Kotzur von der Universität Leipzig findet es dennoch „in Ordnung, wenn die Politik als Zielvorgabe die Verwendung der Gelder für das libysche Volk postuliert, auch wenn es rechtlich schwierig ist“. Nach Auffassung Kotzurs gibt es auch keinen Präzedenzfall, wo ein Diktator oder Staatsverbrecher vor einem rechtsstaatlichen Verfahren enteignet wurde. Auch Michael Kilchling vom Max-Planck-Institut für internationales Recht und Strafrecht in Freiburg sagt: „Die Sache ist eindeutig. Auch ein potenzieller Verbrecher hat ein Recht auf Eigentum, so lange ihm kein Rechtsbruch nachgewiesen wird.“

Juristisch wird sich die Sache also hinziehen. Entweder bis zum Tod Gaddafis, einem möglichen Rechtsverfahren gegen ihn oder der Machtübernahme einer neuen Regierung, die dann aber eine breite völkerrechtliche Anerkennung braucht. Bekommt sie die, ist es wahrscheinlich, dass das bisherige Staatsvermögen einfach übertragen werden kann. Auch die Opfer des Gaddafi-Regimes hätten dann eine Chance auf Entschädigung. Schon jetzt gibt es zahlreiche Anfragen von Menschenrechtsorganisationen, die sich nach Entschädigungsklagen erkundigen, weiß Markus Kotzur, „aber auch die hätten zurzeit keine Chance auf Erfolg“. Sobald es eine neue libysche Regierung gibt, kann damit begonnen werden, das Privatvermögen Gaddafis und das Staatsvermögen zu trennen. Auch das ist an sich schon eine Herkulesaufgabe, denn Gaddafi hat eben beides ganz bewusst nicht getrennt und handelt ohne Verfassung und nach eigenem Recht.

Ähnlich wie bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte könnte in diesem Fall das positive, also gesetzte Recht, das Gaddafi geschaffen hat, durch die sogenannte Radbruch’sche Formel durchbrochen werden. Gustav Radbruch war ein deutscher Rechtsphilosoph, der argumentierte, man könne im Konflikt zwischen dem positiven Recht und der Gerechtigkeit immer dann gegen das Gesetz entscheiden, wenn gravierende Menschenrechte verletzt oder verleugnet werden, wenn also das Gesetz als „unerträglich ungerecht“ angesehen wird. Kotzur weist allerdings darauf hin, „dass schon im Hinblick auf die Aufarbeitung von Unrecht in der DDR das Bundesverfassungsgericht einmal gesagt hat, so sehr man sich bemühe, 100-prozentige Gerechtigkeit wird es nicht geben. Das ist leider auch in diesem Fall so“.

Was der derzeitigen libyschen Opposition letztlich an Gaddafi-Schätzen zur Verfügung stehen wird, ist also ungewiss. Klar ist nur, es sind riesige Summen, über die niemand einen Überblick hat. Laut libyscher Opposition beträgt das Privatvermögen Gaddafis bis zu 110 Milliarden Euro, Experten weisen aber darauf hin, dass das reine Privatvermögen der Familie nicht im Detail zu beziffern sei, eben weil es sich verzahnt mit unzähligen Staatsfirmen. Allein der „Libyan Investment Authority Staatsfonds“ (LIA) soll rund 40 Milliarden Euro schwer sein, die libysche Zentralbank verwaltet eine noch größere Summe, und im Anhang der EU-Verordnung zur Einfrierung der libyschen Gelder werden neben den Familienmitgliedern insgesamt 46 Unternehmen aufgeführt, die einen eigenen Wert haben und Geld verwalten oder umsetzen, wie beispielsweise die milliardenschwere Nationale Ölgesellschaft Libyens. Man kann also erahnen, dass das Vermögen immens ist. Und nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ führt dabei eine Spur, größer als bisher bekannt, nach Deutschland. So soll der LIA 480 Millionen Dollar beim Kauf von Siemens-Aktien gezahlt haben und Anteile halten an Bayer, Deutsche Telekom, BASF, Allianz, RWE und Eon.

In Deutschland ist die Bundesbank die zuständige Aufsichtsbehörde über alle eingefrorenen Konten. In ihrem Finanzsanktionszentrum in München würden auch etwaige Ansprüche derer geprüft werden, die von den Kontensperrungen betroffen sind. Es soll sich laut Bundeswirtschaftsministerium um mindestens 190 Konten handeln, der „Spiegel“ schätzte den Wert der Gaddafi-Gelder in Deutschland auf neun Milliarden Euro, in der Bundesregierung geht man nach Informationen dieser Zeitung derzeit von rund 6,3 Milliarden aus. Die Bundesbank nennt keine Zahlen, allein auf ihrem Konto sollen sich aber 1,96 Milliarden Euro Gaddafis befinden. Viele weitere Milliarden liegen, oft gut angelegt in Immobilien, auf Konten in aller Welt. Rund 30 Milliarden sollen es in den USA sein.

Angesichts solcher Summen ist es für die Politik extrem ärgerlich, dass man nicht über sie verfügen kann. Gerade Deutschland, das sich am militärischen Einsatz nicht beteiligt, wäre gerne vorangegangen in der Umwandlung der Gelder. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sei die juristische Prüfung auch noch nicht abgeschlossen, nach Informationen des Tagesspiegels hat dagegen eine interne juristische Prüfung einzelner Ministerien längst ergeben, was Völkerrechtler auch sagen. „Auf der derzeitigen Rechtsbasis ist es nicht möglich.“ Beim Treffen der Libyen-Kontaktgruppe in Rom, an dem Vertreter von insgesamt 40 Staaten und internationalen Organisationen teilnahmen, haben die Außenminister deshalb auch einen „Sonderfonds“ eingerichtet. Die nationale Übergangsregierung braucht schnell frisches Geld. Ob die Europäer in diesen Fonds einzahlen, ist ungewiss. Vor allem die Deutschen zögern wohl ebenfalls aus rechtlichen Gründen. Man argumentiert zwar, mögliche Kredite seien ja abgesichert durch das eingefrorene Geld. Trotzdem müsste man in Vorleistung gehen. Weder das Wirtschafts- noch das Justizministerium sind über die Ausgestaltung des Fonds informiert. Dies sei Sache des Auswärtigen Amtes, heißt es.

Ein Außenamtssprecher sagte dem Tagesspiegel, dass im Moment ein deutscher Kredit nicht zur Debatte stehe. Kredite für den Fonds fände der Völkerrechtler Markus Kotzur wiederum unbedenklich. Er sagt: „Es ist nachvollziehbar, dass beispielsweise Deutschland als ein möglicher Kreditgeber in den Sonderfonds die eingefrorenen Gelder als Sicherheitsmittel verwendet. Der Staat kann ja sicher sein, dass da eine Menge Geld vorhanden ist.“

Verwaltet wird der Sonderfonds auch nicht in Europa, sondern von einer Privatbank in Katar, heißt es in Berliner Regierungskreisen, die wiederum von der dortigen Zentralbank beaufsichtigt werde. Der Premier von Katar, Hamad bin Jassim al Thani, hat in Rom bereits 400 bis 500 Millionen Dollar für den Fonds zugesagt, Kuwait 180 Millionen. Al Thani war es auch, der in der Kontaktgruppe erstmals die Bewaffnung der Rebellen zur Diskussion stellte. In diesem Punkt wird seit langem heftig darüber gestritten, ob die UN-Resolution dies zulässt. Nach Medienberichten rüstet Katar die Rebellen seit geraumer Zeit mit Waffen aus. Wenn das stimmte und Deutschland würde doch noch in den Fonds einzahlen, würde man Geld geben, mit dem womöglich völkerrechtlich nicht sauber verfahren wird.

Finanziell steht Deutschland den Rebellen also mit leeren Händen gegenüber. Allerdings betont das Auswärtige Amt, dass man „in ständigem Austausch mit der nationalen Übergangsregierung“ stehe. Neben der EU besitzt seit kurzem auch Deutschland ein Verbindungsbüro in der Rebellenhochburg Bengasi. Und Geld hat man dann doch gegeben: Sieben Millionen Euro humanitäre Hilfe. Dieses Geld ist jedoch nicht an die Rebellen geflossen, sondern an Hilfsorganisationen wie das Roten Kreuz oder Misrata.

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