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Politik: „Der Ernstfall in der Normallage“

Schäubles juristischer Vordenker Otto Depenheuer erklärt, wie sich der Staat gegen Terror wehren muss

Wie ernst meint es Wolfgang Schäuble? Der Innenminister provoziert Koalition und Öffentlichkeit mit Vorschlägen und Warnungen im Terrorkampf – hart an den Grenzen des Grundgesetzes und gelegentlich, wie Kritiker finden, darüber hinaus. Alles Missverständnisse, wie Schäuble beklagt? Oder Kalkül des politischen Strategen, der den Umbau vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat betreibt? Für Letzteres spricht Schäubles Präferenz für die Thesen des Juristen Otto Depenheuer.

Depenheuer ist Professor für Staatsrecht an der Universität Köln. Vor kurzem ist seine Schrift „Selbstbehauptung des Rechtsstaats“ eschienen. Schäuble empfiehlt die Lektüre, um auf dem „aktuellen Stand der Diskussion“ zu sein. „Das ist ein ernst zu nehmender Verfassungsrechtler.“ Depenheuer gehört einem kleinen, sich zunehmend Gehör verschaffenden Kreis juristischer Gelehrter an, der im Kampf gegen Terror und Kriminalität an rechtsstaaliche Tabus rühren will. Begonnen hatte Mitte der neunziger Jahre der Heidelberger Staatsrechtler Winfried Brugger, der Folter unter strengen Bedingungen zur verfassungsmäßig zulässigen Option erklärte. Der Bonner Rechtsprofessor Günther Jakobs wollte 2004 im Strafrecht zwischen „Bürgern“ und „Feinden“ unterschieden wissen.

Und nun entwirft Depenheuer ein sicherheitspolitisches Panoptikum von eigentümlich verbissener Schlichtheit und dramatischer Konsequenz: Der islamistische Terror bedrohe nicht nur das Leben und die Sicherheit der Bürger, sondern: „Der Terror ist die totale Infragestellung der eigenen politischen Existenzform“, der Terrorist „staatstheoretisch ein Feind“. Und weil die islamistische Gefahr permanent sei, herrsche „der Ernstfall in der Normallage“. Was tut der souveräne Staat dagegen? „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, zitiert Depenheuer den Staatsrechtler Carl Schmitt, mit dem die Nazis ihre Gewaltherrschaft begründeten. Und beschreibt dann, wie die Antiterrorbehörden dem „jeweiligen terroristischen Gefahrenfall“ mit kleinen, selbst erklärten Ausnahmezuständen zuleibe rücken könnten. Der „Feind“ hat dann schlechte Karten, denn er wird „außerhalb des Rechts gestellt“. Er sei dann zwar kein Rechtssubjekt mehr, aber darin liege, immerhin, eine „Anerkennung seiner Würde“: „Der Terrorist wird als Überzeugungstäter ernst genommen und gerade deswegen als Gefahr für die staatliche Gemeinschaft bekämpft.“ Zustimmend zitiert Depenheuer den Kollegen Gerd Roellecke: „Feinde bestraft man nicht. Feinde ehrt und vernichtet man.“

Ein Kampf, der auch aufseiten der Guten und Gerechten Opfer kosten kann. Im Schlusskapitel fordert Depenheuer fast schwärmerisch ein „Bürgeropfer“, das „in der elementaren Bedrohung des Gemeinwesens verlangt“ werden könne. Gemeint sind etwa die Passagiere eines von Terroristen entführten Flugzeugs. Depenheuer gibt sie zum Abschuss frei, anders als das Bundesverfassungsgericht. Das hatte sie im Urteil zum Luftsicherheitsgesetz unter den Schutz der Menschenwürde gestellt – unantastbar, sogar für deutsche Luftabwehrraketen.

Der Kampf gegen den Terror als totaler Krieg – teilt Schäuble alle diese Thesen? Er findet, Depenheuers Text würde in den Medien verkürzt dargestellt. Doch im Kern gibt er dem Kölner Juristen Recht: „Die hergebrachte Rechtsordnung passt auf die klassische Unterscheidung nicht mehr mit der asymmetrischen Kriegsführung und den terroristischen Bedrohungen“. Man achte auf die Wortwahl: Wenn es nicht nur um Gesetzeslücken, Datenschutz oder Bundeswehreinsätze geht, sondern einem „die Rechtsordnung“ nicht mehr „passt“, könnte – tatsächlich – der Ernstfall eingetreten sein.

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