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Gäfgen im Gerichtssaal in Frankfurt am Main

© dapd

Der Fall Gäfgen: Entschädigung für einen Mörder

Magnus Gäfgen, der Mörder des Bankierssohns Jakob von Metzler, bekommt vor Gericht eine Entschädigung zugesprochen. Warum hat er darauf Anspruch?

Magnus Gäfgen stand wieder vor Gericht. Seit Jahren prozessiert der Mörder des damals elfjährigen Bankierssohns Jakob von Metzler um Entschädigung, weil ihm Polizisten bei der Suche nach dem Kind Gewalt angedroht hatten. Jetzt hat das Oberlandesgericht Frankfurt das Urteil der Vorinstanz bestätigt und Gäfgen Recht gegeben.

Wie kam es zum Streit zwischen Magnus Gäfgen und dem Land Hessen?

Gäfgen geht es ums Prinzip. Mit seiner Klage wollte der verurteilte Kindermörder klargestellt wissen, dass Folter in Deutschland verboten ist und Opfer zu entschädigen sind. Das Frankfurter Landgericht hatte Gäfgens Klage vor einem Jahr in erster Instanz teilweise stattgegeben, weil der heute 37-Jährige in seiner Menschenwürde verletzt worden sei, als ihn die Polizei zu einer Aussage zwang. Er sollte verraten, wo er das Kind versteckt habe. Das Land Hessen sollte ihm für das erlittene Unrecht 3000 Euro plus Zinsen zahlen. Innenminister Boris Rhein (CDU) ging in die Berufung, die jetzt abgewiesen wurde. Zuvor hatte das Oberlandesgericht einen Vergleich angeregt, um das leidige Verfahren zu beenden. Das Land sollte 2000 Euro zahlen, Gäfgen diese Summe spenden und im Gegenzug auf weitere Ansprüche verzichten; denn ursprünglich wollte er bis zu 10000 Euro Schadensersatz und Schmerzensgeld. Obwohl Rhein es nach eigener Aussage für wichtig hält, dem Mörder keine Bühne zu bieten, ließ er sich nicht darauf ein; so kam es zu der Verhandlung. Ob Gäfgen die zugesprochene Summe behalten darf, ist unklar. Seinem Anwalt Michael Heuchemer zufolge soll dies nun das Landgericht Marburg klären. Gäfgen ist pleite und hatte Verbraucherinsolvenz angemeldet.

Wie verhielt sich Gäfgen vor Gericht?

Diesmal lag es nicht an ihm, dass es zum erneuten Prozess kam. Gäfgen und sein Anwalt Michael Heuchemer hatten den Vergleich akzeptiert. Heuchemer sagte am Mittwoch, es sei „zwingend, dass es zumindest eine geringe Entschädigung gibt“. Sein zu lebenslanger Haft verurteilter Mandant sucht seit Jahren die Öffentlichkeit. Er schrieb ein Buch, in dem er weinerlich sein Schicksal beklagte, äußerte zugleich Reue und wollte eine Stiftung für Opfer von Straftaten gründen – was die Behörden nicht zuließen. Jetzt erschien es, als wollte er keinerlei Angriffsfläche bieten.

Gekleidet in einen dunklen Anzug mit weißem Hemd, verzog er buchstäblich keine Miene. Mit durchgedrücktem Kreuz und gesenkten Lidern ließ er im Sitzen das Blitzlicht der Fotografen über sich ergehen. Kein Wort, keine Regung. Er schien nicht einmal zu atmen. Der Urteilsverkündung am Nachmittag blieben er und sein Anwalt fern.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

„Das Vorgehen der Polizei war polizeirechtlich oder strafrechtlich weder gerechtfertigt noch entschuldigt“, sagte der Vorsitzende. Auch wenn es das Ziel gewesen sei, das Leben des Kindes zu retten. Eine Entschädigung sei zudem „rechtlich geboten“, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil über den Fall 2010 spürbare Folgen der festgestellten „unmenschlichen Behandlung“ erwartet habe. Das Strafurteil gegen die beteiligten Polizisten habe „noch keine hinreichende Genugtuungsfunktion“. An diese Wertung sei das Frankfurter Gericht gebunden. Eine Revision wurde nicht zugelassen.

War es wirklich Folter, womit Gäfgen gedroht wurde?

Darüber kann man streiten. Fest steht, der Fall bewegt die Menschen bis heute, es gibt Bücher und Fernsehfilme. 2002 brandete in Deutschland eine bis dahin nicht für möglich gehaltene Debatte auf, ob Folter in Polizeiverhören in bestimmten Fällen geduldet oder sogar erlaubt werden kann. So äußerte sich der damalige Präsident des Richterbundes, einige Juristen pflichteten ihm bei, auch die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sah die Handelnden möglicherweise im Recht. So sieht es auch bis heute Frankfurts damaliger Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner, jetzt Pensionär. Daschner hatte die mögliche Gewaltanwendung seinerzeit gebilligt und einen Vermerk darüber gefertigt. Aus dem Innenministerium erhielt er nach seinen Angaben Rückendeckung. Er solle die „Instrumente zeigen“, gab er damals zu Protokoll. Ein Indiz dafür, dass die Behörden wussten, worum es gehen sollte – Folter.

Was geschah damals im Frankfurter Polizeipräsidium?

Magnus Gäfgen hatte Jakob Ende September 2002 entführt und erstickt. Er kannte das Kind, die Verhältnisse der Eltern und erpresste Lösegeld. Nach der Übergabe wurde er beschattet und schließlich, da er keine Anstalten machte, den Jungen freizulassen, gestellt. Gäfgen schwieg hartnäckig auf Fragen, was mit dem Kind geschehen sei, auch von einer Konfrontation mit seiner Mutter ließ sich der damalige Jurastudent nicht erweichen. Weil die Polizisten fürchteten, der Junge würde verdursten, entschieden sie sich nach drei Tagen für ein letztes Mittel: Sie drohten, ein Folterspezialist würde eingeflogen und ihn zum Reden bringen. Gäfgen führte daraufhin die Beamten zu dem toten Kind.

Wie ging die Justiz mit dem Fall um?

Auch nachdem die Gewaltdrohung publik wurde, blieb der Täter geständig. Zu seiner lebenslangen Haft stellten die Richter 2003 die besondere Schwere seiner Schuld fest, die einer Entlassung nach 15 Jahren entgegensteht. Gäfgen nannte das Urteil später einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, scheiterte aber damit sowohl beim Bundesverfassungsgericht wie beim EGMR. Daschner und sein Kollege Ortwin Ennigkeit, der Gäfgen damals vernahm, wurden 2004 wegen Nötigung zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt verurteilt, der mildestmöglichen Sanktion.

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