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2013

© REUTERS

Politik: Der FC Allmächtig

Bayern München war schon alles Mögliche: Kavaliersklub. Judenklub. Hollywood. Er war die völlige Arroganz und der überragende Erfolg. Und nun? Geht es noch größer.

Gott musste warten. Fünf Minuten nur, aber der Mediendirektor des FC Bayern München fühlte sich veranlasst, eine Erklärung für die Verzögerung zu geben. Die Nachrichtensendungen, sagte Markus Hörwick, und eine gewisse Koketterie schwang mit, die Nachrichtensendungen seien noch nicht vorbei, „es passieren so wichtige Dinge auf der Welt“. Wie das? Wichtigeres als der FC Bayern München? Gibt es doch gar nicht, schon gar nicht, wenn der Klub sich mit der Präsentation eines neuen Trainers in eine Dimension beamt, die selbst er, der ruhmreichste und erfolgreichste Klub aller deutschen Fußballzeiten noch nie erreicht hat.

Rund 250 Journalisten aus elf Ländern hatten sich für die Vorstellung des Trainers akkreditiert. Es sei die größte Pressekonferenz gewesen, die es je beim FC Bayern gab, wie die Medienabteilung des Klubs verkündete. Die Zeit, als sich in München für den Saisonauftakt nur Fans und lokale Medien interessierten, ist ja schon länger vorbei. Aber noch nie zuvor hat ein neuer Trainer international derart viel Aufmerksamkeit erregt wie Pep Guardiola. Zu vergleichen war die Ankunft des smarten Katalanen vielleicht noch mit der einst von Jose Mourinho bei Real Madrid.

Guardiola, der Gott der Trainer, wurde im Juni vor die Öffentlichkeit geschoben. Und seitdem schwappen „Monsterwellen vorauseilender Heldenverehrung“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, durch München und Bayern, durch Deutschland, Europa und die Welt. Die Wellen treffen nicht nur Guardiola, den Startrainer, der den FC Barcelona ins Überirdische geführt hatte, sie reißen auch den gesamten Verein mit. Der FC Bayern München, der „Stern des Südens“, er strahlt nach dem Gewinn der nationalen Meisterschaft, des DFB-Pokals und dem Triumph in der Champions League in der vergangenen Saison und nun mit Wundermann Guardiola heller als alle Sonnen dieser Fußballwelt, heller als Real Madrid, der FC Barcelona oder Manchester United. Es ist, das am aber nicht unerheblichen Rande, ein schlechter Treppenwitz der Geschichte, dass diese Dimension zeitgleich zu der Phase erreicht wurde, in der der Mann, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, vor der Abwicklung seines größten Fehlers steht: Am vergangenen Dienstag erhob die Staatsanwaltschaft München II gegen den Vereinspräsidenten Uli Hoeneß Anklage wegen Steuerhinterziehung.

In der kommenden Woche beginnt die neue Bundesliga-Saison. Der FC Bayern startet als Favorit. Für alle drei Titel. Aber all das ist er seit vielen Jahren mit fast schon langweiliger Regelmäßigkeit. Nun jedoch startet er auch noch als entrückte Macht, die alles erdrückt, sich alles leisten kann und als Olymp, in dem kein Platz mehr für niemand ist. Mit freudiger Erregung wurde registriert, dass es Borussia Dortmund vorvergangene Woche im Spiel um die Goldene Ananas, dem Supercup, gelang, 4:2 über die Bayern zu gewinnen. Und fast schon gierig suchen die Auguren, ob nicht doch ein paar Gramm Sand im Gefüge zu finden sind, die das Ensemble zerknirschen könnten. Hatte nicht Guardiola angekündigt, aus Barcelona keinen Spieler mitzunehmen? Und warum verpflichtet er dann Thiago Alcantara für 20 Millionen Euro? Und macht der Bastian Schweinsteiger, in der vergangenen Saison zum Weltstar gereiften Fußballer des Jahres, möglicherweise den Stammplatz streitig? Und was ist das für ein Zeichen, dass zum ersten Training von Guardiola nicht die von den Bayern prognostizierten 25 000 Fans gekommen waren, sondern nur 10 000? Das, mit Verlaub, ist ein Zeichen dafür, dass der Termin am späten Nachmittag nicht so arbeitnehmerfreundlich war. Fünf Euro Eintritt nahm die Klubführung von jedem Besucher – und spendete das Geld zugunsten Hochwassergeschädigter. Die Bayern, sie strahlen nicht nur auf dem Platz, sie strahlen auch im Bewusstsein des eigenen Images.

Das hat sich, mit einer Niederlage beginnend, in den vergangenen Jahren stetig verbessert. 1999 verloren die Bayern in Barcelona das Finale der Champions League gegen Manchester United in den letzten Sekunden. Bis zur 90. Minute hatten sie noch 1:0 geführt. Plötzlich empfing der Klub ein bis dahin außerhalb der eigenen Fanschar unbekanntes Gefühl: Mitleid. Mitleid mit einem Verein, der auch tragisch scheitern kann. Seitdem schaut manch vorheriger Bayern-Hasser schon mal genauer hin, schimpft nicht blindwütig auf die Geldsäcke, die arroganten Geldsäcke. Das nämlich war der FC Bayern in vielen Jahren davor.

Imagewandel haben den Klub seit seiner Gründung am 27. Februar 1900 begleitet. Elf Männer des Münchner Turner Vereins 1879 begehrten gegen die Macht der Turner auf, die dem neuen aus England gekommenen Sport nichts abgewinnen wollten, und gründeten den FC Bayern München. Die Belegschaft des jungen Klubs: Studenten und Künstler mit Hang zu modischen Accessoires. Weil die Mannschaft einheitlich mit ausgefallenen Strohhüten auftrat, galt der FC Bayern München als „Kavaliersklub“. Es mag, Anekdote en passant, die preußische Seele besänftigen, woher der Gründungsvater und der erste Präsident Franz John stammte: Berlin.

Gut 30 Jahre später wurde der FC Bayern München „Judenklub“ geschimpft. Präsident war Kurt Landauer, ideenreich, arbeitsam und schon damals ein Mann, der die Stärke seiner ersten Mannschaft aus der eigenen Jugend holen wollte. Mit Erfolg: 1932 gewann der FC Bayern erstmals die Deutsche Meisterschaft. 1933 trat er zurück, nicht freiwillig, sondern wohl genötigt von den neuen politischen Verhältnissen. Nach der Pogromnacht 1938 sperrten die Nazis Landauer für vier Wochen ins KZ Dachau, 1939 konnte er nach Genf in die Schweiz emigrieren. Und weil ihn dort 1940 die komplette Bayern-Elf besuchte, bekamen die Spieler nach ihrer Rückkehr großen Ärger. 1947 kehrte Landauer aus dem Exil zurück und wurde sofort wieder zum Präsidenten gewählt. Seine Geschichte gehört zu denen, die Campino, den Sänger der Toten Hosen und inbrünstigen Interpreten des Bayern-Hassliedes zur Feststellung brachten, dass er für seinen Bayern-Hass schon eine gewaltige Portion Ignoranz und Blindheit brauche.

Der FC Bayern 2013, eine Ansammlung internationaler Stars, in der sorgsam darauf geachtet wird, auch noch Münchner und Bayern einzuweben. Ältere Menschen kennen noch Zeiten, in denen der Stürmer Ohlhauser hieß und die Flügelzange Nafziger und Brenninger. Gestandene Bayern waren das, und das vorrangige Ziel war nicht das internationale Geschäft, sondern die lokale Vormacht gegenüber 1860 München. Man weiß das vielleicht heute nicht mehr, aber 1860, die „Löwen“, war viele Jahre der oberste Repräsentant des Münchner Fußballs. Und folgerichtig auch Gründungsmitglied der 1963 startenden Bundesliga. Der FC Bayern kickte, schwer gekränkt von der Missachtung, in der Regionalliga Süd.

Aber dann kam der Umschwung, und wenn man nach einem ersten Fundament des heutigen Erfolges sucht, landet man bei Zlatko, „Tschik“, Cajkovski. Ein kleiner dicker Mann, Jugoslawe, der im Training immer mitkickte und so lange spielen ließ, bis seine Mannschaft die Nase vorn hatte, was mitunter dauern konnte. 1965 führte er die Bayern in die Bundesliga, 1966 zum DFB-Pokalsieg, 1967 zum Europapokal-Gewinn und erneut zum DFB-Pokal. Und Cajkovski stellte vier der großen sechs Spieler ein, die den FC Bayern endgültig zur festen Größe in Deutschland und zur beachteten Größe in Europa machten. Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Georg Schwarzenbeck, Gerd Müller, über den der spätere Präsident Fritz Scherer dereinst sagte: „Vielleicht wären wir ohne Gerd Müller und seine Tore noch immer in unserer alten Holzhütte an der Säbener Straße.“ Später kamen noch Uli Hoeneß und Paul Breitner dazu.

Womit das Sextett komplett war, das die Basis für alles Folgende schuf. Drei Triumphe im Europapokal der Landesmeister in Folge, 1974, 1975 und 1976, das klingt nach der Dominanz, die der FC Bayern dieser Tage anstrebt und vielleicht auch schon besitzt, ist aber nicht vergleichbar, weil der Fußball noch nicht globalisiert war. Wohl gab es schon Legionäre, aber noch kein Bosman-Urteil, durch das Spieler, Weltstars, durch die Welt und Klubs tingeln können, weil das Geld nicht im Übermaß floss, weil Fußball in diesen Zeiten wohl schon massenkompatibel war, aber kein grenzenloses Spektakel, bei dem die Investitionen auch grenzenlos sind, weil die Rendite es auch zu sein scheint.

Als der Fußball in Europa zu galoppieren begann, trabten die Bayern noch. National reichte das, auch weil die Bayern umsichtig und seriös agierten. In diesem Zusammenhang sei, auch wenn es nun ein wenig zynisch klingt, auf, siehe oben, besagten heutigen Präsidenten verwiesen. Aber international? Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Dimension, in die die Münchner nun vorgestoßen sind, unerreichbar zu sein schien. Die Bayern-Granden träumten zwar schon lange davon, sich auf Augenhöhe zu bewegen mit Real Madrid, dem FC Barcelona oder Manchester United. Aber diese Klubs waren noch vor ein paar Jahren weit voraus. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende, ließ kaum eine Gelegenheit aus, auf den deutschen Wettbewerbsnachteil wegen geringerer Einnahmen aus Fernsehrechten hinzuweisen. Vereine aus England und Spanien konnten schon vor der Jahrtausendwende Transfers im zweistelligen Millionen-Bereich tätigen. In der Bayern-Mannschaft, die gegen Manchester United 1999 im Finale der Champions League stand, hatte der teuerste Spieler, Giovane Elber, gut sechs Millionen Euro gekostet. ManU hatte damals für seinen Rekord-Transfer, Dwight Yorke, rund 17 Millionen Euro bezahlt. Das Gehalt von David Beckham war damals gut dreimal so hoch wie das von Stefan Effenberg. Wenn man so will, lieferte dieses Spiel auch den Schlüssel für ein Umdenken in der Bayern-Führung.

Es war ein hartes Umdenken für den Kaufmann Hoeneß. Unsummen für Spieler auszugeben, war ihm stets ein Gräuel, sollen Psychologen eruieren, ob das neue Denken des FC Bayern auch seinen Hang zum Zocken mit heute bekannten Folgen befördert hat. 2007 auf jeden Fall war es so weit, Luca Toni wurde nach München geholt, Weltstar aus Italien, für Franck Ribery wurde eine Ablösesumme an Olympique Marseille von 25 Millionen Euro kolportiert. Und der FC Bayern begann, sich neu zu erfinden.

In der Folge nicht sehr durchdacht. Jürgen Klinsmann, der ein Jahr nach Toni und Ribery als Trainer zu den Bayern kam, wollte nicht nur den FC Bayern neu erfinden, sondern gleich den gesamten Fußball. Legendär sind seine Buddha-Figuren, die er aufstellen ließ für die Wohlfühloase, legendär sind seine Computeranimationen. Aber irgendwie ging der Spagat zwischen Laptop und Lederhose, Klinsmanns Aufbruch in eine ganz, ganz neue Welt, in eben diese Hose. Vielleicht auch, weil Klinsmann und mit ihm der Verein, vergessen hatten, dass man die Wurzeln nicht kappen sollte.

Auch bei Klinsmanns Nachfolger Louis van Gaal spielte die Überlegung eine Rolle, dass das ganz große Rad nur von denen gedreht werden kann, die den ganz großen Namen haben, selbst wenn der mitunter großspurig erworben worden war. Aber wie klein war die Bayern-Welt noch, damals, als van Gaal voller Stolz präsentiert wurde. Dessen Vorstellung fand noch im fensterlosen Presseraum an der Säbener Straße statt – nicht wie bei Pep Guardiola im gigantischen Medienzentrum der Münchner Arena, ein Umzug dahin war gar nicht erst in Erwägung gezogen worden. International waren damals nur ein paar niederländische Medien vor Ort. Van Gaal sagte, dass er wie „ein warmer Mantel“ zu den Bayern passe. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge saßen daneben und strahlten. Sie strahlten nicht lange. Die Zeit mit van Gaal mag Hoeneß auch im Rückblick noch ein wenig die Zornesröte ins Gesicht treiben, aber in erster Linie aus menschlichen Gründen. Sportlich, spielerisch war dem FC Bayern unter dem sturen, selbstgerechten Niederländer ein großer Schritt gelungen. Jupp Heynckes vollendete dann das Kunstwerk.

Zu verdienen gibt es für Spieler woanders noch immer mehr als bei den Bayern. Bei den von potenten Investoren geführten Klubs wie Chelsea, Manchester City oder Paris St. Germain zum Beispiel, und natürlich auch bei Real, Barcelona oder Manchester United. Auch Pep Guardiola hätte wohl noch ein paar Millionen mehr herausschlagen können, wäre er nach seinem Sabbat-Jahr nach England gegangen, aber sportlich war für ihn der FC Bayern eben die interessantere Adresse. Und mit dem kolportierten Salär von 20 Millionen Euro lässt sich auch in München ganz gut leben.

Die absoluten Topstars passen noch nicht ins Portfolio der Münchner, die darauf schauen, finanziell solide zu wirtschaften. Vielleicht werden die Messis und Ronaldos auch nie in das Gefüge des FC Bayern passen, aber die Reihe dahinter mittlerweile sehr gut. Robert Lewandowski würde gerne von Borussia Dortmund zum Champions-League-Sieger wechseln, wenn ihn die Westfalen freigeben würden. Mario Götze hat den Schritt getan. Der talentierte Thiago Alcantara ist von Barcelona nach München gekommen, zwar in erster Linie, weil er bei den Katalanen zuletzt zu wenig zum Einsatz gekommen und Guardiola einst sein großer Förderer war, aber er sieht den Wechsel nicht als sportlichen Abstieg. „Der FC Bayern ist ein sehr großer, erfolgreicher Verein, der sehr professionell arbeitet“, sagte der 22-Jährige nach seiner Verpflichtung. Braver Mann.

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