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Bei der Wahl zum Parteichef erhielt Christian Lindner mehr als 92 Prozent.

© dpa

Der FDP-Parteitag in Berlin: Total normal

Schon lange geht es nicht mehr um 18 Prozent. Es geht nicht ums Mitregieren. Auf ihrem Parteitag will die FDP vor allem eins: Zeigen, dass sie noch lebt. Eine Reportage aus der alten Eisenbahnhalle am Gleisdreieck in Berlin.

Von Robert Birnbaum

Rudi Rentschler ist auch wieder dabei. Professor Doktor Rudolf Rentschler, um genau zu sein, Spezialist für Differentialgleichungen. Der knuffige Mathematiker mit der Donald-Duck- Stimme gehört seit Menschengedenken zum Inventar jedes FDP-Parteitags. Als er vor Jahren ernsthaft erkrankt war und fehlte, übermittelte der Kongress betroffen kollektive Genesungswünsche. Aber Rentschler ist längst wieder ganz der Alte, und deshalb hat er bei gewissenhafter Lektüre des Leitantrags wieder etwas entdeckt. Auf Seite 22, kräht er ins Mikrofon, „da wird einer Flat Tax das Wort geredet!“ Das müsse da weg, „entweder diskret oder lautstark versenkt“. Seine FDP ist doch nicht die Partei der Superreichen!

Im Saal macht sich ein schmunzelnd warmes Wohlgefühl breit. Rentschler ist da, das bedeutet, dass alles ist wie immer. Die anderen sind ja auch da, der Kinkel, der Solms, der Kubicki, der Lambsdorff, sogar der Brüderle. Na gut, fast alle. Philipp Rösler fehlt, wenn auch nicht wirklich. Sein Generalsekretär ist aber gekommen. „Ich bin schließlich noch Kreisvorsitzender“, sagt Patrick Döring, strahlt wie gewohnt und fällt im Übrigen nicht weiter auf. Lauter alte Bekannte sind das, die sich an diesem Wochenende in der alten Eisenbahnhalle am Gleisdreieck zum 66. Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei versammeln. Die FDP ist augenscheinlich die Gleiche geblieben. Für eine Partei im Abgrund ist das paradoxerweise eine ziemlich gute Botschaft.

Es hätte ja völlig anders kommen können nach diesem 22. September 2013, dem Wahltag, an dem sich der Orkus auftat. Ein paar Wochen danach hatten sie sich in dieser gleichen Berliner Halle getroffen. An den Betonwänden hingen wirre Kabelstränge wie ein Sinnbild dessen, was denkbar war: eine Partei in Auflösung, die Bundestagsfraktion wird abgewickelt, alle laufen auseinander, das war’s. Auf den Zeitungstischen am Eingang konnten die Delegierten lesen, dass sie überflüssig geworden seien. Zwei Jahre später trägt Wolfgang Kubicki die Kommentarzeilen noch einmal vor: „Das Schicksal der FDP ist besiegelt“, zitiert der Schleswig-Holsteiner, und: „Die FDP ist tot.“ Zwei Jahre lang schien die Prognose richtig. Europawahl – tot. Landtagswahl in Sachsen – tot. Thüringen – tot.

Kubicki zählt die bitteren Niederlagen alle auf. Der Mann war früher einer der Springteufel der Partei. Heute ist er als ihr Therapeut unterwegs. Bei der Wiederwahl zum Parteivize wird der Wandel mit dem besten Wahlergebnis überhaupt belohnt, knapp 95 Prozent. Wer aber über eine Zukunft für den Patienten FDP reden will, der muss damit anfangen, was aus ihm alles nicht geworden ist. Also zum Beispiel kein Leichnam. Also jedenfalls vorerst mal.

Dahinter stecken zwei Jahre Arbeit, ziemlich viel Glück auf zwei Paar langen Beinen sowie die Zähigkeit des deutschen Vereinswesens. Die FDP ist in den langen Jahren ihrer Mitregierung erst in Bonn, dann in Berlin oft als „Dame ohne Unterleib“ wahrgenommen worden. Die Krise hat gezeigt, dass die Partei ohne Vorturner in der Hauptstadt trotzdem weiterexistiert. Warum soll eine Stadtratsfraktion auch Harakiri begehen, bloß weil die in Berlin in ihrer schwarz-gelben Alptraumkoalition alles vermasselt haben?

Wolfgang Kubicki, 63 Jahre, wurde mit 94 Prozent zum Vizechef gewählt. Mehr Stimmen bekam niemand.
Wolfgang Kubicki, 63 Jahre, wurde mit 94 Prozent zum Vizechef gewählt. Mehr Stimmen bekam niemand.

© Florian Boillot/Davids

Für den Geschmack der neuen alten Vorturner war dieser Überlebenswillen zwischenzeitlich sogar ein bisschen zu ausgeprägt. Der Schatzmeister Hermann Otto Solms zum Beispiel ist in den letzten Monaten von Kreisverband zu Kreisverband getingelt, um die Basis von einer Notabgabe an die Bundespartei zu überzeugen. Wenn die FDP wieder in den Bundestag einziehen will, dürfen die Landtagswahlen davor kein Debakel werden. Also, haben sie sich in Berlin gesagt, muss man jede Wahl vor dem Herbst 2017 wie eine kleine Bundestagswahl behandeln.

Solms also ging Geld sammeln. Die Basisfunktionäre fanden die Idee nicht gut, dass sie ihre saubere Finanzplanung bis hin zur übernächsten Kommunalwahl dem großen Ganzen opfern sollten. Erst als Solms ihnen vor Augen hielt, dass sie ihren Schatz allenfalls für eine große Abschiedsparty brauchen können, wenn die Bundespartei 2017 wieder scheitert und dann wirklich endgültig – erst da gaben sie nach. Am Freitagnachmittag debattiert der Parteitag fast zwei Stunden über die Details. Satzungsfragen sind die Stunde der Juristen. In der FDP gibt es viele Juristen zusammen. Aber am Ende reicht es zur Zwei-Drittel-Mehrheit.

Christian Lindner atmet hinterher erleichtert durch. Der Parteichef hat jetzt wenigstens die Mittel für die Rückeroberung des Deutschen Bundestages. Außerdem steckt in der Satzungsänderung eine Ermächtigung für das Thomas-Dehler-Haus, bis 2017 bei allen Wahlkämpfen mitzureden. Lindner und seine Truppe nehmen das extrem wichtig. Ein einheitliches Design für das Äußere, einheitliche Strategie im Inhaltlichen – die Marke FDP muss wiederbelebt werden.

Lindner war dieser Zug derart wichtig, dass er sich selbst ans Rednerpult gestellt und für den Antrag geworben hat. Ein Wohlmeinender, erzählt er, habe ihm vorher geraten, sich um Himmelswillen nicht so zu exponieren, schließlich riskiere er eine Niederlage. Ob die Geschichte stimmt oder bloß gut erfunden ist, weiß man nicht. Doch unübersehbar steht hinter dem Rednerpult an der Wand knallbunt das Motto des Kongresses: „German Mut“. Kneifen gilt da nicht.

Außerdem hat sich das Konzept der zentral konzipierten Wählerwerbung ja durchaus bewährt. Der Wahlkampf in Hamburg hat funktioniert, und, lobt die siegreiche Kandidatin Katja Suding, das verdanke der kleine Stadtverband auch der Unterstützung aus Berlin. In Bremen kann sich der noch kleinere Stadtverband mit der Kandidatin Lencke Steiner noch weniger beschweren, selbst wenn Kubicki als Wahlkampfhelfer einmal versehentlich einen Bus voller Frauen aus dem nahen Niedersachsen agitiert hat, die im Stadtstaat gar nicht wählen durften.

Suding und Steiner sind jetzt Hoffnungsbringerinnen. Dass die beiden jungen Frauen die Serie der bitteren Niederlagen brechen würden, hat sich vorher keiner zu hoffen getraut. Aber es hat geklappt, auch der Beine wegen. Man darf das sagen, weil sie diese Beine schließlich selber vorgezeigt haben in einem Hochglanzmagazin-Fotoshooting als „Drei Engel für Christian“. Die dritte war Generalsekretärin Nicola Beer, die sonst eher unsichtbar ist. Suding wählt der Parteitag gleich zur stellvertretenden Vorsitzenden. Steiner sagt, dass sie in die FDP eingetreten ist und das toll findet. Das reicht ja auch erst mal.

Es geht Fünf plus x

Lencke Steiner gilt nach ihrem Wahlsieg in Bremen als Nachwuchshoffnung der Partei.
Lencke Steiner gilt nach ihrem Wahlsieg in Bremen als Nachwuchshoffnung der Partei.

© Florian Boillot/Davids

Übrigens leugnet niemand, dass bei diesen beiden Wahlerfolgen viel Glück im Spiel war. In Hamburg ist die CDU katastrophal eingebrochen, in Bremen die SPD, dazu niedrige Wahlbeteiligungen und die akute Krise der „Alternative für Deutschland“ – alles Faktoren, die Raum schaffen für eine bürgerliche Kleinpartei. Außerdem muss man den Maßstab für Erfolg im Auge behalten. Es geht schon lange nicht mehr um 18 Prozent. Es geht nicht ums Mitregieren. Es geht Fünf plus x. Um ein Überlebenszeichen.

„German Mut“ also. Der deutsche Mut ist als Gegenstück gedacht zur „german Angst“, der Wortschöpfung, mit der angelsächsische Kommentatoren die chronisch besorgte Seelenlage der Exportweltmeisternation verspotten. Lindner spottet auch, über Grüne, die einst im Videotext üble Gefahren witterten („Wir haben diese Technik überlebt!“), über einen großkoalitionären Lieblingssport namens „Gerechtigkeitslückenforschung“ und über ein Hamburger Magazin, das mit dem Titelthema „Sitzen – die unterschätzte Gefahr“ aufmachte. „Dann steht doch auf!“ ruft der Parteichef in den Saal. Die Delegierten jubeln.

Zwei Jahre lang hat die Partei einen Vorsitzenden erlebt, der mit erkennbar gebremstem Schaum über den Liberalismus als solchen dozierte. Hier schaltet er auf Angriff. „Aus unserer freien Gesellschaft soll eine Besserungsanstalt werden!“ schimpft Lindner. Mindestlohn, Entgeltgleichheitsgesetz, Pläne gegen die Platzierung von süßer „Quengelware“ direkt neben den Supermarktkassen: „Vom Lutscher bis zum Lohn – die Regierung lenkt uns mit dem erhobenen Zeigefinger als wären wir kleine Kinder!“

Wenn man kurz die Augen schließt, kommt einem der Redner bei diesen Passagen plötzlich altbekannt vor. Lindner klingt jetzt wie der Mann, der ihn nach Berlin geholt hat. Guido Westerwelle ist schwer krank. Er wäre sicher auch als Gesunder nicht hierher gekommen. In seinem gelehrigen Schüler ist er trotzdem präsent.

Wir sind eine normale Partei, jawoll!

Lencke Steiner gilt nach ihrem Wahlsieg in Bremen als Nachwuchshoffnung der Partei.
Lencke Steiner gilt nach ihrem Wahlsieg in Bremen als Nachwuchshoffnung der Partei.

© Florian Boillot/Davids

Aber ist es schon wieder an der Zeit, dass ein FDP-Vorsitzender tanzen kann da oben auf der Bühne? „German Mut“ - in der Losung steckt schließlich auch ein Stück Selbstermutigung. Die „free democrats Angst“ ist nicht offensichtlich in diesen Tagen in Berlin. Aber es darf als ungewöhnlich gelten, wenn ein Parteitag der Mitteilung seines Vorsitzenden zujubelt, es lägen 80 Anträge vor auf 300 Seiten. Wir leben noch, heißt der Jubel, wir sind eine normale Partei, jawoll!

Sie sind sogar noch etwas mehr als das: Sie sind die Gleichen geblieben, minus die ewigen Machtkämpfe und Zänkereien. „Wir reden gut übereinander“, sagt ein Präsidiumsmitglied, immer noch leise erstaunt. Selbst der störrische Sachsen-Chef Zastrow redet plötzlich von „Gemeinsamkeit“. Nur der bayerische Parteichef Alfred Duin führt ein wenig Theater auf und wütet gegen einen „inneren Zirkel der Macht“, der ihn aus dem Präsidium fernhalten wolle. Nach weiteren 20 Minuten Selbstvorstellung kommt der Parteitag mehrheitlich zu dem Schluss, dass der redselige Herr mit der Wallemähne in dieses Präsidium nicht reingehört.

Wolfgang Kubicki, 63 Jahre, wurde mit 94 Prozent zum Vizechef gewählt. Mehr Stimmen bekam niemand.
Wolfgang Kubicki, 63 Jahre, wurde mit 94 Prozent zum Vizechef gewählt. Mehr Stimmen bekam niemand.

© Florian Boillot/Davids

Aber in gewisser Weise gehört auch dieser bizarre Auftritt zum Gesundungsprozess des Patienten FDP. Wir sind eine normale Partei, jawoll! Und: Wir sind, eigentlich, die Gleichen geblieben. Je länger der Parteitag dauert, desto ferner scheint die Trauerfeier vor zwei Jahren zu rücken. „Wir müssen uns nicht neu erfinden, aber wir müssen uns neu entdecken“, sagt am Samstag eine Kandidatin für den Bundesvorstand in ihrer Vorstellungsrede. „Die große Koalition spielt uns in die Hände“, sagt ein anderer Spitzenliberaler am Rand.

Müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht fünf Prozent Wähler finden lassen, die genau so denken wie die hier im Saal, Selbständige, kleine Unternehmer, die alte Klientel eben und vielleicht ein paar Junge aus der Internet-Gemeinde. Nur der alte Walter Hirche hat diesen Zug der neuen Zeit noch nicht ganz verstanden. Ob das denn wirklich nötig sei, schimpft der Niedersachse, dass im Leitantrag Anglizismen wie „Rush Hour des Lebens“ auftauchten! Hinter ihm prangt, wie gesagt, der „German Mut“.

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