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Politik: Der Frieden braucht Muslime

HILFE FÜR DEN IRAK

Von Christoph von Marschall

Das war nicht nur ein weiterer Anschlag, das war ein Tabubruch – so, als ob Terroristen den Kölner Dom in die Luft jagen, um die Führungselite zu töten, die sich dort zu einem Gottesdienst versammelt hat. Die Attentate im Irak haben die Dimension des Kampfs gegen die Besatzungsmacht längst gesprengt: erst der Anschlag auf die UN, jetzt auf die bedeutendste Kultstätte der Schiiten. Liegt es an dieser Ungeheuerlichkeit, dass düsterste Prophezeiungen die Runde machen: Der Irak versinke im Chaos, Amerika werde es so gehen, wie den Sowjets in Afghanistan – schmählicher Abzug, zurück bleibt ein unregierbares Bürgerkriegsland, in dem Terrorgruppen Unterschlupf finden?

So weit ist es noch lange nicht. Der Irak ist ein weiteres Beispiel, welches Destabilisierungspotenzial versprengte Reste eines gestürzten Regimes haben. So war es in Südafrika nach dem Ende der Apartheid und in Rumänien nach Ceausescu; in den früheren Sowjetrepubliken und Titos Jugoslawien flammten nach der Wende die lange unterdrückten ethnischen und religiösen Konflikte auf. Unruhestifter fanden viel Explosivstoff zum Zündeln.

Die Ziele der Gewalt im Irak sind unklar: Was richtet sich gegen die Besatzungsmacht, was soll diffus Unruhe und Angst verbreiten, was dient dem innerirakischen Kampf um die künftige Macht – zwischen Sunniten und Schiiten, aber auch in diesen Gruppen? Jeder neue Anschlag stört Stabilisierung und Wiederaufbau, bedeutet aber nicht gleich ihr Scheitern. Zudem ist das Vorgehen gegen den Widerstand nicht erfolglos: Alle paar Tage fassen die Amerikaner Gesuchte. Und doch: Die Lage ist beunruhigend. Weil man nicht sicher sein kann, dass die Stabilisierung gelingt – nur der Weg länger, mühseliger, blutiger ist, als erhofft. Der Terror greift vom sunnitischen Dreieck um Bagdad und Tikrit, dem Gebiet des SaddamClans, auf den bisher ruhigen Süden über, wo die schiitische Mehrheit wohnt. Bleibt das Kurdengebiet sicher?

Entscheidend ist jetzt, der Entwicklung den richtigen Dreh zu geben – vor allem: den Glauben der Bevölkerung an die Stabilisierung zu stärken. Die Möglichkeiten der Amerikaner sind begrenzt. Jeder neue Anschlag zeigt die Grenzen ihrer Macht auf. Sie können die Attentate nicht von heute auf morgen verhindern.Das ist ein langer Kampf. Und gelingt nur, wenn die „Guerilla“ keine Unterstützung in der Bevölkerung findet; dann gehen ihr irgendwann Sprengstoff und Zufluchtsorte aus. Dieses Ringen um die Herzen der Iraker können die GIs nicht allein gewinnen. Ihnen schlägt in der arabischen Welt latentes Misstrauen entgegen. Fast jede Begegnung bei Straßenpatrouillen oder Hausdurchsuchungen stärkt das Gefühl kultureller Distanz. Andere Nationen mit einem besseren Gespür für den Umgang müssen helfen. Nicht die Europäer, die haben im Zweifel ähnliche Probleme mit der kulturellen Diskrepanz. Muslimische Truppen können das besser: aus Pakistan, Malaysia, der Türkei. Es geht nicht nur um andere Nationalitätenabzeichen auf den Uniformen. Sondern darum, den Charakter der Besatzung zu verändern. Das fängt damit an, wie man guten Tag sagt, und hört mit dem Wissen um muslimische Empfindlichkeiten bei Durchsuchungen, etwa von Frauengemächern, noch lange nicht auf. Kulturelle Kompetenz ist jetzt wichtiger als technische Überlegenheit.

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