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Politik: Der frühere IRA-Mann und ehemalige Häftling Tommie Gorman hilft Kämpfern ins zivile Leben zurück

Natürlich hat sich viel verändert. In West-Belfast reden ihn die Polizisten bei Kontrollen jetzt mit "Sir" an.

Natürlich hat sich viel verändert. In West-Belfast reden ihn die Polizisten bei Kontrollen jetzt mit "Sir" an. Sie nennen ihn nicht mehr "Bastard", so wie früher. Tommie Gorman lacht kurz darüber. Ein bisschen hektisch ist er gewesen, als er in seinem Büro im Arbeitslosenzentrum angekommen ist. Er hat sich über eine Stunde verspätet. Nicht wegen einer Polizeikontrolle, sondern weil der Termin vorher so wichtig war. Dreimal hat er von unterwegs angerufen, um sich dafür zu entschuldigen. Er ist Projektleiter von "Proj-Ex 2000". Er versucht, ehemaligen Häftlingen bei der Suche nach Arbeit zu helfen, ehemaligen Paramilitärs von beiden Seiten: Republikanern und Loyalisten, Katholiken und Protestanten.

Tommie Gorman ist selbst ein ehemaliger Häftling. Für die IRA hat er insgesamt 14 Jahre hinter Gittern verbracht, wegen verschiedener Sachen. Einmal haben sie ihn mit Munition erwischt, ein anderes Mal mit einer Bombe. 17 Jahre alt ist er gewesen, als er Anfang der Siebziger zum ersten Mal interniert wurde. Seit 1987 ist er ohne Unterbrechung wieder draußen.

Seitdem sind nicht nur die Polizisten in Belfast etwas höflicher geworden. Auch andere Sachen haben sich verändert. Die ehemaligen Häftlinge zum Beispiel. "Wir haben viel zu lange geglaubt, dass wir diese ganze verdammte psychologische Beratung nach der Entlassung aus dem Gefängnis nicht nötig haben", sagt Tommie Gorman. Stolz waren sie alle. Und solche Hilfsangebote, das war vielleicht etwas für gewöhnliche Kriminelle, die resozialisiert werden mussten. Aber nichts für politische Häftlinge, Freiwillige der Republikanischen Bewegung im Kampf gegen die Briten. Sie haben im Gefängnis Hungerstreiks und andere zermürbende Proteste durchgehalten. Sie haben der Welt und vor allem sich selbst bewiesen, was ein Mensch alles aushalten kann. Und dann steht man plötzlich ganz einfach wieder im Alltag und stellt fest, dass man trotzdem dringend Hilfe braucht, um einen Weg nach vorne zu finden. Und zwar über einen längeren Zeitraum.

"Ex-Gefangene sollten diese Beratung machen", sagt Tommie Gorman. "Sie können einen genau darauf vorbereiten, was im Alltag passieren wird, wie es einem gehen wird, weil sie das alles selber durchgemacht haben." Wenigstens den letzten der 500 katholischen und protestantischen Häftlinge, die nach dem Karfreitagsabkommen bis zum Sommer vorzeitig entlassen werden sollen, könnte das dabei helfen, wieder Fuß zu fassen.

Aber vor allem geht es ja um eins, um Arbeit. "Sie werden hier überall Ex-Gefangene finden, die es geschafft haben. Künstler, Schriftsteller, Geschäftsleute, Politiker, Sozialarbeiter", sagt Tommie Gorman und winkt ab. Das klingt beiläufig und selbstverständlich. Probleme haben die vielen anderen, die keine Arbeit finden. Ungefähr 25 000 Nordiren haben in den vergangenen 30 Jahren wegen paramilitärischer Straftaten Haftstrafen verbüßt. In einem katholischen Stadtteil von Belfast haben Kollegen von Tommie Gorman bei einer Umfrage festgestellt, dass jeder zehnte Erwachsene wegen IRA-Geschichten irgendwann einmal im Gefängnis gesessen hat. 11,3 Prozent, um genau zu sein. Wenn man diese Daten genauer aufschlüsseln würde, würde man vermutlich herausfinden, dass fast eine ganze Männergeneration in West-Belfast in der IRA gewesen ist. Aber dann wäre auch offiziell die Anonymität dahin. In ihren Stadtteilen sind sie auf jeden Fall angesehene Leute. "Da wird niemand hängen gelassen." Tommie Gorman sagt das sehr energisch. Man kümmert sich um die Genossen, die aus dem Gefängnis kommen, und hilft ihnen, der Neugier der Medien zu entkommen. Mit den neuen politischen Verhältnissen kommen sie einigermaßen zurecht, sie haben ja selbst darauf hin gearbeitet, im Gefängnis. Aber enttäuscht sind die meisten ehemaligen Häftlinge schon über die Dauerkrise im Friedensprozess.

"Die Sinn-Fein-Führung hat sich in die Ecke manövrieren lassen, jetzt wissen sie nicht, was sie machen sollen. Die Unionisten haben alles bekommen, was sie wollten." Dass nun ausgerechnet Sinn Fein gegen die erneute Auflösung der einst bekämpften Regionalregierung in Stormont Sturm läuft und die Unionisten damit ganz zufrieden sind, das findet Tommie Gorman doch zumindest sehr ironisch. Früher war es genau umgekehrt.

Aber trotzdem wird wohl kaum jemand wieder zu den Waffen greifen. Das glaubt jedenfalls der ehemalige IRA-Mann. "Die Leute wollen einfach ihr Leben weiterleben." Und dabei gibt es eben vor allem ein Problem, es sind so viele, die in den vergangenen Monaten entlassen worden sind. Deshalb ist es noch schwieriger, Arbeit für sie zu finden. Die Arbeitslosigkeit unter den ehemaligen Häftlingen liegt weit über dem nordirischen Durchschnitt. Weniger als die Hälfte von ihnen hat eine Stelle gefunden, und das auch nur vorübergehend.

Da ist er mittendrin in den Absurditäten des Alltags, lehnt sich am Schreibtisch nach vorne und erzählt noch ein bisschen eindringlicher. Martin McGuinness zum Beispiel. Zweimal vorbestraft wegen IRA-Mitgliedschaft. Vermutlich langjähriger IRA-Chef, Sinn-Fein-Verhandlungsführer bei den Friedensgesprächen. Nordirischer Schulminister ist er vor kurzem gewesen, er hat ein ganzes Ministerium geleitet. Aber andere ehemalige Häftlinge dürfen dort nicht für ihn arbeiten. Wer vorbestraft ist, wird im Öffentlichen Dienst nicht eingestellt.

"Das ist doch grotesk. Wer im Gefängnis war, wird diskriminiert", sagt Tommie Gorman. Er erzählt von dem ehemaligen Loyalisten, der nach einem IRA-Bombenanschlag als einziger in seiner Straße keine Entschädigung für sein zerstörtes Haus bekommen hat, weil er vorbestraft war. Es geht um einen Protestanten, einen Mann der Gegenseite. Der einstige IRA-Mann Tommie Gorman regt sich trotzdem darüber auf. "Die ganze Familie wird dafür bestraft, dass dieser Loyalist mal im Gefängnis war."

Sie dürfen keine Kinder adoptieren, bekommen den P-Schein nicht, dürfen also eigentlich nicht als Taxifahrer arbeiten. So wie ganz gewöhnliche Kriminelle auch. Und trotzdem ist das einer der typischen Ex-Häftlings-Jobs. Taxi fahren. Illegal. "Da kann man sich dann schwarz ein paar Pfund zur Sozialhilfe dazu verdienen. Anders geht es ja nicht." Wer sich in ein "Black Taxi", eine der schwarzen Sammeltaxen in West-Belfast setzt, kann davon ausgehen, dass er von einem ehemaligen IRA-Mann chauffiert wird. Oder von einem Loyalisten, wenn er sich in die protestantischen Gegenden begibt. Türsteher in einer der vielen Kneipen ist der andere Job, der den Entlassenen offensteht. Da stehen sie dann an der Falls Road mit Schlips und Anzug und grimmigen Gesichtern, um Störenfriede abzuschrecken oder rauszuwerfen. Oder als Zielscheibe für Anschläge der Gegenseite, früher während der unruhigen Zeiten. "Sie werden sich wundern, wie viele Türsteher und Taxifahrer hier einen Universitätsabschluss haben", fügt Tommie Gorman hinzu. Viele haben während der Haft den Zweiten Bildungsweg eingeschlagen und an der Fernuniversität studiert. Er selbst hat auch studiert. Anglistik hat er abgeschlossen. "Aber das kann man hier ungefähr so gut gebrauchen wie ein Loch im Kopf."

Also Ausbildungsmöglichkeiten, Weiterbildungsprogramme und Selbsthilfeprojekte. "Aber nicht solche Sachen, wo man Mauern baut, wieder einreißt, wieder aufbaut und wieder einreißt." Sinnvolle Programm mit Zukunftsperspektiven will Tommie Gorman mit "Proj-Ex 2000" schaffen. Und dann erzählt er kurz von einem gelungenen Modell. Da haben es ein paar ehemalige Häftlinge geschafft, staatliche Fördermittel zu bekommen und sich als Maurer ausbilden zu lassen. Sie haben sechs Häuser gebaut. Und mit diesen Häusern als Sicherheit können sie jetzt Kredite aufnehmen und versuchen, sich selbstständig zu machen. So etwas will er unterstützen. Aber da gibt es noch ein anderes Problem. Fördergelder gibt es oft nur, wenn bei den Projekten auch Leute der Gegenseite beteiligt sind, alles muss "cross community" sein, protestantisch-katholisch, auf Verständigung zwischen den Feinden hinarbeiten. Drei Organisationen sind deshalb bei "Proj-Ex 2000" beteiligt. "Coiste na n-Larchimi" für die ehemaligen IRA-Leute, "Prisoners Aid" für die Loyalisten der Ulster Defence Association und der Ulster Freedom Fighters, schließlich "EPIC" für die anderen Loyalisten von der Ulster Volunteer Force.

Für die protestantische Seite ist der Selbsthilfegedanke noch etwas ungewohnt. Sie haben sich immer als staatstragende Verteidiger der britischen Krone gesehen, mit gesicherter Versorgung, Arbeitsplatz inklusive. Bürgerinitiativen zu gründen, hatten sie früher nicht nötig. Doch auch da hat sich etwas verändert. Und auf katholischer Seite sieht man das gelassen. Notfalls muss man eben wegen "cross community" ein bisschen Entwicklungshilfe leisten und den Protestanten mal vorschlagen, auch ein Selbsthilfeprojekt auf die Beine zu stellen, wenn man selbst Zuschüsse für die eigene Arbeit braucht. Und den ehemaligen Häftlingen aus den beiden verfeindeten politischen Lagern fällt es ohnehin oft leichter, sich zusammen zu setzen und miteinander zu arbeiten, als den Politikern. Eine seltsame Nähe: "Auf beiden Seiten sind grauenhafte Sachen passiert."

Tommie Gorman klingt nachsichtig. "Wenn unsere Großeltern die Probleme hier politisch gelöst hätten", sagt er, "dann hätten wir alle nicht getan, was wir getan haben."

Yvonne Jennerjahn

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